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In einem Dorf kurz vor der Front − MOZ/SWP

Russlands Krieg in der Ukraine: In einem Dorf kurz vor der Front

Im unmittelbaren Kriegsgebiet in der Ukraine leben noch immer viele Familien, arme und kranke Menschen. Seit zehn Monaten gibt es weder Strom noch Gas, selten Telefonnetz. Wenn humanitäre Hilfe kommt, trifft man sich auf dem Dorfplatz. Ein Besuch im Gebiet Donezk.

Von Peggy Lohse (Märkische Oderzeitung, 03.01.2023, Seite 4, Politik)

„Wart ihr in Kyjiw? Wird da viel bombardiert, sieht es schlimm aus in der Hauptstadt?” Ein Mann um die 70, mit hellem, offenem Gesichtsausdruck, eingemummelt in Ledermütze und Winterjacke, kommt am Stock an der grauen Schule vorbei. Die Fenster sind notdürftig mit Plastikfolie abgedichtet. Die Wand ist voller Einschusslöcher. „Hier funktioniert nur manchmal russisches Radio, da läuft viel Propaganda”, sagt der Mann. Er ist Rentner, hofft, dass heute die Post mit der Rente hier vorbeikäme. „Wir wissen oft nicht, ob es unser Land noch gibt.”

Die Schule ist das Zentrum des Dorfes Losowe, Kreis Lyman im Norden der Oblast Donezk, unweit der Grenze zum Gebiet Charkiw in der Ostukraine. Seit 2014 leben die Menschen hier mit dem Krieg in wenigen hundert Kilometern Entfernung. Als Russland im Februar die Ukraine großflächig überfällt, wird die Region sofort besetzt. Erst im Oktober können ukrainische Truppen die Gegend befreien. Täglich werden umliegende Dörfer von russischer Artillerie beschossen. Laut November-Angaben der School of Economics in Kyjiw ist das Donezker Gebiet die Region mit den meisten zerstörten Wohnhäusern. Schwer umkämpft ist weiterhin das 70 Kilometer entfernte Bachmut. Kriegskrach und Zerstörung gehören zum Alltag. Seit zehn Monaten gibt es weder Gas noch Strom. Mobilfunk funktioniert selten. Der Alltag hier funktioniert auf Zuruf.

An diesem Nachmittag des 20. Dezember glitzert der gefrorene Boden in der Wintersonne. In der Ferne dröhnt wieder Beschuss. Laut Online-Militärkarten verläuft die aktuelle Frontlinie 35 Kilometer östlich von hier. Tetjana ist die Aktive im Ort, die die verbliebenen Dorfbewohner zusammenhält, informiert, Ansprechpartnerin fürs Militär ist. „In unserem Dorf sind jetzt noch etwa 120 Menschen − Leute, die krank, alt oder sehr jung sind, keine finanzielle Hilfe oder nützliche Kontakte im Westen haben.” Etwa ein Fünftel der Dorfbevölkerung von etwa 600 Menschen im letzten Jahr. Obwohl die Behördentäglich alle Zivilisten bitten, das Kriegsgebiet zu verlassen. „Ja gut, aber wo soll ich denn hin, ich habe nur mein Haus”, sagen sie dann.

Nach und nach kommen mehr Neugierige zum Schulhof: am Stock, mit rostigen Fahrrädern, mit alten Autos voll mit Nachbarn. Schnell spricht sich herum, dass mehrere Transporter, einer mit polnischem Kennzeichen, humanitäre Hilfe bringen. Mit Lebensmitteln, Medikamenten und warmen Wintersachen für 70 bis 80 Familien ist das Ukraine Border Collective nach Losowe gekommen ...

Online auch hier: https://www.tagblatt.de/Nachrichten/In-einem-Dorf-kurz-vor-der-Front-572761.html (+Bezahlschranke)