Katharina Finke

journalist & non-fiction author

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Krisen-Kunst in Portugal: Wut an den Wänden

Das Volk zeigt sich sauer auf der Mauer: Wie lautet der Wahlspruch des Ex-Regierungschefs? "Für ein ärmeres Land!" Und die einzige Chance? "Revoltiere!" Im von der Finanzkrise gebeutelten Portugal pinseln die Bürger ihren Ärger an die Wände - und auch Ang

Das Volk zeigt sich sauer auf der Mauer: Wie lautet der Wahlspruch des Ex-Regierungschefs? "Für ein ärmeres Land!" Und die einzige Chance? "Revoltiere!" Im von der Finanzkrise gebeutelten Portugal pinseln die Bürger ihren Ärger an die Wände - und auch Angela Merkel wird so verspottet.

Eine blaue Tür in der Altstadt Lissabons, darauf ein weißer Schriftzug: "O destino apagou-se" ("Das Schicksal wurde gelöscht"). Einige Straßen weiter eine Gebäudefassade mit der Schrift: "Lass alle Hoffnung fahren, du, der immer noch daran glaubt". Darunter: "Portugal ist gestorben. R.I.P".

Leid, Wut und Hoffnungslosigkeit - das lässt sich derzeit in Portugal finden. Und zwar nicht nur in den Gesichtern der Menschen, sondern auch in Form von Street-Art. Bevor diese Werke von der Stadtreinigung entfernt werden, versucht Ana Luis Nogueira sie mit ihrer Kamera festzuhalten. Seit ein paar Jahren geht sie regelmäßig durch die Straßen ihrer Heimatstadt Lissabon, um dort die Kunst an den Wänden zu fotografieren.

Anfangs waren es Liebesbekundungen, doch in letzter Zeit sind immer mehr politische Epigramme hinzugekommen. So wie ein Stencil, ein mit Schablone aufgespraytes Bild, das den ehemaligen portugiesischen Ministerpräsidenten José Sócrates mit roter Clownsnase zeigt, daneben der Spruch "Für ein ärmeres Land". Oder ein Graffiti seines Nachfolgers Pedro Passos Coelho, wie er Angela Merkels Hintern küsst, kommentiert mit den doppeldeutigen Satz: "Este beijo deixa-nos tesos". Übersetzt bedeutet das: "Dieser Kuss bringt uns kein Geld bzw. einen Steifen."

"Es sind nicht deine Schulden"

Vergangenes Jahr musste die portugiesische Regierung zugeben, dass sie dem wachsenden Schuldenberg, der schrumpfenden Wirtschaft und der steigenden Arbeitslosigkeit nicht mehr ohne europäische Hilfe entgegensteuern kann. Daher sicherte die sogenannte Troika, bestehend aus EU-Ländern, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfond (IWF), Portugal im April 2011 ein Drei-Jahres-Paket in Höhe von 78 Milliarden Euro zu. Im Gegenzug mussten sich die Portugiesen zu einem Sparprogramm verpflichten, das Lohnkürzungen, Lockerung des Kündigungsschutzes und Steuererhöhungen vorsieht.

Das Volk ist empört - und die Straßenwände sind mittlerweile übersäht mit Graffiti-Variationen von "Weg mit dem IWF!" und "Weg mit der Troika!". Besonders verärgert ist die Bevölkerung darüber, dass die Sparmaßnahmen überwiegend Unter- und Mittelschicht treffen und den Staat, der die Fördergelder nach dem Eintritt in der EU 1986 vor allem in Infrastruktur investiert hatte, verschont. Am Rand einer der Hauptzufahrtstraßen zu Lissabon prangt in schwarzer Schrift "1 Prozent wird reicher - 99 Prozent werden ärmer" und auf einer weißen Wand direkt neben dem Parlament ist ein blaues Graffiti mit "Es sind nicht deine Schulden" gesprüht.

Fotografin Nagueira teilt diese Wut nicht, die die Schuld vor allem bei den anderen sucht: "Wir brauchen die Troika, denn Portugal hat in den vergangenen Jahrzehnten über seine Verhältnisse gelebt", sagt die 37-Jährige, "es wurde fleißig konsumiert, Anwesen, Autos, Fernseher." Das gilt auch für sie selbst. Zur Blütezeit hat sie in eine Privatschule und zwei Häuser investiert - und muss nun zusehen, wie sie die Raten dafür zahlt. Deswegen ist Nagueira in eine Wohnung ihres Vaters gezogen, wo sie keine Miete zahlt.

Und auch beruflich trifft sie die Krise: Ihre Einnahmen gehen rapide zurück, da immer weniger Eltern es sich leisten können, ihre Kinder auf eine Privatschule zu schicken. Damit ihre zwei eigenen Töchter jedoch nicht auf eine solche verzichten müssen, versucht Nagueira mit den Street-Art-Fotos etwas Geld zu verdienen und jobbt am Wochenende bei einem Veranstalter. "Für die Ausbildung meiner Kinder arbeite ich gern mehr", sagt sie.

Düstere Botschaften als Straßenkunst

Auch wenn die Mehrheit im Land ihr zustimmt, können nicht alle so rational mit der Krise umgehen und rufen beispielsweise mit dem Schlachtruf "Revoltiere!" und einem Maschinengewehr-Stencil zum Protest auf. Im März gingen Hunderttausende bei einem Generalstreik auf die Straße, dessen Ankündigungen die Wände im ganzen Land schmückten.

Anders als in Griechenland verlief der Streik in Portugal jedoch friedlich. Die wirklich düsteren Botschaften äußern die Portugiesen in Form von Straßenkunst: Von Stencils mit Überwachungskamera und dem Spruch "Lächle! Deine Freiheit wurde soeben verletzt!" über "Alle Systeme haben einen toten Winkel", bis hin zu Graffitis mit den Worten "Freiheit?" und "Weg zum Leben", beide mit einem zum Himmel gerichtetem Pfeil versehen - als sei der Tod die einzige Lösung.

Nagueira findet diese Form der Street-Art zu heftig. "Das ist nicht konstruktiv und kann uns sogar schaden", sagt sie, denn sie sieht vor allem im Städtetourismus eine Perspektive für ihr Land; ein freundliches Image ist da hilfreich. Inspirierend und hilfreich hingegen findet sie daher eher optimistisch gestimmte Graffitis - denn solche gibt es auch: "Gib nicht auf!", haben nicht ganz so zornige Portugiesen an die Wände geschrieben, und: "Recycle dich selbst!"

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