2 subscriptions and 3 subscribers
Article

„New Balkan Cuisine": Wer in Serbien zu Tisch bittet, will zeigen, was er hat - WELT

ZU TISCH „New Balkan Cuisine"


Wer in Serbien zu Tisch bittet, will zeigen, was er hat

Von Manfred Klimek, Juliane Reichert


In Belgrad veredelt Vanja Puskar traditionelle Gerichte aus der Balkanregion. Seine Küche strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Aber handelt es sich auch um eine neue Balkanküche? Klar ist: Es ist auf jeden Fall eine, die Fleisch und kräftige Würze favorisiert.

Belgrad, die Balkanmetropole. Die Häuserfassaden sind grau, im Lokal aber ist es strahlend weiß. An den Wänden hängen eingerahmte Zeichnungen von diversen Kräutern wie in den Küchen bürgerlicher Haushalte. Eine grobe Mauer, unverputzter Baustein und der graue Holzboden erinnern aber eher an hippe Restaurants in Berlin oder New York. Zu einem bereits eingeschenkten Naturwein, einem Furmint aus Fruska Gora bei Novi Sad, reicht das Personal, die weißen Hemden nicht in die Hose gesteckt, die Speisekarte.


„Wir können auch vegetarisch", sagt der Kellner. Das stimmt wohl. Doch man merkt schnell: Hier isst man besser Fleisch. Das Restaurant heißt „Iva", eine Tafel an der Außenwand verspricht „New Balkan Cuisine" - eine neue Balkanküche. Inhaber Vanja Puskar, der mit dem „Tisa" gerade ein zweites Restaurant mit ähnlichem Anspruch eröffnet hat, will seinen Küchenstil mit diesem Claim über die Grenzen des Landes hinaus bekannt machen. Und er will daran erinnern, dass der Balkan eine kulinarische Großregion ist, in der man trotz regionaler Unterschiede und Rivalitäten auf ähnliche Zutaten und Rezepte zurückgreift. Die Produkte, die im „Iva" und im „Tisa" verarbeitet werden, kommen vor allem aus Serbien, aber auch aus Montenegro und aus Kroatien. „Auf Importe aus anderen Ländern sind wir nicht angewiesen", sagt Puskar. „Wir haben alles, was man braucht."

Lokale Produkte, Zutaten aus der Region - für die meisten Serben ist das selbstverständlich. Das im europäischen Vergleich niedrige Lohnniveau gestattet keine Austern und keinen Champagner. Puskar sieht sein Lokal als ambitionierte Ergänzung zur eher schlichten Gasthausküche seines Landes. Sein Ansatz, traditionellen Gerichten mit verfeinerten Rezepturen und hochwertigen Produkten zu neuem Glanz zu verhelfen, orientiert sich an der Philosophie der Nordic Cuisine. Doch während man in gehobenen skandinavischen Restaurants jede Steckrübe angepriesen bekommt, als handle es sich um ein Kronjuwel, hält sich der Service im „Iva" mit Vorträgen zurück.

Die Vorspeisen kommen ohne umständliche Erklärungen auf den Tisch: viel Käse, auch vom Schaf und gut gereift, gerieben, gegrillt, geräuchert oder in Form eines Küchleins, dazu Rindfleisch, Hirsch, Lamm. Und es gibt Schweinefußkroketten - auch nicht gerade leicht, aber sehr schmackhaft. Das Essen, auf den Tellern oft zu kleinen Türmen geformt, wird zum Teilen hingestellt. Und Aivar, die klassische Balkanpaste aus Paprika und Auberginen? Gibt es hier auch, angeblich zubereitet von den Müttern der Köche.


Italienisch anmutende Herzlichkeit

Vanja Puskar stammt aus einer Familie, in der das gemeinsame Essen stets einen sehr hohen Stellenwert besaß und in der Gastfreundschaft immer auch etwas mit dem Stolz darauf zu tun hatte, dass man es sich leisten konnte, jemand anderen zum Essen einzuladen. Wer in Serbien zu Tisch bittet, will zeigen, was er hat. Die Gastgeber geben alles, schon eine mitgebrachte Flasche Wein würden sie als Beleidigung auffassen. Puskar erzählt, er habe sehr früh erkannt, dass es beim Essen lebendig und herzlich zugehen müsse. Und diese fast italienische Herzlichkeit, in Belgrad sonst eher selten, ist im „Iva" zu spüren, wenn alle Tische voll mit Menschen und Essen sind - wie an nahezu jedem Abend.

Dabei ist Serbien kein einfaches Pflaster, wenn es um ein freundliches Miteinander geht. Die Bevölkerung ist extrem gespalten. Da sind jene, die das Land seit Jahrzehnten nur als Opfer westlicher Aggression sehen und die Kriegsverbrechen der serbischen Truppen im Balkankrieg nicht wahrhaben wollen. Und da sind jene, die den Stillstand und das Selbstmitleid, das sich auch in den kreativen Schichten breitgemacht hat, nicht länger ertragen möchten und sich einen schnellen Beitritt zu EU wünschen. In diesem Spannungsfeld erlaubt sich Puskar die Anmaßung, etwas zur kulinarischen Identitätsfindung seines Landes beisteuern zu wollen - und zwar nicht als Kopist westlicher Küchentrends, sondern als eigenständiger Kreateur.

Seine New Balkan Cuisine sieht er als Aufforderung, sich intensiver mit den eigenen Traditionen zu beschäftigen - und den neuen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. „Wenn man Vergleiche anstellen will", sagt er, „dann kann man sagen, dass man in Slowenien von allen Ländern Ex-Jugoslawiens heute die beste und weltläufigste Balkanküche mit mediterranem Einschlag bekommt. In Kroatien ist man in Sachen Fine Dining weit vorn. Bei uns in Serbien und vor allem in Belgrad ist die Alltagsküche am besten aufgestellt."

Die Hauptspeisen im „Iva" scheinen diese Einschätzung nur zu belegen: Schwein, Lamm, Huhn, aus dem Ofen und vom Grill. Ein Schweinskotelett wird unter einem Brotteig gegart - eine Verneigung vor der bäuerlichen Küche. Dazu kommen Gemüse, Salate und Dips auf Joghurtbasis. Klar ist: Es muss immer mehr als genug Essen auf dem Tisch stehen. Und wer hier „meins" sagt, der hat nicht begriffen, dass es an diesen Tischen kein „mein" oder „dein" gibt, sondern nur geteilte Freude über eine sehr einfach wirkende, aber extrem präzise Küche, die mit ihren Gewürzen und Aromen eine radikal-rustikale Eleganz auf die Teller bringt.


Gezielter Rückgriff auf das Archaische

Diese Eleganz macht eine Einkehr im „Iva" zum kulinarischen Erlebnis. Die Küche von Vanja Puskar strotzt nur so von Selbstbewusstsein, die noch junge serbische Ausgabe des Restaurantführers „Gault-Millau" hat sein Lokal völlig zu Recht mit zwei Kochmützen geadelt und damit zu einem der besten Restaurants des Landes erklärt. Aber handelt es sich bei den Speisen, die hier serviert werden, tatsächlich um eine neue Balkanküche? Es ist auf jeden Fall eine Küche, die Fleisch und kräftige Würze favorisiert.

Und dann taucht die Gabel in einen Teller mit Gnocchi ein, die sich in ausgelöstem Ochsenschwanz und Kalbshirn sattsaugen. Dazu gibt es glasierte Zwiebeln und kräftig angebratene Karotten. Dieses Gericht steht für das, was ein Restaurant heute leisten kann: den gezielten Rückgriff auf das Archaische, das Eigenwillige und das Autochthone, das auf Erneuerung und Verfeinerung harrt - nicht nur in Serbien.

Original