Keine Luxusvilla und auch keine nach Räucherstäbchen riechende Hippiebude. Zwei Kilometer vom Ulmer Stadtzentrum entfernt an einer stark befahrenen Straße. Schrebergärten um die Ecke. An der Tür ein winziges Klingelschild: „Mayer & Horn GbR“. Vor der Wohnungstür: ein kleines Schuhregal mit Sneakers. Hier leben Nadine Horn und Jörg Mayer.
Das Paar verdient seinen Lebensunterhalt mit veganen Rezepten, die es auf dem Blog „Eat this“ teilt. „Die meisten denken, wir leben in Berlin. Weil ja irgendwie jeder Veganer aus Berlin kommen muss“, sagt Jörg Mayer. Er schätze es, dass Ulm „etwas Städtisches“ habe, aber nicht so „busy“ sei. Auch Nadine Horn ist in Großstädten schnell „reizüberflutet“.
Über die Liebe zum Punkrock kennengelernt
Nadine Horn und Jörg Mayer lernen sich 2006 kennen. Damals gibt es noch keine Dating-Apps wie Tinder oder Bumble. Aber die Internetseite hcflirt.de. Dort liegt der Fokus weniger auf perfekt inszenierten Fotos, sondern auf dem gemeinsamen Interesse an Punk- und Hardcoremusik. „Da waren kaum Menschen aus Süddeutschland angemeldet, die meisten kamen aus dem Ruhrpott“, sagt Jörg Mayer. Schnell werden der damals 23-Jährige aus Ulm und die gleichaltrige Nadine aus Nürnberg aufeinander aufmerksam.
Weil unter Punk- und Hardrockfans der Verzicht auf Tierisches – ebenso wie auf Alkohol, Zigaretten und andere Drogen – schon damals eine größere Rolle spielt, können die Nutzer angeben, wie sie sich ernähren. Jörg Mayer hat vegetarisch angegeben, Nadine Horn vegan. „Für mich war das bei der Partnersuche ausschlaggebend“, sagt Nadine Horn. Sie hörte bereits mit zwölf auf, Steaks und Fisch zu essen – „ich konnte keiner Fliege was zuleide tun“. Mit Anfang 20 aß sie auch keinen Käse und keine Eier mehr, trank keine Milch. „Wenn man sich die Bedingungen in der Tierhaltung anschaut, ist das nur konsequent.“
Der Großteil der Fans sind Frauen
Monatelang schreiben die beiden sich hin und her, bis sie sich endlich traut und zu ihm nach Ulm fährt. Sie besuchen Konzerte – und werden ein Paar. Sie zieht zu ihm ins Schwabenland. Und er wird vom Vegetarier zum Veganer.
Inzwischen könnte man Jörg Mayer und Nadine Horn wohl als „power couple“ bezeichnen, also als beruflich sehr erfolgreiches Paar. An das letzte gemeinsame Konzert können sie sich kaum noch erinnern. Der letzte lange Urlaub war 2016. Dafür gibt es wohl wenige deutschsprachige Veganerinnen (drei Viertel der Fans von „Eat this“ sind Frauen), die den Blog nicht kennen. Gegründet haben die beiden ihn vor zwölf Jahren – zu einer Zeit, als der Verzicht auf tierische Lebensmittel noch etwas Exotisches war. Es gab kaum vegane Kochbücher, geschweige denn Blogs. Der einzige bekannte Veganer in Deutschland war der Mann, der sich inzwischen mit seinen volksverhetzenden Entgleisungen ins Abseits manövriert hat: Attila Hildmann.
Das erste Rezept war Taboulé
Auch Nadine Horn und Jörg Mayer kochen anfangs Rezepte von Hildmann nach, vor allem aber experimentieren sie mit selbst mit Gemüse, Hülsenfrüchten, Tofu. Und oft, wenn sie für andere kochen, fragt man sie nach dem Rezept. Bald haben sie keine Lust mehr, ständig Zubereitungen auf Zettel zu kritzeln. Sie stellen ihre Rezepte ins Netz. „Das war absolut nicht darauf ausgelegt, damit eines Tages unseren Lebensunterhalt zu verdienen“, sagt Nadine Horn.
Schnell merken sie, dass immer mehr Fremde auf der Seite landeten. Nach und nach rücken ihre anderen Aufträge als Grafikdesignerin und Webdesigner in den Hintergrund. Schließlich entscheiden sie, nur noch für „Eat this“ zu arbeiten.
Nadine Horn erinnert sich an das erste veröffentlichte Rezept, das war am 2. April 2011: Taboulé, also ein Bulgur-Petersilien-Salat. Man kann es heute noch auf dem Blog finden. Es hat nur fünf Arbeitsschritte, neun Zutaten, die Zubereitungszeit wird mit 15 Minuten angegeben. „Wir wollten zeigen: Es ist nicht so schwierig, vegan zu leben und einzukaufen“, sagt Jörg Mayer. Bis heute achten sie darauf, dass ihre Rezepte ohne ungewöhnliche und teure Zutaten auskommen: „Es muss nicht überall Mandelmus rein. Und Ersatzprodukte sind zwar schön, aber keine Grundnahrungsmittel“, sagt Jörg Mayer.
Werbung für Edeka, Dr. Oetker oder Seeberger
Der Aufwand für den Blog wächst immer mehr: Zwei Rezepte pro Woche – plus die dazugehörigen Beiträge in den sozialen Netzwerken. Also: Fotos, Videos, Reels für Instagram. Über jedem Rezept steht ein langer Text, in dem erklärt wird, woher das Gericht ursprünglich kommt, was dazu passt, was man beachten sollte (darf man auch festkochende Kartoffeln nehmen statt vorwiegend festkochenden?). „Es ist nicht damit getan, nur zu schreiben: ‚Zwiebeln würfeln, in Öl anbraten‘“, sagt Jörg Mayer. „Unser Qualitätsanspruch hat sich gewandelt.“
Die beiden finanzieren sich zum einen durch den Erlös ihrer vier Kochbücher. Der größere Part aber sind Einnahmen durch Kooperationen mit Firmen wie Edeka, Dr. Oetker oder Seeberger. Das bedeutet: Sie kennzeichnen, wenn ein Rezept Werbung enthält, und empfehlen dann bestimmte Produkte. Wie viel Geld dafür fließt, wollen sie nicht verraten. Nur so viel: „Größere, aufwendige Kooperationen mit bekannten Marken und Unternehmen können sehr lukrativ sein.“ Bei Projekten mit kleineren Firmen arbeiteten sie quasi unbezahlt – abgesehen von finanzieller Unterstützung über Plattformen wie Steady, wo die Fans regelmäßig einen Beitrag zahlen.
Dieses Jahr läuft es noch nicht so gut
Der Klimawandel tut ihrem Geschäft gut, so komisch das klingen mag. Die meisten Menschen wissen inzwischen, dass eine vegane Ernährung für den Planeten am besten ist. „Früher war vegan noch eine Provokation. Heute werden die klassischen Fragen nach Proteinen und Co. nicht mehr so aggressiv vorgebracht“, sagt Nadine Horn.
Finanziell haben sie von der Pandemie profitiert: Als die Menschen zu Hause bleiben mussten und jeder Brot backen wollte, lief es bei „Eat this“ richtig gut. 2022 flachte dieser Höhenflug ab, „und vor allem dieses Jahr spüren wir kürzere Budgets“, sagt Jörg Mayer. Sowieso sei das Leben als Blogger nicht so glamourös, wie man es sich vorstelle: „Wir sind ständig am Putzen und Aufräumen“, sagt Nadine Horn. Auf den Bildern und Videos soll ja alles perfekt aussehen – und trotzdem natürlich. Manchmal nerve es, sich rund um die Uhr mit Essen zu beschäftigen. Es gebe Abende, da wolle sie nur noch ein Brot oder eine Kartoffel essen und ja nicht mehr etwas Aufwendiges kochen.
Zeit für sich freizuräumen fällt ihnen schwer
Mit dem Erfolg kommen die Verpflichtungen: Können wir jetzt wirklich das Handy beiseite legen und einfach keine Kommentare auf Instagram beantworten? Können wir eigentlich nicht. Nadine Horn würde sich gerne mal drei Wochen Zeit nehmen für eine Alpenüberquerung, endlich wieder mehr töpfern oder selbst Gemüse anbauen. Aber woher die Zeit nehmen?
Vielleicht auch weil sie nie nach Berlin gezogen sind, bewegen sie sich in keiner „Veggie-Bubble“, wie sie sagen. Der Großteil ihrer Freunde sind Allesesser. Die beiden stört das nicht. Missionieren war noch nie ihr Ding. Nervig sei eher der ständige Drang von anderen, sich vor ihnen zu rechtfertigen. „Wir fangen nie mit dem Thema an, aber die Leute erklären uns ständig, wie wenig Wurst sie doch essen oder dass ihr Fleisch nur aus guter Haltung kommt“, sagt Nadine Horn.
Und was, wenn sie sich trennen?
Ihr Job bedeutet: Sie sind rund um die Uhr zusammen. „Das kann superschön, aber auch superanstrengend sein“, sagt Nadine Horn. Was wäre, wenn sie sich mal trennen? Wenn nicht nur die Beziehung endet, sondern auch die gemeinsame Lebensgrundlage nicht mehr funktioniert? „Wir haben darüber schon nachgedacht“, sagt Jörg Mayer, „und sind zu keinem Schluss gekommen.“