Proteste gegen die Maßnahmen im sächsischen Freiberg ziehen Rechtsextremisten an. Die Stadtspitze hat das Problem lange ignoriert – und sorgt sich vor allem um ihr Image.
Die Universitätsstadt Freiberg, gelegen zwischen Chemnitz und Dresden, ist zum Zentrum der illegalen Corona-Proteste in Sachsen avanciert. Auf der einen Seite die sogenannten Montagsspaziergänge, angestoßen von Neonazis, getrieben von AfD-Wählern, Esoterikern und enttäuschten CDU-Anhängern. Auf der anderen Seite die kopfschüttelnde Zivilgesellschaft. Und mittendrin: der parteilose Oberbürgermeister Sven Krüger, der es sich mit beiden Seiten verscherzt hat.
Jahrelang hatte Krüger, der das Amt seit 2015 innehat, Dialogbereitschaft gegenüber den Teilnehmenden rechter Proteste signalisiert. Viele Freiberger verstehen Krügers Haltung nicht. Die Montagsspaziergänger nehmen dem 48-Jährigen dagegen übel, dass er sich seit kurzer Zeit geläutert zeigt, und werfen ihm eine "Hetzkampagne" vor. Anlass sind selbstkritische Worte, die Krüger in seiner Neujahrsansprache gewählt hatte: "Um nach allen Seiten gesprächsbereit und ansprechbar zu sein, hielt ich es für wichtig, meine eigene Meinung zurückzuhalten", sagte er. Nun frage er sich, "ob ich meine eigene Position nicht früher, nicht deutlicher hätte äußern müssen".
Ein Bürgermeister, der keine klare Haltung zeigt und in der Vergangenheit immer wieder selbst durch populistische Vorstöße aufgefallen ist: Womöglich zählt das zu den Gründen, weshalb die Proteste in Freiberg mittlerweile bis zu 3.000 Teilnehmer anziehen, Neonazibeteiligung inklusive. Die Stadt hat ein Problem - und die Verharmlosungen örtlicher Politiker haben es befeuert.
Wegducken und abwartenZu den regelmäßigen Teilnehmern am Protest gehört auch der langjährige Freiberger CDU-Vorsitzende und stellvertretende Oberbürgermeister Holger Reuter. "Im Stadtrat hat der Oberbürgermeister seinen Stellvertreter Reuter für die Teilnahme an den illegalen Spaziergängen in keiner Form zurechtgewiesen", sagt Elke Koch. Sie ist Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtrat. Sie bezweifelt, dass hinter Krügers selbstkritischen Worten "eine wirkliche Überzeugung steht". Noch im April 2021 habe der OB vor allem kritisiert, dass die Polizei bei ihren Einsätzen die Wiesen im Stadtpark beschädigt habe.
Die bemerkenswerte Haltungslosigkeit des Stadtoberhaupts kritisiert auch Alexander Geißler, der als sachkundiger Einwohner im Stadtrat wirkt. "Krüger ist eigentlich kein politisch verorteter Mensch", sagt Geißler, sondern regiere nach dem Motto "erst mal wegducken und abwarten, wo die Mehrheiten liegen".
Erst, nachdem Reuter geäußert hatte, "dass die Ungeimpften sich fühlen wie die Armenier damals in der Türkei, wo dann zum Teil eine Ausrottung stattfand", verlangte Krüger seinen Rücktritt oder eine öffentliche Klarstellung. Sein Zögern begründete der Oberbürgermeister gegenüber der Welt: Lange Zeit seien die Proteste gegen die Corona-Politik von Menschen aus der Mitte der Gesellschaft dominiert worden. Erst seit Herbst letzten Jahres sei die Kritik nicht mehr "sachgetrieben".Original