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Die „Transmediale" bietet den Palast für Kabelwürmer

Wenn die Computer an die Macht kommen: Das Medienkunstfestival „Transmediale" startet im sanierten Haus der Kulturen der Welt.

Elisa von Hof


Kabelwürmer kriechen wie Ungetüme über den Boden, dazwischen qualmen Glasrohre, Computer träumen von schneegezuckerten Bergen und Projektoren schreiben Nachrichten in den Wind, mitten hinein in eine Zukunft, die schon jetzt da ist. Jedenfalls hier, im neu sanierten Haus der Kulturen der Welt (HKW). Da winkt sie - ein bisschen wie in "Matrix", ein bisschen wie in Aldous Huxleys "Schöner neuer Welt" - den Besuchern entgegen.

Die Ausstellung "Alien Matter", die am Donnerstagabend das Medienkunstfestival "Transmediale" und gleichzeitig das HKW nach den fünf Monaten Renovierungspause eröffnete, widmet sich der digitalen Revolution. 30 Künstlerinnen und Künstler haben sich gefragt, was da noch auf uns zukommt. Antworten sollen Videos, Installationen und jede Menge blinkende, rauchende Datenschränke liefern. Doch die viel wichtigere Frage lautet: Können wir das noch aufhalten?

Denn das, was man hier sieht - Serviceroboter, künstliche Intelligenz, Smartphonemutationen, alles Aliens, wie auch der Titel der Ausstellung verrät - das macht keine Lust auf mehr. Stattdessen sehnt man sich nach der Zeit zurück, als das Internet tatsächlich noch Neuland war und nicht bloß für die CDU. Als alles ein bisschen übersichtlicher war, zumindest die Grenzen zwischen Mensch und Maschine. Wo Daten nicht durch die Luft schossen, sondern im Kassettenregal verstaubten oder sich vor Videorekordern auf VHS-Kassetten türmten. Daran erinnert auch Joep van Lieflands Skulptur "Video Palace", die in der Mitte des Raumes thront: eine badezimmergroße, begehbare Videokassette, gestapelt aus, klar, Tausenden Kassetten. Betritt man dieses Trümmerstück der Medienkultur, ist da aber keine Nostalgie, da sind bloß giftgrüne Wände, eine ätzende Leere.

Das hätte ja auch dem HKW passieren können. Als die Bauintention - als "Leuchtturm der Freiheit" in den Osten zu strahlen - mit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr so wichtig scheint und auch Jimmy Carters Lächeln, dem die Architektur des Gebäudes ja ähneln soll, vergessen ist, da hätte die "Schwangere Auster" als Trümmerstück dieser Epoche im Tiergarten verstauben können. Ist sie nicht. Stattdessen hat das Haus mit zehn Millionen Euro Fördergeld vom Bund in den vergangenen Monaten alles auf Verjüngung gesetzt: Die Akustik im Auditorium sollte verbessert, die Stühle modernisiert, die Bühne flexibler gemacht werden. Schon 2006 war die ehemalige Kongresshalle saniert worden, jetzt folgte der zweite Teil. Und der sollte unbedingt gemeinsam mit dem Medienkulturfestival eröffnet werden, wie HKW-Direktor Bernd Scherer sagte.


Mutation zu einem transmedialen Festival

HKW und "Transmediale", die gehören schließlich irgendwie zusammen. Das diesjährige Motto des Festivals, "Ever elusive" ("Stets flüchtig"), das könnte auch Motto des HKW sein. Es soll an den Anfang des Festivals erinnern, 1988 also, als man audiovisuelle Kunst ausstellte. Wer die "Transmediale" und das Programm des künstlerischen Leiters Kristoffer Gansing kennt, der weiß, dabei ist es nicht geblieben. Aus dem monomedialen ist ein transmediales Kunstfestival geworden. Statt die Röhrenfernseher anzuschmeißen, sollen sich beim 30. Geburtstag des Festivals bitte Kunst, Technik und Kultur vermischen. Man muss sich das Programm und auch die Arbeiten in der Sonderausstellung des HKW gut ansehen, um zu verstehen, worum es hier gehen soll. Um alles Digitale wohl. In 50 Veranstaltungen, Performances und Workshops soll ausgelotet werden, was das bedeutet. In Pinar Yoldas' Videoinstallation "The Kitty AI", Teil der Sonderausstellung "Alien Matter", nichts Gutes. Weil die Menschen sich nicht um den Planeten, die Flüchtlingsproblematik, den Klimawandel und dergleichen, aber vor allem umeinander kümmern, hat in der Vision der türkischen Künstlerin ein anderer die Weltherrschaft übernommen. Nein, nicht Donald Trump. Die Internetkatze "Grumpy Cat", ein ausdrucksloses Kätzchen, verwaltet hier die Welt. Und während hinter Kitty Thermometer brodeln und Merkels, Putins und Obamas Köpfe über die Leinwand segeln, erklärt die künstliche Intelligenz, wie die Dinge zu laufen haben. Wer die zwölf Minuten durchhält, den fröstelt's.

Wenige Installationen haben so eingängige Botschaften wie Yoldas'. Häufig steht man bloß unbehaglich da. So wie vor Ignas Krupavičius' Videos. Denn die zeigen einen Computer beim Träumen, also in der Zeit, wenn mal niemand auf seine Tastatur hämmert. Moore, Berggipfel, ein azurblauer Horizont fließen im Computerhirn ineinander. Fast schön. Fast menschlich. Nur fast.

"Alien Matter", HKW, John-Foster-Dulles-Allee 10 (bis 5.3). "Transmediale", HKW (bis 5.2.)

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