Elena Matera

Journalistin (Wissenschaft & Gesellschaft), Berlin

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Nord- und Ostsee in kritischem Zustand

Wie kritisch ist der Zustand der Biodiversität in Nord- und Ostsee? Wie geht es Fischen, Robben, Schweinswalen? Und welche Folgen hat die Erwärmung der Meere für die Menschen?

Mit diesen Fragen hat sich der Umweltausschuss des Bundestags am Mittwoch beschäftigt. Verschiedene Sachverständige wurden eingeladen. Sie alle waren sich einig: Die Artenvielfalt in der Nord- und Ostsee ist in großer Gefahr.

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Die Rote Liste der bedrohten Arten in beiden Meeren wird von Jahr zu Jahr länger. Das Bundesamt für Naturschutz schätzt, dass ein Drittel der Meeresbewohner in der Nord- und Ostsee aktuell gefährdet sind.

Dabei sollte 2020 ein entscheidendes Jahr für den Meeresschutz sein. Der Grund: In diesem Jahr hätten die Meere in Europa einen sogenannten „guten Umweltzustand" erreichen sollen. 2008 hatten die Länder der Europäischen Union dieses Ziel in der „Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie" vereinbart, zum Schutz der Biodiversität in den Meeren.

Doch das Ziel wurde nicht erreicht, von einem guten Zustand ist man laut Thilo Maack weit entfernt. „Die Biodiversität in den Meeren befindet sich in einer historischen Krise", sagt der Greenpeace-Meeresexperte und Sachverständige im Umweltausschuss.

Die Probleme für diese Krise sind vielfältig. Sie reichen von der Fischerei, der Überdüngung der Meere über den zunehmenden Plastikmüll bis hin zu Munition, die auf dem Grund der Meere liegt - und der stetigen Erwärmung der Gewässer.

In Nord- und Ostsee existieren zwar bereits großflächige Schutzzonen für die Meeresbewohner, dennoch werden diese Gebiete stark von den Menschen genutzt, etwa von der Fischerei mit ihren tonnenschweren Grundschleppnetzen. Die Folgen: die Zerstörung des Meeresbodens, die Vertreibung von Fischen und anderen Meereslebewesen. Auch der Beifang sei problematisch, sagt Maack. Immer wieder verfangen sich Schweinswale in den Netzen. Die Meeressäuger sind mittlerweile stark gefährdet.

Die Sachverständigen haben eine klare Forderung an die Politik: Fische, Pflanzen, Wale und Vögel brauchen Schutzzonen, ganz ohne menschliche Einflüsse, sogenannte Nullnutzungszonen.

Neben der Überfischung kommen noch die Effekte des Klimawandels hinzu. Nord- und Ostsee erwärmen sich besonders schnell, da sie im Vergleich zu anderen Meeren relativ flach sind.

Einige Fische wie der Kabeljau oder der Dorsch reagieren extrem sensitiv auf die Wärme. Laut der Meeresbiologin Antje Boetius wandern diese Fischarten daher vermehrt in kältere Gewässer nach Skandinavien. Invasive, wärmeliebende Arten dringen dafür in die Nord- und Ostsee ein. Sie verdrängen heimische Pflanzen und Fische. Ein bekanntes Beispiel ist etwa die Pazifische Auster, die die Europäische Auster im Laufe der Jahre aus der Nord- und Ostsee nach und nach verdrängt hat.

Auch beliebte Speisefische wie der Hering leiden stark unter dem Klimawandel. Die Heringe der westlichen Ostsee laichen aufgrund der immer milder werdenden Winter oft viel früher, als sie eigentlich sollten. Das Problem: Die Larven finden im Januar und Februar noch kein Futter und sterben. „Die Belastung der Fischerei wird durch den Klimawandel extrem verstärkt", sagt Boetius.

Ein weiteres Problem für das Artensterben ist der hohe Nährstoffgehalt in den Meeren. Der Dünger, der in der Landwirtschaft verwendet wird, gelangt über die Flüsse in die Meere. Nicht nur in den Tiefen der Ostsee, sondern auch an den Küsten gibt es bereits Bereiche, in denen es kaum noch Sauerstoff gibt. Anne Böhnke-Henrichs vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) nennt diese sauerstoffarmen Bereiche „Todeszonen". Fische könnten in diesen Gebieten nicht überleben. Die Nährstoffeinträge müssten daher dringend reduziert werden.

Auch die Sprengung von Munitionen, die auf dem Meeresgrund liegen, sind ein großes Problem. Erste Untersuchungen zeigen, dass die chemischen Bestandteile von Fischen und Säugern aufgenommen werden. Inwiefern Menschen beim Verzehr der Fische die toxischen Stoffe aufnehmen, muss laut den Experten noch erforscht werden.

Neben den chemischen Stoffen nehmen Fische, Vögel, Wale und Robben auch vermehrt Plastik auf. „Wir konnten bisher in allen Meereslebewesen Mikroplastik nachweisen", sagt Boetius. Die Plastikpartikel könnten im Gewebe zu Entzündungen führen. Das könne letztendlich auch Konsequenzen für die Menschen haben. Die Vermutung: Durch den Fischverzehr wird ebenfalls Mikroplastik aufgenommen.

Die Ergebnisse der Wissenschaft zeigen laut Boetius, dass Natur- und Umweltschutz von der Politik immer noch nicht ernst genommen wird. „Es ist beschämend, dass Deutschland als eines der reichsten Länder in der EU die Ziele für den Meeresschutz nicht einhält", sagt die Biologin. Dabei sei Artenvielfalt extrem wichtig, insbesondere mit Blick auf die Erderwärmung.

Biodiversität und Klimawandel hängen eng miteinander zusammen, sagt auch Greenpeace-Vertreter Maack. Der Grund: Die Meere speichern große Teile des Kohlenstoffdioxids. „Die Politik muss endlich handeln", fordert er: „Meeresschutz ist Klimaschutz."

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