Trang Nguyen verdreht die Augen. Schon wieder hört die junge Kellnerin, wie ein Gast zu ihrer Begleitung sagt, dass sie "beim Chinesen" sitzen würden, dabei befinden sie sich in einem vietnamesischen Restaurant. So steht es auch auf der Menükarte, die Trang der Frau eben gebracht hat. So vermittelt es der Name des Restaurants, das ihren Eltern gehört und in dem sie an diesem Tag aushilft. Trotzdem sagt die Kundin: "Ich nehm' einfach die chinesisch gebratenen Nudeln, bitte." Trang erklärt: "Wir sind ein vietnamesisches Lokal, das haben wir leider nicht. Aber ich bring ihnen gern gebratene Reisbandnudeln aus Vietnam." "Ja, dann bringen sie mir das. China, Vietnam, alles dasselbe, ne, Ching-chang-chong, haha."
Diese Szene ist gespielt. Trang hat sie für ein TikTok-Video als Sketch inszeniert, sich eine Perücke aufgesetzt und den Wortwechsel mit ihrem Handy gefilmt. Die Situation basiert aber auf echten Erfahrungen, die die 24-Jährige oft im Restaurant ihrer Eltern gemacht hat. Diese Begegnungen hat sie zu einer Reihe von TikTok-Videos verarbeitet, den Restaurant Stories. 41 Geschichten gibt es bis bereits.
Nur weil du denkst, es wäre nicht rassistisch, heißt das noch lange nicht, dass es nicht rassistisch ist. Trang Nguyen
Nicht alle Videos zeigen rassistisches Verhalten, manche auch einfach geizige oder nervige Gäste. Denn zuerst wollte Trang nur Videos produzieren, mit denen sich Leute aus der Gastronomie identifizieren können, sagt sie. Eine Serie sei nie geplant gewesen. Aber mit der Zeit ging es immer öfter um vietnamesisches Essen, Vorurteile gegenüber asiatischen und asiatisch gelesenen Menschen und Rassismus. "Was im Alltag immer wieder vorkommt, ist, dass Leute sagen: 'Sie sprechen ja so gut Deutsch!' Dann sag ich: 'Ich bin ja auch hier geboren, ist doch normal.'" Außerhalb des Restaurants würde sie auf solche Bemerkungen anders reagieren. "Da mache ich meistens meinen Mund auf, sage 'Das geht nicht' und erkläre das den Leuten." Aber als Kellnerin dürfe sie die Gäste nicht vor den Kopf stoßen. "Manche könnten das in den falschen Hals kriegen und nicht mehr wiederkommen. Das wollen meine Eltern nicht."
Mit ihren Videos will Trang aufklären: "Nur weil du denkst, es wäre nicht rassistisch, heißt das noch lange nicht, dass es nicht rassistisch ist." Die Erlebnisse gingen ihr selbst aber nicht so nahe, sagt sie. Viel eher treffe es sie, wenn sie Rassismus ihren Eltern gegenüber mitbekomme. "Sie haben ihr Heimatland nicht verlassen, um hier beleidigt zu werden."
In der Schule erzählte man herum, Trangs Vater sei bei der MafiaMit den Restaurant Stories ist Trang unter dem Usernamen mafiatrang auf bekannt geworden. Ein Spitzname, der sich daraus ergab, dass während der Schulzeit jemand das rassistische Klischee rumerzählte, ihr Vater sei bei der Mafia. Allein mit dem eingangs beschriebenen Clip hat sie über 400.000 Menschen erreicht, rund 145.000 folgen ihr, insgesamt haben alle ihre Videos bis jetzt 6,8 Millionen Likes bekommen. Zum Vergleich: Der Rapper Capital Bra zählt zu den aktivsten deutschen Stars auf der Plattform und hat rund 1,8 Millionen Follower*innen und insgesamt 16,9 Millionen Likes. Das macht rund neun Likes pro Follower*in. Bei Trang kommen auf eine*n Follower*in rund 47 Likes. Ihre Reichweite ist also vergleichsweise überschaubar, aber ihre Videos sind sehr beliebt. Das will sie nutzen, um die Perspektive einer Minderheit in Deutschland in den Mainstream zu bringen: ihre Realität als Vietdeutsche.
Der Hype um TikTok erreichte im ersten Lockdown einen Höhepunkt, im April 2020 wurde die App in Deutschland viermal so oft heruntergeladen wie im Vorjahresmonat. Aus den neuen Nutzer*innen sind viele kleine Stars hervorgegangen. Darunter sind mehr deutsche Asiat*innen und Vietdeutsche als auf anderen Social-Media-Plattformen, beobachtet Trang: "Wenn ich an deutsche Vietnamesen auf YouTube denke, fallen mir spontan nur zwei Leute ein, Kisu und Hazel. Wenn ich an TikTok denke, fallen mir direkt mehr ein: Minh, Bao-Chii und Henry, sontvn und seine Schwester Linh." Auch in den Rankings von Rezos Social-Media-Tool Nindo sind Mitte Januar 2021 unter den Top 100 TikTok-Creator*innen drei Vietdeutsche, Son Tran sowie die Geschwister Henry und Bao-Chii Nguyen. Nicht viele, aber mehr als auf anderen Plattformen.
Wenn sie nicht auf TikTok ist, lernt Trang gerade für ihr erstes Staatsexamen in Jura. Sie wohnt in Berlin, fährt aber alle zwei Wochen zu ihrer Familie, um im Restaurant auszuhelfen. In welche Stadt, möchte sie nicht verraten, damit das Lokal nicht identifizierbar ist. Ihre Eltern will sie aus ihren Aktivitäten auf TikTok heraushalten. Von einer anderen TikTokerin, die ähnliche Videos macht, habe Trang mitbekommen, wie Leute oft Scherzanrufe im Restaurant der Eltern machten oder dort nach ihr fragten. In einem anderen Fall auf YouTube habe ein Shitstorm um die betreffende Person dafür gesorgt, dass das Restaurant der Eltern massenhaft schlechte Bewertungen auf Google erhielt. Das will Trang vermeiden.