WAS UNS HÄLT
Als erster
italienischer Film seit elf Jahren eröffnete „Was uns hält“ 2020 die Covid-Ausgabe
der Internationalen Filmfestspiele von Venedig und startete anschließend unter
Pandemiebedingungen in wenigen italienischen Kinos. Im vergangenen Jahr erwarb
der WDR die TV-Rechte und finanzierte damit die Synchronisation.
So ist Daniele Luchettis Antwort auf „Szenen einer Ehe“ in diesem Sommer bei
uns zu sehen, während im Produktionsland bereits sein Nachfolgeprojekt
„Confidenza“ angelaufen ist. Beide basieren auf Romanen von Domenico Starnone,
mit dem Luchetti schon am Drehbuch zu seinem erfolgreichen Coming-of-Age-Film „La
Scuola“ (1995) gearbeitet hat. Mit „Was uns hält“ knüpft der
Regisseur, der zuletzt unter anderem die dritte Staffel des Serienhits „Meine
geniale Freundin“ inszenierte, dann auch an die Themen früherer
Tragikomödien an: die dysfunktionale, bürgerliche Kleinfamilie wie in „Mein
Bruder ist ein Einzelkind“ und das Scheitern einer Beziehung wie in „Anni
felici – Barfuß durchs Leben“.
Leichtfüßig ist in diesem Fall
allerdings nichts, vielmehr handelt es sich um eine schwermütige, bittere Abrechnung
mit der Ehe. Das Drama beginnt in
Neapel, Anfang der 1980er-Jahre. Vanda (Alba Rohrwacher) und Aldo (Luigi Lo Cascio)
haben gerade ihre Kinder Anna und Sandro ins Bett gebracht, als
Aldo beschließt, seiner Frau einen Seitensprung zu beichten. Vanda, die nur
seinetwegen nach Neapel gezogen ist und sich um den Haushalt kümmern muss,
während er sich in Rom als Buchkritiker beim Radio wichtig macht, bedrängt ihn daraufhin mit
Besitzansprüchen und dem „Pakt“, den sie vor dem Traualtar geschlossenen haben.
Er gibt schließlich – gezwungenermaßen
– zu, dass er sich in seine jüngere Kollegin Lidia (Linda Caridi) verliebt hat.
Vanda wirft ihn aus der Wohnung, erhält schon bald das alleinige Sorgerecht und
unternimmt vor den Augen der Kinder einen Selbstmordversuch.
Einige Jahre später –
Aldo wohnt inzwischen bei Lidia in Rom – gibt es auf Drängen der Geschwister ein
Wiedersehen mit ihrem Vater, das in vielerlei Hinsicht Folgen hat. Von hier aus
gleitet der Film sehr elegant mit einem quasi unsichtbaren Schnitt über in die
Gegenwart, es sind nun mehr als drei Jahrzehnte vergangen, Vanda (jetzt verkörpert
von Laura Morante) und Aldo (Silvio Orlando) leben wieder zusammen in Neapel. Nach
einem Kurzurlaub finden sie ihre Wohnung völlig verwüstet vor, Vanda verdächtigt
hinter dem Einbruch sofort die junge Paketbotin, der Aldo zuvor etwas zu viel
Aufmerksamkeit geschenkt hat. Der alte Eifersuchtskonflikt flammt wieder auf,
und angesichts der buchstäblich vor ihnen ausgebreiteten Trümmer einer Ehe kommt
es zu einer brutal ehrlichen Aussprache.
Während der Film zwischen drei
Zeitebenen und Perspektiven wechselt, wird die elterliche Selbstaufopferung immer
mehr in ein anderes Licht gerückt. Vanda, die für Aldos Heimkehr
kämpft wie eine Löwin, und sogar ein bisschen so aussieht mit der Lockenmähne,
die ihr halb den Blick verdeckt, weigert sich, die
Verantwortung für die Familie zu tragen – sie will ihre Unabhängigkeit zurück,
nicht anders als ihr Mann. Der wiederum ist, wie so oft in Luchettis Filmen, hinter der Fassade seiner mühsam
aufgebauten intellektuellen Existenz ein schwacher, feiger Narzisst. Um zusammenleben zu können, sollte
man besser schweigen, sonst würde man sich zerstören, lautet die Ausrede dafür,
dass er nie seine Meinung äußert. Auch in der Beziehung zu Lidia bleibt er
passiv. Liebe ergebe sich schließlich so, erklärt er, eine Bindung hingegen müsse
aufgebaut werden. Aber es ist eben genau diese Bindung, die ihn und die ganze
Familie ein Leben lang quält, wie es seine später erwachsene Tochter Anna (Giovanna
Nezzogiorno) zusammenfasst.
Luigi Lo Cascio wirkt als jüngerer
Aldo mit unbewegter Mine und leerem Blick so gefühllos, dass er schon allein
damit, verständlicherweise, seine Frau in Rage bringt. Die immer großartige Alba
Rohrwacher zeigt hingegen ein ganzes Wechselbad der Emotionen, ihr Gesichtsausdruck schwankt
zwischen Verletzlichkeit und Verachtung, die Kamera spielt dazu geschickt
mit Licht und Schatten, ironisch wird jeder neue Akt des Dramas mit barocker Marschmusik
eingeläutet, genauso opulent ist das Achtziger-Jahre-Produktions- und Kostümdesign.
In Anlehnung an die Romanvorlage lässt Luchetti in der ersten Hälfte des Films die
Protagonisten aus dem Off Briefe an den Ehepartner vorlesen – ein indirektes Duell,
mit Worten als Stichwaffen. Mitunter lässt er Bilder für sich sprechen, etwa
die Szene, die Vanda ihrem Mann macht, als sie ihn mit Lidia auf der Straße
erwischt – stumm aus dem Auto beobachtet von Anna und Sandro. Der zweite Teil schlägt
eher den Ton eines Psychothrillers an, der in einem ebenso überraschenden wie schockierenden
Finale endet. Das hat viel mit Schnürsenkeln zu tun, wie es der Originaltitel
(„Lacci“) vermuten lässt, der in gewisser Weise auch einen Hinweis auf die
Lösung des scheinbar unlösbaren Rätsels gibt, warum Aldo zu seiner Familie
zurückkehrt.
Letztlich steckt hinter dem ganzen verschachtelten Ehedrama ein simples, ernüchterndes Konstrukt: Zwei Menschen, die sich nicht mehr mögen, bleiben trotzdem zusammen, und die Leidtragenden sind die Kinder. „Was uns hält“ hat manchmal Parallelen zu Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“, aber nicht dessen tiefgründigen Scharfsinn, und nicht den warmherzigen Humor von Noah Baumbachs „Marriage Story“. Sie habe Aldo sowieso nie geliebt, sagt Vanda gleich zu Beginn. Und tatsächlich gibt es keinen Moment, in dem das Paar mehr als einen Anflug von Zuneigung oder Respekt füreinander zeigt. Es wird damit auch dem Zuschauer schwergemacht, Sympathie für diese Partnerschaft aufzubringen, wenn das einzige Verbindende, nun ja, die Verbindung ist – oder, bildlich gesprochen, ein Paar Schnürsenkel. Man wünscht sich lediglich genau wie Anna und Sandro, dass diese endlich jemand trennt.