Christina Schott

Journalistin, Südostasien-Analystin, Berlin

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Buch

Indonesien auf der documenta fifteen: Von der Kunst, in Dialog zu treten

Stiftung Asienhaus, August 2022 –

Viele Kunst- und Indonesien-Interessierte fieberten der documenta fifteen entgegen. Als kurz nach der Eröffnung der Ausstellung auf dem Banner People’s Justice der indonesischen Künstler:innengruppe Taring Padi eine Figur entdeckt wurde, die sich antisemitischer Bildsprache bediente, rückte die Kunst jedoch in den Hintergrund. Die documenta fifteen katapultierte sich in die Medien und Politik. Die Empörung war groß. In diesem aufgeheizten Klima wurden zwar immer wieder Rufe nach Dialog laut, der aber bisher nicht oder nur ansatzweise geführt werden konnte. Dabei liegt gerade hierin eine Chance, voneinander zu lernen und so globalen Problemen wie Antisemitismus, kapitalistischer Ausbeutung sowie die Aufarbeitung und Nachwirkungen des Kolonialismus gemeinsam zu begegnen.

Wir sind davon überzeigt, dass antisemitische Bildsprache auf dem Kunstwerk People’s Justice von Taring Padi thematisiert und kritisiert werden muss. Gleichzeitig sind die
Arbeiten von Taring Padi in der indonesischen Kunstszene nach der Suharto-Herrschaft und im gegenwärtigen postkolonialen Diskurs ein wichtiger Teil der indonesischen
Zivilgesellschaft. Die Gruppe setzt sich seit mehr als 20 Jahren für Menschenrechte, Demokratie und Toleranz gegenüber religiösen und ethnischen Minderheiten ein. Deswegen verdient ihre Kunst Beachtung und darf nicht auf die in den Medien vieldiskutierten Details des Werkes People‘s Justice reduziert werden.

Die documenta hat immer wieder für Skandale gesorgt. In ihrer Anfangszeit stand dabei insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Fokus. Als die erste documenta 1955 eröffnet wurde, war die Kunstaustellung auch als ein Neuanfang konzipiert worden: Westdeutschland wollte an die Moderne des Westens anschließen. Doch auch Künstler mit Nazi-Vergangenheit konnten ihre Werke präsentieren, und Werner Haftmann, der zusammen mit Arnold Bode die ersten documenta Kunstschauen leitete, war, wie später bekannt wurde, NSDAP-Mitglied. In der Anfangszeit bot die documenta jüdischen Künstler:innen hingegen keinen Raum. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde die documenta insgesamt internationaler und öffnete sich allmählich auch für Künstler:innen aus dem Globalen Süden. Als Okwui Enwezor 2002 die Leitung der documenta 11 übernahm, wurde die Kunstaustellung erstmals von einem Kurator aus dem Globalen Süden geleitet.
 
Zwanzig Jahre später ging man in Kassel noch einen Schritt weiter: Mit ruangrupa
aus Indonesien wurde gleich ein ganzes Kollektiv mit der Leitung der documenta betraut. Mit ihrem lumbung (Reisspeicher)-Konzept, das Solidarität und kollektive Arbeitsweise betont, möchten ruangrupa den Blick für globale Probleme auch aus der Sicht des Globalen Südens stärken, aber gleichzeitig betonen, dass Probleme wie Kriege, der Klimawandel oder soziale Ungleichheit Menschheitsprobleme sind, die nur gemeinsam zu lösen sind.

Allerdings kreiste die Diskussion in Deutschland schon lange vor der Eröffnung der diesjährigen documenta am 18. Juni 2022 um ein anderes Thema. Seit auf einem Kasseler Blog Anfang des Jahres Vorwürfe laut wurden, dass ruangrupa und andere Künstler:innen, die auf der documenta ihre Werke ausstellen werden, judenfeindliche Ansichten hätten, haben einige Medien diese Anschuldigungen aufgegriffen. Viele Anschuldigungen stellten sich als unhaltbar heraus, wie dann die Leitung der documenta betonte und leider reproduzierte der Blogeintrag auch rassistische Klischees. Auch die einfache Gleichsetzung von Antizionismus, Israel und Antisemitismus, wie sie sich auf dem Blog findet, erschwert eine sachliche Auseinandersetzung.

Nichts desto trotz war das Thema Antisemitismus gesetzt, und schon kurz nach der Eröffnung kam es dann zum Eklat. Auf einem Bild des indonesischen Künstler:innenkollektives Taring Padi waren zwei Figuren zu sehen, die für Empörung sorgten: Zum einen handelte es sich um einen Soldaten mit Gasmaske – oder in anderen Lesarten, mit Schweinegesicht – der auf seinem Helm die Aufschrift ‚Mossad‘ trägt. Zum anderen befindet sich in dem acht mal zwölf Meter großem wimmelbildartigen Banner auch eine Figur mit Schläfenlocken, roten Augen, Anzug und einem Hut, auf dem SS-Runen abgebildet sind – also eine Figur mit stereotypischen antisemitischen Darstellungen und einer Opfer-Täter Verkehrung, symbolisiert durch das SS-Symbol am Hut. Beide Darstellungen befinden sich auf der linken Seite des Banners, in dem die bösen Mächte dargestellt werden.

Das Werk wurde im Jahr 2002 von mehreren Künstler:innen angefertigt, so dass heute schwer zu sagen ist, wer die entsprechenden Stellen gemalt hat. Wie Taring Padi als Kunstkollektiv mit linkem Selbstverständnis immer wieder betont, ging es darum, kapitalistische und neokoloniale Ausbeutungsstrukturen auf der linken Seite des Werkes darzustellen, und dabei eine Bildsprache zu verwenden, die auch von Arbeiter:innen und Bäuer:innen verstanden wird, und nicht darum, Jüd:innen zu diskreditieren. Die interessante Frage ist allerdings, warum diese Kapitalismuskritik unter anderem auf antijüdische
Symbolsprache zurückgreift und welche anderen Darstellungsformen hier stattdessen angebracht wären. Leider wurden es aber zunächst versäumt hierzu eine sachliche
Debatte mit den Kollektiven zu führen.

Diejenigen, die im Vorfeld der documenta Judenfeindlichkeit befürchteten, sahen sich bestätigt: Wie konnte es sein, so der Tenor, dass auf einer Kunstausstellung in Deutschland Abbildungen gezeigt werden, die an die antijüdische NS-Propaganda erinnern? In andere Beiträge wird betonten, dass Antisemitismus und antisemitische Bildsprache ein globales Problem darstellen. Wieder andere prangern eine Antisemitismus-Akzeptanz in Deutschland an. Was jedoch in den Medien nur spärlich Raum fand waren Beiträge, die den kulturellen Kontext Indonesiens beleuchteten. Dabei darf es natürlich nicht darum gehen, antisemitische Bildsprache durch einen Kulturrelativismus zu verharmlosen. Wohl aber ist es wichtig nach der Entstehung und der Adaptionen dieser Bildsprache zu fragen. Ein Weg führt sicherlich zurück in die Kolonialzeit und verweist auf den Export antisemitischer Stereotypen in die Kolonien, wie auch Ade Darmawan von ruangrupa im Interview in dieser Broschüre erklärt.
 
Allerdings kann auch ergänzt werden, dass im heutigen Indonesien im Zuge einer konservativ-islamischen Wende, in der auch antiisraelische Ressentiments verstärkt auftreten, antisemitische Diskurse aus arabischen Staaten übernommen wurden. Es ist wichtig, die kulturellen Zusammenhänge und die Bildsprache Indonesiens zu verstehen. Nach den Massenmorden an Kommunist:innen zwischen 1965 und 1968, die mit Wissen und zum Teil auch mit Hilfe des Westens durchgeführt wurde, suchen Künstler:innen und Aktivist:innen nach Möglichkeiten, Ausbeutung, Unrecht und Gewalt auszudrücken, über ihre Erfahrungen zu berichten und die Schuldigen zu benennen. Dennoch bleibt Antisemitismus ein Problem, und ein Dialog auf Augenhöhe sollte nicht hinter dieser Feststellung zurückfallen. Hintergründe hierzu liefert der Beitrag von Wulan Dirgantoro und Elly Kent in dieser Broschüre.

Nach den ersten Wochen der Empörung fanden auch Beiträge, die differenzierte Analysen boten, ihren Weg in die Medien. So attestiert beispielsweise der Holocaust-Forscher Michael Rotberg der Darstellung eine antisemitische Reduktion schwer greifbarer Kräfte wie Kapitalismus und Neokolonialismus, weist aber auch auf die Mischung von europäischer und indonesischer Bildsprache hin. Diese Geschichte der Symboliken gelte es nun genauer unter die Lupe zu nehmen. Es meldeten sich aber auch Stimmen zu Wort, die nicht nur Solidarität mit Taring Padi und ruangrupa forderten, sondern gar in Frage stellten, dass es sich bei der Darstellung des stereotypen Juden mit Reißzähnen und Schläfenlocken um eine antisemitische Darstellung handelte. So kontraproduktiv die Empörungswelle in ihrem oft anmaßenden, belehrenden Ton war, so ist es doch auch sehr problematisch, wenn die offensichtlich antisemitische Bildsprache geleugnet wird: In dem Bild geht es selbstverständlich um Kapitalismuskritik, die aber in dem besagten Werk zum Teil mit dem höchst problematischen Mittel der antisemitischen Bildsprache betrieben wurde.

ruangrupa und Taring Padi haben sich längst öffentlich dafür entschuldigt, dass mit dem Bild Gefühle von Jüd:innen verletzt wurden, haben aber auch betont, dass sie es sehr
bedauern, dass es kaum Möglichkeiten für einen respektvollen Dialog gab in dem sowohl sie als auch die Kunstinteressierten in Deutschland etwas lernen können. Im Interview „Wir übernehmen Verantwortung“ in dieser Broschüre mit Kate Brown reflektiert Taring Padi die Kontroverse um seine Kunst. Diese wird nicht nur in Deutschland heftig diskutiert, sondern die Künstler:innen sehen sich auch der indonesischen Kulturszene mit Fragen konfrontiert – die jedoch in eine andere Richtung gehen, wie Christina Schott in ihrem Beitrag „Von der Kunst, einander zu verstehen“ berichtet.

Mit unserer Broschüre möchten wir in das kulturelle und politische Umfeld, in dem Taring Padi arbeitete und das Bild entstanden ist, Einblicke geben. Vanessa von Gliszczynski stellt uns Taring Padis Werke in den Kontext indonesischer Geschichte seit der gewaltsamen Machtergreifung Suhartos 1965. Es geht darum zu vermitteln welche Intention die Künstler:innen hatten, und dass es ihnen nicht um das Propagieren von Judenhass ging. Dies anzuerkennen wäre eine Grundvoraussetzung eines ernsthaften Dialogs durch den auch die Künstler:innen aus Indonesien etwas mitnehmen können. Andersherum halten wir es für wichtig, über die Ziele und Kontexte der Kunstwerke aus Indonesien aufzuklären, damit auch Kunstinteressierte hierzulande sich mit Themen wie globale Ungleichheiten und Ausbeutungssysteme in Indonesien, auseinandersetzen. 

ruangrupa war mit dem lumbung-Konzept angetreten um auf der documenta fifteen einen Raum für Austausch zu schaffen. Austausch bedeutet auch kritischer Dialog, Austausch lebt von unterschiedlichen Positionen. ruangrupas lumbung-Konzept basiert auf einem egalitären Austausch, und es liegt hier an der Gemeinschaft der Künstler:innen und der Besucher:innen zu diskutieren was Kunst darf und soll, um dann gemeinsam darüber entscheiden zu können. Für den Abbau des Banners People’s Justice gibt es gute Gründe, aber es wäre wichtig gewesen, diese zunächst im Dialog mit den Künstler:innen zu erarbeiten.

Ziel eines Dialoges darf es nicht bloß sein, sich hierzulande zu empören, sondern auch aktiv etwas zum Abbau von antisemitischen Ideologien zu leisten. Antisemitische Symbolsprache, die einst durch den Kolonialismus nach Indonesien gelangte, wird nun mitunter verwendet um das Leid der Palästinenser:innen oder generell neokoloniale oder kapitalistische Praktiken zu kritisieren. Das ist gefährlich, auch für die Jüd:innen in Indonesien selbst, die aufgrund antisemitischer Ressentiments ihren Glauben nur noch im Verborgenen praktizieren können. Was es bedeutet in Indonesien jüdisch zu sein, schildert uns Devandy Ario Putro in einem sehr persönlichen Beitrag.

Dennoch ist es nach unserem Dafürhalten wichtig, die Bezugspunkte, die aus den Erfahrungen des Kolonialismus und Neokolonialismus hervorgegangen sind, erst zu nehmen, um gemeinsam zu überlegen, wie unterschiedliche Leiderfahrungen in Kunst und politischen Ansichten zum Ausdruck kommen können. Indonesien hat eine leidvolle Geschichte. Koloniale Ausbeutung, der Kampf um Unabhängigkeit, der Massenmord an Anhänger:innen und Mitgliedern der Kommunistischen Partei, der je nach Schätzung einigen Hunderttausend bis drei Millionen Menschen das Leben kostete und die darauf folgende 32-jährige Diktatur sind nur einige Episoden, von denen uns indonesische Kunst berichtet.

Wir hoffen, mit dieser Broschüre einen Beitrag für einen Dialog zu leisten, der bei allen Emotionen auch darauf setzt zu verstehen. Dafür bietet diese Broschüre Hintergründe und Analysen. Doch was eignet sich dazu mehr, als die Künstler:innen und Aktivist:innen von ruangrupa und Taring Padi zu Wort kommen zu lassen.

Wir wünschen allen Leser:innen eine informative Lektüre und wertvolle Perspektiven.

Nora Drohne, Timo Duile, Raphael Göpel, Monika Schlicher
und Christina Schott