John White trägt Schlips und Kragen, Old MacDonald eine grobe Latzhose. John White sitzt im klimatisierten Büroturm, Old MacDonald weht frische Landluft um die Nase. Gegensätzliche Arbeitswelten? Ja und nein. Denn: Für John White ist sein Handheld das wichtigste Arbeitsgerät - und für den alten MacDonald auf seinem Bauernhof inzwischen auch. Das Szenario beschreibt den typischen Manager des weltweit führenden Saatgutherstellers Monsanto und seinen charakteristischen Kunden, den Landwirt. Der Saatgut-Gigant aus St. Louis in den USA bietet heute mit der Plattform Integrated Farming Systems (IFS) für diese Klientel spezielle Services an, um per intelligenter Datennutzung mehr aus dem Boden herauszuholen. Der clevere Hintergedanke dabei: Wer diesen Service einmal schätzen gelernt hat, wird seinen Saatgutanbieter nicht so schnell wechseln.
der Endverbraucher ermitteln die Route zum Fachgeschäft im Internet
Hier klicken
In der zunehmend globalisierten Landwirtschaft geht es längst nicht mehr um Getreide, Mais oder Baumwolle. Sondern um Datenanalysen, Applikationen und IT. Was Landwirte aus alter Tradition wissen, ergänzt Monsanto heute um Hightech - eine Form der Kundenbindung, die Früchte tragen soll. Was Unternehmen im Konsumentenbereich (B2C) wie etwa Apple bereits zur Perfektion gebracht haben, hält jetzt auch im Geschäftskunden-Bereich (B2B) Einzug: Mit einer ganzheitlichen Palette an Produkten und Services sollen Kunden möglichst eng an das Unternehmen gekettet werden. „Lock-in" nennen Marketingspezialisten diese digitale Form der Kundenbindung. Zu Deutsch: So gehen die Kunden an den Haken.
Monsanto ist nur ein Beispiel für diese Entwicklung. Inzwischen entdecken zahlreiche bislang analoge B2B-Unternehmen vom Gabelstapler-Produzenten bis zum Reifenhersteller den Charme und Nutzen innovativer digitaler Services. Wie Raphael Heiner, Head of Mobile Solutions bei PwC, beobachtet, verändert das mobile Internet allmählich ganze Industriebranchen. „Mobile Lösungen machen es möglich, dass Vertriebsmitarbeiter an jedem beliebigen Ort Verträge abschließen und von unterwegs aus jederzeit auf wichtige Kundeninformationen zugreifen", sagt er. Das freut die Kunden, weil sich beispielsweise Wartezeiten verringern, und das Unternehmen sammelt Pluspunkte.
der mobilen Shopper vergleichen schon von zu Hause aus den Preis bestimmter Waren
Hier klicken
der Konsumenten sind beim Laden-Einkauf gleichzeitig in Social Media eingecheckt
Hier klicken
„Wer als Erster mit mobilen
Angeboten auf den Markt geht,
verschafft sich den entscheidenden
Vorsprung, um frühzeitig
der Kunden möchten mobile Einkäufe auch mobil bezahlen
Hier klicken
Länger bleiben - mehr kaufen
Ein fauler Sonntagnachmittag auf dem Sofa. Die Kakaotasse in der einen Hand, in der anderen das Tablet - so sieht heute Shopping aus. Mobile Handhelds „eröffnen neue Zeitfenster für den Einkauf", sagt Gerd Bovensiepen, Partner und Leiter des PwC-Bereichs Retail & Consumer. Doch nicht nur auf dem heimischen Sofa wird online eingekauft, sondern auch von unterwegs aus. Und der Konsument recherchiert direkt im Geschäft, ob der Lieblingspulli nicht im Internet oder bei der Konkurrenz billiger zu haben ist. „Wahrscheinlich gibt es dafür bald Apps, die auch gleich ausrechnen, ob die Preisdifferenz den Zeit- und Kostenaufwand für die Fahrt zu einem anderen Geschäft rechtfertigt", schmunzelt der Handelsexperte.
Für den Handel heißt das: Nicht nur der Wettbewerb zwischen Online- und Offlineshops verschärft sich, sondern auch die Konkurrenz der stationären Händler untereinander. Wer von den neuen Technologien profitieren will, muss den Kunden Einkaufserlebnisse bieten, sprich Offline- und Onlinewelten intelligent verknüpfen. „Über QR-Codes lassen sich technische Daten, Anwendungshinweise oder Videos zum Produkt im Regal direkt auf das Smartphone schicken", so Bovensiepen. Auch kostenloses WLAN oder Ladestationen für das Handy locken die Verbraucher ins Geschäft und halten sie dort - am besten noch mit personalisierten Angeboten. Und wer länger bleibt, der kauft möglicherweise auch mehr. Apple setzt dazu die Technologie iBeacon ein. Kleine Sender (Beacons) im Raum senden in festen Zeitabständen Signale aus. Auf Basis dieser Beacons können gezielt Produktinformationen und Hinweise auf Sonderangebote direkt am Regal eingeblendet werden. Apple möchte damit die Wege der Besucher lenken und deren Kaufverhalten detailliert analysieren. Mit einer ähnlichen Idee will auch die Hamburger Firma ECE, die Einkaufszentren managt, Kunden anbeißen lassen. „An den Einkaufszentren geht der Einfluss des Digitalen auf die Gesellschaft nicht vorüber", ist Geschäftsführer Alexander Otto überzeugt. Aktuell testet ECE in Essen und Hamburg Apps, die dem Verbraucher bei Betreten der Mall Neuigkeiten aus den Geschäften und Hinweise zu Rabatt-Aktionen auf das mobile Handheld schicken.
Marktanteile zu gewinnen."
Zuwachs werden 2015 für die Budgets im Digitalen Marketing erwartet
Hier klicken
Raphael Heiner, PwC-Experte für mobile Lösungen
Dabei setzen die Branchen ganz unterschiedliche Prioritäten. So stehen bei Banken, Dienstleistern und der Konsumgüterbranche Umsatzwachstum und die Verbesserung der Kundenbindung im Fokus, stellt Heiner fest. In der Industrie geht es eher um effizientere Prozesse im Umgang mit den Kunden. Krankenhäuser dagegen gewinnen durch den Einsatz von Business-Apps mehr Zeit für die Betreuung der Patienten.
Thomas Grandoch, Gründer des Berliner Start-ups Tvib, sieht ohnehin keine großen Unterschiede zwischen B2B und B2C. Sein Unternehmen, schnell gewachsen in einem Accelerator der ProSiebenSat1.Media AG, unterstützt TV-Sender bei der Kundenbindung von Werbekunden. Grandoch erwartet, dass sich der B2B-Bereich künftig zunehmend eng an Vorbildern aus dem Konsumentenbereich orientieren wird: „Eine der wichtigsten Entwicklungen ist die immer weiter fortschreitende Personalisierung - besonders im digitalen Bereich. Dinge wie personalisierte Werbung und personalisierte Newsletter sind ja in der Konsumentenbetreuung längst Standards." Technologische Entwicklungen wie Location-based Services, die wissen, wo sich der Kunde gerade tummelt, erwartet PwC-Experte Heiner künftig auch im Geschäftskunden-Umfeld. Und rät zum Handeln: „Wer als Erstes mit solchen Angeboten auf den Markt geht, verschafft sich den entscheidenden Vorsprung, um frühzeitig Marktanteile zu gewinnen."
So können Unternehmen mobilen Shoppern vor Ort Angebote auf das Smartphone schicken, wenn der Konsument etwa in der Fußgängerzone unterwegs ist - und ihn so in den Laden dirigieren. „Auch die B2B-Unternehmen tun gut daran, mittels digitaler Lösungen und Services mehr über ihre Kunden und deren Produktnutzung und Präferenzen zu erfahren", ist sich Heiner sicher. Eine Entwicklung, die nicht jeder gerne sieht. Die EU-Initiative Klicksafe.de appelliert bereits an Smartphone-Nutzer: „Der eigene Standort ist ein schützenswertes Gut!" Bleibt abzuwarten, wie Kritiker sich auf eine weitere Entwicklung einschießen, die gerade beginnt, ihren Weg auch im B2B-Bereich zu finden: Gamifikation, die Integration von spielerischen Elementen in den Arbeitsalltag. „Mit der Spielfreude steigen Spaß, Aufmerksamkeit und Motivation; komplexe Sachverhalte werden plötzlich greifbar und verständlich", sagt Franziska Metzger, Lead IT-Consultant beim Münchener IT-Dienstleister MaibornWolff - und blickt in die Zukunft: „Der Mut, diesen heute oft noch befremdlich wirkenden Weg auch im B2B-Bereich einzuschlagen und das Geschäftsleben mit Gamification-Elementen anzureichern, führt zu engerer Zusammenarbeit und hohem Informationsaustausch mit dem Kunden."
„Wer als Erster mit mobilen Angeboten auf den Markt geht, verschafft sich den entscheidenden Vorsprung, um frühzeitig Marktanteile zu gewinnen." „Wer als Erster mit mobilen Angeboten auf den Markt geht, verschafft sich den entscheidenden Vorsprung, um frühzeitig Marktanteile zu gewinnen."Bei der Aschaffenburger Firma Linde Material Handling kommt die Kundenbindung derzeit noch ohne spielerische Elemente aus. Das Unternehmen hat handfeste digitale Lösungen entwickelt, mit denen sich die Linde-Gabelstapler mit den IT-Systemen der Kunden vernetzen. Die Lösung ist systemoffen, sodass damit auch Kunden angesprochen werden, die keine Stapler aus dem Hause Linde fahren. Seit Mitte 2014 bündelt das Unternehmen sein Know-how aus Flotten-Management, Logistik-IT und Konnektivität im Geschäftsfeld Connected Solutions. „Wir bieten ein Baukastensystem an und stellen daraus kundenspezifische Lösungen zusammen, denn die Anforderungen auf Kundenseite sind nie gleich", sagt Maik Manthey, Vice President New Business & Products. „Der Kunde kann verschiedene Technologien für den Fahrzeugzugang und die Datenübertragung auswählen: die Funktionalitäten, die er braucht, und auch, ob er über ein lokales System oder über unsere Cloud-Server auf die Daten zugreifen will." Seit mehreren Monaten nutzt eine erste Gruppe ausgewählter Kunden und Key-Accounts das neue connect:System. Lob erhält Manthey von diesen für die Nutzerfreundlichkeit: „Unsere Software ist so einfach zu bedienen, wie die Kunden das vom Internet und anderen Anwendungen gewohnt sind, auch von Endgeräten wie Smartphones oder Tablets aus." Als nächste Features zur Kundenbindung plant Linde Material Handling die Fahrzeuglokalisierung und ein Batterie- beziehungsweise Energiemanagement. „Es wird in Kürze eine Smartphone-App geben, mit der die Fahrer den vorgeschriebenen Fahrzeug-Check zu Schichtbeginn durchführen und zum Beispiel Fotos von Beschädigungen sofort ins System hochladen können", beschreibt Manthey den künftigen Kundendienst.
Nicht das ganze Fahrzeug, sondern speziell den Zustand der Reifen können Trucker und Berufsfahrer mit einem Kundenservice von Michelin Solutions überprüfen. Das Karlsruher Unternehmen aus der Michelin-Gruppe setzt Telematik-Lösungen und vernetzte Systeme ein, um die Performance jedes einzelnen Reifens zu dokumentieren. Eine Systemlösung namens Effifuel hilft Flottenbetreibern bei Pkw, Lkw und Erdbewegungsmaschinen dabei, Kraftstoff zu sparen. Das funktioniert so: Michelin Solutions installiert in allen Zugmaschinen und Motorwagen Telematik-Boxen. Diese erfassen Daten zum Treibstoffverbrauch sowie verschiedene Parameter der Fahreigenschaften und Fahrzeugdaten. Die Karlsruher arbeiten dabei mit einem Telematik-Spezialisten zusammen. Gemeinsam mit diesem Partner analysieren speziell ausgebildete Treibstoffanalysten die Daten, werten sie aus und leiten Handlungsanweisungen für den Kunden ab. Der Fahrer selbst braucht übrigens keine IT-Affinität aufzubringen - er muss keinerlei Daten eingeben.
Ist die Technik installiert, analysiert der Treibstoffanalyst wöchentlich den Kraftstoffverbrauch und die Faktoren, die den Verbrauch beeinflussen. Dazu gehören auch die Fahreigenschaften. Wie bremst, beschleunigt, schaltet ein Fahrer? Fährt er vorausschauend? Auf Basis der Auswertungen schult ein Trainer die Fahrer einzeln. Außerdem analysiert Michelin Solutions die vorhandene Bereifung. Setzt der Kunde rollwiderstandsoptimierte Reifen - zum Beispiel von Michelin - ein? In welchem Zustand sind die Reifen? Sind sie mit dem korrekten Reifenfülldruck unterwegs? „Aus all diesen Parametern bilden wir pro Fahrzeug und Fahrer einen sogenannten Ecoscore", erklärt André Ewert, Geschäftsführer der Michelin Solutions Deutschland GmbH. In wöchentlichen digitalen Reportings kann der Kunde den Ecoscore verfolgen und so zeitnah sehen, wie die ergriffenen Maßnahmen wirken. Zugriff auf die Daten hat der Kunde über ein Online-Portal. Noch steckt Effifuel in der Startphase. Dennoch bewertet das Unternehmen den Service bereits als Erfolg: „Transportunternehmen, deren Lkw im Fernverkehr eingesetzt sind, kann Michelin Solutions schon heute Kraftstoffeinsparungen von bis zu 1,5 Litern pro hundert Kilometer pro Nutzfahrzeug verbindlich zusichern. Ein Unternehmen mit 200 Lkw und einer Jahresfahrleistung von jeweils 120.000 Kilometern spart 1.800 Liter Kraftstoff pro Fahrzeug. Bei einem angenommenen Dieselpreis von 1,20 Euro kann die gesamte Flotte bis zu 360.000 Liter weniger Kraftstoff verbrauchen. Der Spedition winken Kosteneinsparungen von bis zu 432.000 Euro. Je nach Betrieb kann dies eine Verdopplung der Marge bedeuten", sagt Ewert.
Mit dem Argument der Kostensenkung lassen sich auch im Medienbereich besonders gut Kunden ködern und binden. „Die eine Hälfte meiner Werbe-Ausgaben ist rausgeschmissenes Geld - leider weiß ich nicht, welche." So beklagte sich schon der legendäre Autobauer Henry Ford vor fast 100 Jahren über mutmaßliche Geldverschwendung in seinem Unternehmen. Auch wenn es Fernsehwerbung damals nicht gab - heute verliert sie in Zeiten von Smartphone und Co. zunehmend an Aufmerksamkeit. Fernsehkonsumenten zücken immer öfter gleichzeitig zum TV auch ihre mobilen Geräte wie Smartphones und Tablets. Sie unterhalten sich im Netz über die aktuelle Sendung oder bewegen sich in Werbepausen in den sozialen Netzwerken. Diesen Trend zur Parallelnutzung legt das Berliner Start-up Tvib bei seiner Technologie zugrunde. Zum einen misst sie Sekunden nach der Ausstrahlung die Kundenreaktionen auf den Online-Angeboten des Werbetreibenden. Zum anderen schaltet sie parallel selbst Online-Werbung, etwa in sozialen Medien. So wird zum TV-Spot einer Marke gleichzeitig online per Banner für dessen Webshop geworben. Durch diese Synchronisierung wird die TV-Werbewirkung bei Parallelnutzern optimiert. „Es geht dabei nicht nur um sogenannte ‚Secondscreener', die sich während des TV-Konsums mit anderen Zuschauern austauschen, sondern auch um Nutzer, die während einer TV-Sendung beispielsweise bei Facebook oder anderswo im Netz unterwegs sind", so Thomas Grandoch. Der Tvib-Gründer hat sich damit bereits Kunden wie den Autobauer Nissan und das Vermittlungsportal Parship geangelt - die sich von Tvib versprechen, damit ihrerseits die Kunden nicht mehr vom Haken zu lassen. Unternehmen wie Tvib, die digitalen Zusatznutzen für Geschäftskunden bieten, werden für analoge Firmen zunehmend interessanter - als Partner oder gleich als Übernahmekandidaten. „Spätestens in fünf Jahren, wenn nicht schon früher, werden nur noch diejenigen Unternehmen erfolgreich sein, die ihre Kunden und den Nutzungskontext des Kunden richtig verstehen und prognostizieren können", erwartet PwC-Experte Raphael Heiner.
Der US-Konzern Monsanto ist bereits auf diesem Weg. Ende 2013 kaufte Monsanto-Chef Hugh Grant für rund eine Milliarde US-Dollar den Wetterdaten-Spezialisten Climate Corporation. Die junge Firma liefert Landwirten wie Old MacDonald seit 2014 mit der Lösung „Field Scripts for corn" nicht nur Wetter-Informationen, sondern inzwischen auch auf die Klimaverhältnisse abgestimmte Ernteausfall-Versicherungen. Ein für Monsanto bisher neuer Zweig. Mit digitalen Angeboten in den Bereichen Saatgut-Effizienz, Bodenanalyse und Versicherung macht sich Monsanto fortan zum unentbehrlichen Partner seiner Kunden.