Brigitte Neumann

Radio- und Printjournalistin, Buchholz

1 Abo und 0 Abonnenten
Rezension

Über AL Kennedys Essays zum Thema SCHREIBEN.

Sie ist verrückt nach dem Geschichtenerfinden und hat mal einen Roman über eine Alkoholikerin geschrieben, Titel: Paradies, um das Phänomen der Sucht zu untersuchen, weil sie fand, dass Schreiben auch eine Sucht sein kann, und dass sie – so wie es aussieht – eine Abhängige ist.

Von ihrer Abhängigkeit berichtet A.L. Kennedy in diesem Band mit Blogs und Essays unter dem Titel „Schreiben“: wie beglückend und fordernd die Arbeit am Bau einer Fantasiewelt schon immer für sie war, und wie dürftig ihr zunehmend der Aufenthalt im wirklichen Leben erschien. Sucht hat etwas mit Flucht aus der Wirklichkeit zu tun. Und A.L. Kennedy beschreibt erstmals die Nebenwirkungen der Droge Schriftstellerei.

Die knabenhafte Schottin, inzwischen Anfang 50, ist eine der besten britischen Schriftsteller, vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Somerset-Maugham-Preis und mit dem Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur. Sie schreibt Hörspiele; ihre erste Novelle „Gleißendes Glück“ lief gerade in den Kinos. Sie ist eine gefeierte Stand-up-Comedian – frotzelt auf der Bühne gegen Atomlager, Kriegseinsätze. Oder sie hält dort eine Rede übers Schreiben, und die gehört zum schönsten Text in diesem Buch. Trotz der Kennedy-eigener Selbstironie, „Words – eine Solo Performance“ ist wie ein Gebet zu Ehren der Kunst des sprachlichen Ausdrucks.

 

Zitat

„Worte - ohne uns verblassen sie, ohne sie sind wir namenlos, sind wir Schweigen. … Und wenn Sie jemals allein, eingesperrt oder verängstigt wie ein Kind gewesen sind, dann werden Worte Sie verstecken. Werden Sie retten. … Sie werden Ihnen leuchten, wohin Sie auch gehen. Und wenn Sie es zulassen, werden die Worte Sie leuchten lassen.“

 

Kommentar

Interviews mit A.L. Kennedy waren immer ein bisschen wie intellektuell anspruchsvolle Versteckspiele. Wie man sie auch lockte, sie mochte kein Wort über sich sagen. Vor vielen Jahren war ich zwei Tage lang in Glasgow mit ihr zusammen, um eine große Magazingeschichte zu schreiben, Fotografen kamen, wir alle bewunderten sie für ihre Geschichten. Aber ihr war die Bewunderung lästig. Höhepunkt des zweitägigen Gerangels war ihr Ausruf: Ich bin kein interessanter Mensch. Nur meine Bücher sind interessant.


Das hat sich geändert. Nun spricht sie über sich.

Über ihren Calvinismus, ihre Einsamkeit, ihre inneren Antreiber: „Vorwärts“ Das Wort steht am Ende jedes Blogeintrags in diesem Buch. Aber der Befehl entpuppt sich als das große Problem der Autorin, die wir hier so gut kennenlernen wie in keinem ihrer bisherigen Werke. Zum Beispiel wenn sie beschreibt, wie schwierig Romananfänge für sie sind:

 

Zitat

„Das fühlt sich an wie nackt und von hämischen Beobachtern umstellt zu sein, während ich ein gefrorenes Klavier über einen matschigen Alpenpass schleife und von allen Seiten Geisterstimmen auf mich einmurmeln: Du bist Scheiße. Das ist eine ganz schlechte Idee. Und: Du hast echt überhaupt keinen erwähnenswerten Arsch in der Hose, oder? … Dennoch kommt es irgendwann immer dazu, dass ich auf das Ding einschlage, bis es zurückschlägt. Es ist herrlich und bewusstseinsverändernd, und ich könnte nicht ohne leben. Vorwärts.“

 

Kommentar

In ihren Romanen und Kurzgeschichten schreibt AL Kennedy über Lust und Leid von Menschen in einer kühlen, anonymen Welt. Ihre Figuren stehen auf der Kippe, gehen sie unter oder haben sie noch die Kraft zu kämpfen? „Misery is enjoyable“ ist einer dieser Kennedy-Sätze, die man nicht vergisst. In einem Essay schreibt sie, dass sie nichts von Jammerliteratur hält, das sei eine Form der Selbstverstümmelung und Energieverschwendung. Und tatsächlich: Ob es um Krieg geht wie im Roman „Day“, um die Liebe zwischen einer Radiomoderatorin und einem Zeitreisenden wie in „Also bin ich froh“ oder um einen pornosüchtigen Psychoguru wie in „Gleißendes Glück“, ihre Geschichten haben eine Intensität, es ist als ob man das Leben besser sehen könnte, weil es sich in ihren Romanen endlich zu erkennen gibt.

Nun erfahren wir, was es A.L. Kennedy kostet zu schreiben. Die selbstverordnete schmerzvolle Einsamkeit, das gnadenlose Arbeitsprogramm, der Perfektionsanspruch bei jeder Silbe.

 

Zitat

„Ich vergaß eine meiner Grundregeln, liebe Leser, nämlich, dass ich auf mich selbst achtgeben muss, wenn ich irgendetwas bewerkstelligen will. Und sei es nur Tippen. Ich vergaß, dass ich so ein schrecklicher Arbeitgeber meiner selbst bin. … Der Drang weiterzuarbeiten, solange es Arbeit gibt, kann einem das ganze Leben klauen; doch es ist so schwer, ihm zu widerstehen.“

 

Kommentar

Sie schreibt, dass sie bis 45 niemandem je gesagt hatte, dass sie ihn liebe. Noch nicht einmal ihrem Großvater bevor er starb, obwohl er offenbar der Einzige zu sein scheint, der dieses Geständnis verdient. Sie war ein einsames Kind, ein Kind das sich geschämt hat, für die Eltern, die sich trennten, für sein Unglück. Als Kind murmelte sie nur, ihr Spitzname war „the mutterer“. Niemand verstand, was sie sagte.

AL Kennedy, die immer Angst hatte, sich zu entblößen, gibt nun in diesem Kompendium „Schreiben“ Auskunft über sich, über ihr Problem, das sie im Übrigen mit etlichen Schriftstellern teilt:  Sie schreibt zu viel und lebt zu wenig. Aber schließlich ist es so, dass ohne eine Heimat im Leben auch das Schreiben versiegt. Ich erinnere mich, sie später einmal angerufen zu haben, und auf eine verschreckte AL Kennedy getroffen zu sein, die mir zuraunte, es sei nicht mehr sicher, ob sie noch schreiben könne, ob es je noch einen Roman von ihr geben werde. Sie sei nur noch müde. Unendlich müde. Und wahrscheinlich, ja wahrscheinlich sei es so, sie habe es verlernt. Danach erschien der Roman Blau, danach der Band mit Kurzgeschichten „Der letzte Schrei“. Und jetzt „Schreiben“, das A.L. Kennedy – Selbstenthüllungsbuch. Wie alles von ihr ist es ernsthaft niedlich, süß feldwebelnd und herzzerreißend schroff. Mit anderen Worten: Sie werden es lieben.