Alles begann mit einer Reihe von TikTok-Videos zum gleichen Thema. Den Anfang machte die Biochemikerin Rosalind Franklin. Ihre Forschungen trugen wesentlich zum Verständnis des Aufbaus von DNA und Viren bei. Allerdings erhielten zwei Männer, James Watson und Francis Crick, später genau dafür den Nobelpreis. Ich eröffnete mein Video mit dem Satz, „Frauen, deren Leistungen von Männern geklaut wurden und später als die ihren ausgegeben wurden - Teil 1″.
Schon damals ahnte ich, dass daraus eine ganze Serie werden könnte. Mit jedem weiteren Video bekam ich neue Anfragen aus der Community, ob ich nicht alle Geschichten in einem Buch zusammenfassen könnte. Irgendwann habe ich mir einen Ruck gegeben. Ich wollte aber nicht nur 20 Frauen und ihre Biografien vorstellen, sondern gezielt das System dahinter sichtbar machen.
Wissenschaftlerinnen, um ihre Leistung zu bringen, hat eine lange Tradition. Man denke nur an die junge Fossilienjägerin Mary Anning, die die Paläontologie im 19. Jahrhundert voranbrachte, aber erst 150 Jahre nach ihrem Tod richtig gewürdigt wurde. Wie wichtig ist ihre Leistung für nachfolgende Generationen?Im 19. Jahrhundert war die Wissenschaft nur wenigen Frauen zugänglich. Umso bemerkenswerter ist ihre Leistung. Sie mussten sich Zugänge erkämpfen, oft gegen große Widerstände. Viele der ersten Forscherinnen und Entdeckerinnen waren oft Frauen aus gutem Hause. Ihre Eltern legten viel Wert auf die Bildung und bestärkten sie in ihrem steinigen Weg.
Als Pionierinnen haben sie nachfolgenden Generationen den Weg geebnet - längst nicht nur in der Wissenschaft. Man denke nur an Dinge wie das Frauenwahlrecht, die freie Berufswahl ohne Zustimmung des Ehemannes oder heute die gleichberechtigte Verteilung der Sorgearbeit.
Frauen mussten und müssen sich ihre Gleichberechtigung immer wieder erkämpfen, oft auch gegen heftigen Widerstand der Männer. Denn auch das können wir aus der Geschichte lernen: Je stärker Frauen ihre Rechte einfordern, desto stärker ist auch der Widerstand.
Haben es die nachfolgenden Generationen von Forscherinnen leichter?Die Zahl der Forscherinnen ist natürlich im Laufe der Zeit ebenso gestiegen wie die Zahl der bahnbrechenden Entdeckungen, die von Frauen gemacht wurden. Sie wurden aber trotzdem gestohlen oder ignoriert, oft sogar von Kollegen oder sogar vom eigenen Ehemann.
Gerade im 20. Jahrhundert war die Ehe oft ein entscheidender Wendepunkt in der Karriere. Es gibt positive Beispiele wie die Hirnforscherin Cécile Vogt oder die Physikerin Marie Curie. Durch die Zusammenarbeit mit ihren Ehemännern bekamen sie mehr Geld für ihre Forschung und mussten nicht als unbezahlte Wissenschaftlerinnen arbeiten.
Dennoch bleiben sie oft unsichtbar. Cécile Vogt und ihr Mann Oskar waren sogar 13-mal für den Nobelpreis für Medizin nominiert. Trotzdem erwähnt der Brockhaus sie nur mit einem Halbsatz und schreibt die gemeinsame Leistung auf dem Gebiet der Neurologie vor allem ihm zu. Marie Curie ist dagegen eine der wenigen Ausnahmen, wo ihr Mann Pierre weniger bekannt ist als sie.
War die Ehe für Forscherinnen also eher ein Karrierekiller?Auf jeden Fall. Clara Immerwahr ist eine der ersten Frauen in Deutschland, die studiert und später in Chemie promoviert hat. Dafür wurde sie noch in den Zeitungen gefeiert, bekam aber nur eine unbezahlte Assistentenstelle angeboten. Für den Rest ihres Lebens forschte sie unbezahlt, konnte sich aber keine gute Wohnung leisten. Sie heiratete den berühmten Chemiker Fritz Haber, vielleicht auch in der Hoffnung, gemeinsam forschen zu können. Doch er bestand auf ihrer Rolle als Hausfrau. Darunter litt sie sehr und nahm sich schließlich das Leben.
Umso verständlicher ist es, dass sich Lise Meitner oder auch Rosalind Franklin bewusst gegen eine Ehe entschieden. Sie wurden für ihre Forschungen sogar bezahlt - für die damalige Zeit eine bemerkenswerte Leistung. Dennoch waren auch sie auf Männer angewiesen, auf Kollegen, die sie unterstützten, oder auf Väter, die ihre langjährige unbezahlte Forschungsarbeit finanzieren.
Die Geschichten von Lise Meitner, Marie Currie oder auch Rosalind Franklin sind inzwischen sehr gut bekannt. Ist das ein Zeichen für ein größeres Bewusstsein?In den 70er Jahren wird das Studium für Frauen alltäglicher. In diesem Zusammenhang wächst auch das Interesse an Pionierinnen in Wissenschaft, Literatur und Kunst. Ihre Geschichten rücken stärker ins öffentliche Bewusstsein. Eine grundlegende Veränderung der Sichtbarkeit von Frauen in Wissenschaft und Kultur ist damit noch nicht verbunden.
So wurden in einer Studie Menschen gebeten, möglichst viele Forscherinnen zu nennen. Nur ein Prozent der Befragten konnte zehn Forscherinnen nennen. 30 Prozent fiel nur Marie Curie ein, die Mehrheit konnte spontan keine einzige nennen. Auch in Schul- und Kindersachbüchern sind Forscherinnen nach wie vor unterrepräsentiert. Im Buchhandel werden weibliche Biographien nur zum Weltfrauentag in den Mittelpunkt gerückt. Wir haben also punktuelle Aufmerksamkeit, aber noch keine nachhaltige Wahrnehmung weiblicher Leistungen.
Haben also heutige Forscherinnen noch mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, wie vor 50, 40 oder 30 Jahren?Natürlich hat sich vieles verbessert, man braucht nicht mehr die Erlaubnis des Ehemannes oder der Familie, um ein naturwissenschaftliches Studium aufzunehmen. Auch ein so dreister Ideenklau wie bei Rosalind Franklin wäre wohl nicht mehr möglich.
Dennoch erschweren patriarchalische Strukturen Frauen immer noch die Forschung, wenn auch nicht mehr so offensichtlich wie vor 100 Jahren. Noch immer werden Studentinnen der Informatik oder Mathematik schief angeschaut und sind die einzigen Frauen im Hörsaal. Noch immer gibt es Lehrstühle, an denen vor allem männliche Studierende Hilfskräfte oder Doktoranden werden. Da haben sie schnell das Gefühl, nicht dazuzugehören.
Deshalb ist es immens wichtig, Klischees aufzubrechen und Vorbilder für junge Mädchen zu schaffen. Ich wollte mich in meinem Buch aber nicht nur auf Vorbilder beschränken, sondern auch Mechanismen sichtbar machen, die dafür sorgen, dass bestimmte Bereiche in der Wissenschaft oder auch in der Gesellschaft eben männlich geprägt sind.
So ist zum Beispiel in der Corona-Pandemie die Zahl der von Forscherinnen publizierten Studien deutlich zurückgegangen, vor allem weil Frauen wieder mehr Care-Arbeit übernommen haben als ihre männlichen Kollegen. Auch das ist aus meiner Sicht ein Beispiel dafür, wie weit der Weg zur Gleichberechtigung noch ist.
Beeinflusst das Übergehen der Frauen auch die wissenschaftlichen Ergebnisse?Eines der eindrücklichsten Beispiele ist das Bild der prähistorischen Jägerinnen und Sammlerinnen. Es war mehr vom Frauenbild der männlichen Archäologen des 19. und 20. Jahrhunderts geprägt als von den Tatsachen. Heute wissen wir, dass Frauen genauso gejagt haben. Das macht auch Sinn, schließlich gibt es bei der Jagd verschiedene Rollen und jede helfende Hand in der Gruppe wird gebraucht.
Ein anderes Beispiel sind die vielen vermeintlichen Krieger- und Häuptlingsgräber. Früher ging man davon aus, dass nur Männer darin lagen. Inzwischen haben DNA-Analysen gezeigt, dass auch Frauen so edel bestattet wurden, also zu Lebzeiten wahrscheinlich auch als Kriegerin oder Stammesfürstin gewirkt haben.
Dies sind gute Beispiele dafür, dass ein traditionelles Bild vom Mann als starkem Beschützer und Ernährer den Blick auf die Geschichte sogar verzerren kann. Gleichzeitig werden auch hier die Leistungen der Frauen negiert.
Sich öffentlich mit unsichtbaren Frauen und patriarchalische Strukturen auseinanderzusetzen, kratzt sicher am fragilen Ego vieler Männer. Welche Erfahrungen machen Sie mit den Kommentaren im Netz?Ich habe zum Glück eine sehr tolle Community, die mir viel positive Unterstützung für meine Arbeit gibt. Aber natürlich gibt es auch negative Kommentare. Oft erlebe ich das typische „nicht ernst nehmen", egal ob ich Historikerin oder Journalistin bin, aus Sicht vieler Männer bleibe ich einfach eine junge Frau und das allein spricht mir schon die Qualifikation ab. Manchmal geschieht das ganz subtil, durch das ungefragte Äußern der eigenen Meinung in seitenlangen Mails inklusive ausführlicher Belehrungen, manchmal sind es aber auch plumpe Beleidigungen.
Damit bin ich nicht allein. Und ich befürchte, dass sich viele kluge Stimmen nicht zu Wort melden, weil sie eben wegen ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung im Netz angegriffen und beleidigt werden. Das finde ich sehr traurig, weil sie dadurch auch unsichtbar bleiben.