Birk Grüling

Wissenschaft für kleine und große Leser:innen, Buchholz

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Wie sich die Saurier tatsächlich bewegt haben

Foto: Getty Images

Jurassic Park vor dem tragischen Zwischenfall. Staunend beobachten die Besucher einen gewaltigen Brachiosaurus beim Grasen. Um den über 20 Tonnen schweren Organismus mit ausreichend Energie zu versorgen, verdrückte der langhalsige Pflanzenfresser kiloweise Grünzeug. Im Hollywood-Blockbuster stellt sich der Brachiosaurus sogar auf die Hinterbeine, um an saftige Baumwipfel zu gelangen.

Fiktion für eine eindrucksvolle Leinwandszene? Dieser Frage ist Heinrich Mallison vom Berliner Museum für Naturkunde nachgegangen und zwar mithilfe von modernen Computersimulationen. "Wir verwenden ähnliche Methoden wie Ingenieure im Fahrzeugbau. Mithilfe von Simulationen können wir unterschiedliche Belastungen auf den Körper ziemlich genau berechnen", erklärt er.

Das Ergebnis beim Brachiosaurus: Die Belastung für die Hüftgelenke wäre beim Aufrichten auf die säulenförmigen Hinterbeine ziemlich groß, der Höhenvorteil war dagegen eher bescheiden. Nur vier Meter gewinnt der Langhals durch seinen Balanceakt. Bei kleineren Verwandten wie dem Diplodocus wären die Belastungen deutlich geringer und auch der Größengewinn mit acht Metern höher.

"Hollywood hat sich wohl den falschen Langhalssaurier für das Aufrichten ausgesucht", sagt Mallison. Ob sich der kleinere Diplodocus nun tatsächlich zum Fressen oder zur Paarung auf die Hinterbeine stellte, wisse man natürlich auch nicht, fügt der Paläontologe hinzu. Aber theoretisch sei es möglich gewesen.

Moderne Technik spart Zeit und Geld

Die Paläontologie ist längst eine digitalisierte Wissenschaft. Neben Schaufel und Pinsel gehören heute Laserscanner, CAD-Programme und Drohnen zum Handwerkszeug für die Erforschung des urzeitlichen Lebens. "Die neuen Methoden ersetzen nicht das Ausgraben per Hand. Sie sind aber eine große Arbeitserleichterung", sagt Eberhard "Dino" Frey vom Naturkundemuseum in Karlsruhe.

Die Erleichterung beginnt bereits bei den Grabungsvorbereitungen. Per Drohne verschaffen sich die Forscher aus der Luft einen ersten Überblick über die Fundstätten und alle sichtbaren Knochen. Früher wurden dafür tagelang Karten gezeichnet und Bestandslisten angelegt. Mit einer Drohne braucht Frey nur wenige Stunden.

"Unsere Expeditionsbudgets sind knapp und Zeit ist bekanntlich Geld. Umso schneller wir einen Überblick haben, umso schneller können wir mit der Bergung der Funde beginnen", sagt er. Hierbei sind Laserscanner und Fotokameras inzwischen nützliche Werkzeuge - zum Beispiel bei der Sicherung von fossilen Fußspuren.

Mit einem handlichen Laserscanner lassen sich die Spuren vermessen und noch vor Ort auf dem Tablet in dreidimensionale Modelle umrechnen. Die herkömmliche Variante sind Latexabgüsse. Ein teures Unterfangen, wie Frey vorrechnet: "Für eine größere Fährte brauchen wir bis zu 40 Eimer mit je 20 Liter Latex. Pro Eimer bezahlen wir knapp 500 Euro." Ein Ausdruck der Fußspuren mit einem 3-D-Drucker ist deutlich kostengünstiger.

Knochen werden per CT durchleuchtet

Viel "analoger" ist dagegen die Bergung von Saurierknochen. Die empfindlichen Fossilien werden wie schon vor hundert Jahren mit Hacke, Schaufel und Pinsel ausgegraben und gesichert. Danach bekommen sie oft noch ein schützendes Gipskorsett für den Transport.

"Es gab bereits Versuche, Knochen noch im Gestein zu lokalisieren. Zum Beispiel durch die Messung von Radioaktivität, Gravimetrie oder seismische Analysen. Praxistauglich sind diese Methoden allerdings noch nicht", sagt Oliver Wings vom Landesmuseum Hannover. Um eine Bergung der Knochen per Hand kommen die Paläontologen deshalb nicht herum.

Auch die anschließende Präparation im Museum ist bis heute alternativlos - fast jedenfalls. Eine Alternative ist die virtuelle Präparation. Geprägt haben diesen Begriff Paläontologen vom Berliner Museum für Naturkunde. Bei dieser Methode werden Gesteinsreste mit eingeschlossenen Knochen im Computertomografen durchleuchtet und die Fossilien später am Computer in virtuelle Modelle umgewandelt. In der Praxis sehr hilfreich, wie ein Beispiel aus Berlin zeigt.

Fast 100 Jahre schlummerten ausgegrabene Dinosaurierknochen in den Archiven des Naturkundemuseums - gut geschützt von einem Gipsblock. Um 1910 gruben Forscher in Tansania etwa 235 Tonnen Dinoknochen aus und brachten sie nach Berlin. Zeitgleich bargen Paläontologen in Halberstadt ebenfalls Knochen des Dinosauriers Plateosaurus.

Das Problem: Bei Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg kam die Sortierung der verschiedenen Präparate durcheinander. Ohne Beschriftungen konnten die Gipsblöcke nicht mehr eindeutig einer Fundstelle zugeordnet werden. Um eine aufwendige Öffnung der Blöcke zu umgehen, durchleuchteten die Forscher sie im Computertomografen der Berliner Charité.

Wie bei medizinischen CT-Aufnahmen dreht sich dabei die Röntgenquelle um den Gipsblock. So entstehen viele zweidimensionale Querschnittsaufnahmen des Inneren. Gestein, Gips und Knochen lassen sich darauf gut unterscheiden. "In einer Gipsknolle fanden wir einen Wirbelknochen von Plateosaurus aus Halberstadt. Bis dahin wurde angenommen, dass die Knochen aus Afrika stammen", sagt Wings.

Die Bilddaten des Wirbelknochens wurden im 3-D-Labor der Technischen Universität Berlin weiterverarbeitet und mit einem 3-D-Drucker ausgedruckt. Das Ergebnis: ein Plastikknochen, dem menschlichen Wirbel durchaus ähnlich, nur viermal so groß.

Ganze Museumsarchive werden digitalisiert

Die CT-Durchleuchtung und digitale Bearbeitung sind nicht nur schonender für die oft sehr empfindlichen Fossilien, sondern bergen auch großes Potenzial für ihre Erforschung, erklärt Mallison: "Mit einer zunehmenden Digitalisierung der Funde könnte sich der Zugang zu seltenen Fossilien und damit die Erforschung beschleunigen."

Heute müssen die Wissenschaftler für einen Blick auf ein seltenes Exponat oft um die Welt reisen. In seltenen Fällen werden Fossilien auch verschickt - ein teures und heikles Unterfangen. Unvorsichtiger Umgang könnte die wertvollen Stücke beschädigen. Eine Zukunftsvision: Digitalisierte Knochenfunde sind in internationalen Datenbanken für Forscher weltweit zugänglich.

Mithilfe von 3-D-Druckern lassen sich besonders interessante Fossilien ausdrucken und genauer untersuchen. Erste zaghafte Bestrebungen in diese Richtung gibt es bereits. So werden immer mehr wissenschaftliche Studien mit 3-D-Modellen und entsprechenden Datensätzen publiziert. Ein großes Digitalisierungsprojekt läuft derzeit am Berliner Museum für Naturkunde. Dabei greifen die Kuratoren auf die Photogrammetrie zurück.

So funktioniert es: Man fotografiert die Saurierknochen aus allen Blickwinkeln. Danach sucht eine Software auf jedem Bild nach gemeinsamen Punkten und ordnet die Aufnahmen so in der richtigen Position an. Bei Grabungen greifen die Paläontologen selbst zur Kamera, für die Digitalisierung eines Museumsarchivs braucht es schon effektivere Technik.

Forscher vom Fraunhofer Competence Center für Digitalisierung von Kulturerbe haben deshalb extra eine "Scanstraße" entwickelt. Neun Kameras werden dabei an einem Aluminiumbogen halbkugelförmig um das Objekt geschwenkt. Dazu gibt es unabhängige Lichtquellen und einen Roboterarm mit zusätzlicher Kamera. So entstehen keine toten Winkel auf dem Objekt. Aus bis zu 6000 Aufnahmen werden danach am Computer dreidimensionale Modelle der Knochen entwickelt.

Krokodile und Vögel als Bewegungsinspirationen

Am Rechner lassen sich diese Einzelteile ohne großen Aufwand zu ganzen Saurierskeletten zusammensetzen. Fehlende Teile werden einfach digital ergänzt. Selbst die Rekonstruktion von Muskelansätzen und Bewegungsmustern ist möglich - mit einer wichtigen Einschränkung. "Wir können nur Vermutungen anstellen. Weder Bänder, Sehnen oder Knorpel sind in den fossilen Gelenken erhalten. Für Aussagen über die Beweglichkeit sind sie aber entscheidend", sagt Mallison.

Hundertprozentige Sicherheit zu den Muskeln, Proportionen oder der Beweglichkeit der Saurier gibt es deshalb nicht. Durchaus eine Gefahr, wie der Paläontologe erklärt. "Bewegten Bildern glaubt man schneller als Zahlen oder Texten. Leider verleiten die so offensichtlichen Computersimulationen auch zu voreiligen Schlüssen."

Deshalb sei eine gründliche, ganz undigitale Interpretation der Funde umso wichtiger. Die Forscher greifen dafür auf vergleichbare Strukturen bei heutigen Tieren zurück. Beliebte Vorbilder sind Krokodile und Vögel. Aus ihrem Körperbau und ihren Bewegungen lässt sich ungefähr abschätzen, wie sich die Saurier bewegt haben könnten.

Ein Beispiel für eine solche Simulation ist die Untersuchung der Wehrhaftigkeit des Kentrosaurus aethiopicus. In Forscherkreisen galt der Pflanzenfresser mit dem stachelbewährten Schwanz lange als behäbig und wenig wehrhaft. Eine neue Simulation kam zu einem anderen Ergebnis. Inspiriert durch die Schwänze von Waranen und Krokodilen stellten Forscher mögliche Peitschbewegungen des Stachelschwanzes virtuell nach.

Selbst vorsichtige Schätzungen zeigten eine Beweglichkeit über 90 Grad und eine Peitschgeschwindigkeit von über 70 Stundenkilometer. Das in der Studie untersuchte Skelett des Sauriers wurde übrigens bereits vor einem Jahrhundert ausgegraben und seither schon oft untersucht. Die neue Erkenntnis über die Lebensweise und das Verhalten des sehr wehrhaften Dinosauriers waren aber erst durch die Digitalisierung der Paläontologie möglich.

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