Gregor Hackmack | © Parlamentwatch e.V.
Gregor Hackmack, Jahrgang 1977, hat zusammen mit Boris Hekele abgeordnetenwatch.de im Jahr 2004 gegründet. Vorangegangen war ein erfolgreicher Volksentscheid zur Änderung des Hamburger Wahlrechts, um Bürgern mehr Einfluss auf die Auswahl ihrer Abgeordneten zu ermöglichen. Gregor Hackmack ist seit 2004 im Landesvorstand von Mehr Demokratie e.V. in Hamburg. Bei abgeordnetenwatch.de ist er verantwortlich für die Projektentwicklung, Vernetzung und internationale Verbreitung.
fluter.de: Was sind die Ziele von abgeordnetenwatch.de und wie werden sie umgesetzt?
Gregor Hackmack: Wir wollen für mehr Transparenz in der Politik sorgen. Auf unserer Seite gibt es für jeden Politiker ein Kurzprofil mit Geburtstag, Beruf und ausgeübten Tätigkeiten. Bei Parlamentsmitgliedern gibt es zusätzlich Informationen zum Abstimmungsverhalten, Ausschussmitgliedschaften, Redebeiträgen und Nebeneinkünften. Unser zweites großes Ziel ist mehr politische Beteiligung seitens der Bürger. Bei uns kann jeder direkt Fragen an die Politiker stellen und so die eigene Wahlentscheidung gut vorbereiten.
Wie finanziert sich abgeordnetenwatch.de?
Wir finanzieren uns maßgeblich über Spenden. Derzeit unterstützen uns über 1.500 Menschen mit monatlichen Beträgen von fünf Euro und mehr. Auch von den 53.000 Newsletter-Abonnenten spenden einige regelmäßig Geld. Im Vorfeld von Wahlen gibt es außerdem ein Bezahlsystem für Politiker. Das Grundprofil ist immer spendenfinanziert und für die Kandidaten kostenlos. Kandidaten können aber für Profilerweiterungen wie ein Bild oder Social-Media-Anbindungen einmalig 179 Euro bezahlen. Das wird von 10 bis 15 Prozent der Kandidaten genutzt. Damit decken wir die Mehrkosten.
Wer nutzt abgeordnetenwatch.de?
Unsere Zielgruppe sind alle wahlberechtigten Bürger. In Deutschland sind das also 60 Millionen. Die haben wir natürlich noch nicht alle erreicht. Pro Jahr nutzen unsere Seite rund drei Millionen Bürger. Vor den Wahlen sind es eher die Jüngeren und viele Erstwähler, die Fragen stellen. Außerhalb von Wahlen verschiebt sich das etwas. Dann sind die Älteren, also 60plus, die aktiveren. Man muss sich bei uns nicht registrieren wie bei Facebook oder Twitter und Werbung gibt es auch nicht. Wir sind in diesem Sinne sehr bodenständig. Das kommt bei vielen nicht internetaffinen Menschen gut an.
Die internetaffinen Menschen sind ja vorrangig Jugendliche. Wie versuchen Sie, die anzusprechen?
Ich denke, dass soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook helfen, diese Zielgruppe zu erreichen. Wir haben zum Beispiel gerade mit "Du hast die Macht" ein Hangout bei Youtube organisiert. Junge Politiker werden dort über die Legalisierung von Cannabis diskutieren. Wie viele wir damit am Ende ins Boot holen – darüber können wir allerdings nur spekulieren.
Das Redaktionsteam von abgeordnetenwatch.de | © Maria FleckVon NSA bis Nebenjob - Fragen erwünscht
Wie hoch ist das Interesse für abgeordnetenwatch.de so kurz vor den Wahlen?
In den zwei Monaten vor einer Bundestagswahl haben wir locker so viele Fragen wie sonst in einem ganzen Jahr. Das ist aber nicht verwunderlich, immerhin interessieren sich dann auch Menschen für Politik, die sich sonst vielleicht weniger Gedanken dazu machen.
Welche Rolle spielen Skandale wie Drohnen, NSA oder auch die Nebeneinkünfte von Politikern für das Interesse der Nutzer?
Große gesellschaftliche Debatten und mediale Themen finden sich natürlich auch in den Fragen bei abgeordnetenwatch.de wieder. Häufig kommt es bei Skandalen zu einer regelrechten Fragewelle.
Und werden diese Fragen dann auch beantwortet?
Inzwischen liegt unsere Antwortquote bei rund 80 Prozent. Auf Bundesebene beteiligen sich derzeit über 90 Prozent der Abgeordneten und beantworten regelmäßig Fragen. Über die restlichen zehn Prozent gibt es aber trotzdem relevante Informationen. Die Rückmeldungen seitens der Politiker sind meistens positiv, viele freuen sich über das Interesse der Wähler.
Wie viele Fragen muss jeder Abgeordnete durchschnittlich beantworten?
Im Durchschnitt sind das 20 bis 30 Fragen im Jahr. Spitzenpolitiker wie Minister oder Fraktionsvorsitzende müssen natürlich ein paar mehr beantworten. Wir versuchen, durch gezielte Nutzerführung zum eigenen Wahlkreis auch unbekanntere Kandidaten aus der unmittelbaren Umgebung stärker in den Fokus zu rücken.
Wie stark ist abgeordnetenwatch.de auf kommunaler Ebene? Die Entscheidungen dort betreffen uns als Bürger sehr direkt und die potenziellen Gestaltungsmöglichkeiten sind auch größer.
Wir sind derzeit in über 60 Kommunen vertreten. Das Angebot wird sehr unterschiedlich angenommen. Manche Städte wie Dresden laufen sehr gut und in anderen Orten gibt es noch viel Luft nach oben. Wir stellen jedoch fest, dass es vor allem die Großstädte sind, in denen unser Angebot intensiv genutzt wird. In größeren Städten sind die Entscheidungsträger schwieriger zu greifen als auf dem Land. Dort kennt man im Zweifel den Bürgermeister oder Landrat und stellt seine Frage direkt ohne einen Umweg über das Internet.
abgeordnetenwatch.de Redaktion | © Maria FleckModerierte Transparenz
Werden bei den Fragen vor der Veröffentlichung eigentlich Spam, Beschimpfungen und Ähnliches rausgefiltert?
Ja, auf jeden Fall. Die Moderation der Beiträge ist nötig, um einen respektvollen Dialog auf Augenhöhe zu ermöglichen. Jede Frage wird gegengelesen, bevor sie veröffentlicht wird. Wir lassen keine Fragen zu, die reine Meinungsäußerungen sind, die Beleidigungen darstellen oder nur das Privatleben der Politiker betreffen. Sexismus, Rassismus und dergleichen sind natürlich tabu. Wir schauen auch auf die Antworten der Kandidaten, bevor wir sie veröffentlichen. Bei uns sind ja auch extremere Parteien dabei. Die Korrespondenz zwischen Bürger und Politiker wird allerdings nicht unterbrochen. Wir leiten auch abgelehnte Fragen an die Abgeordneten weiter.
Wie hoch ist denn der Anteil von Beiträgen, die es nicht zur Veröffentlichung schaffen?
Der Anteil der nicht freigeschalteten Fragen ist relativ niedrig, vielleicht haben die User einfach gemerkt, dass Beleidigungen oder plumpe Werbung bei uns nicht durchkommen.
Sie haben es ja schon erwähnt, auf abgeordnetenwatch.de sind auch Extremparteien wie die NPD vertreten. Wie bewusst ist die Entscheidung für die komplette Vielfalt der Parteienlandschaft und wie hoch ist das Interesse an Vertretern wie der NPD?
Bei uns sind bewusst alle zur Wahl zugelassenen Parteien vertreten. Aber gerade bei diesen Parteien schauen wir besonders genau auf die Antworten der Abgeordneten. Die angesprochene NPD boykottiert unsere Seite ohnehin, ihre Vertreter beantworten keine Fragen. Gleichzeitig gibt es auch kaum Fragen an die Partei. Zur Bundestagswahl ist bisher keine einzige an die NPD gestellt worden.
Im Prinzip könnten sich doch die Wahlkampfteams mit wohlgemeinten und besonders kritischen Fragen gegenseitig die Bälle zuspielen. Wie verhindern Sie Manipulation und Missbrauch?
Solche Versuche gibt es gerade vor den Wahlen immer wieder. Unser größter Trumpf ist dabei der menschliche Check der Kommentare. Wir setzen bewusst auf ein gut geschultes Moderatoren-Team. Außerdem versuchen wir mit einer großen Anzahl von Sicherheitsmechanismen zu verhindern, dass jemand das System manipuliert.
Abgeordnetenwatch.de gibt es jetzt seit neun Jahren. Hat sich Ihrer Meinung nach die ursprüngliche Zielsetzung inzwischen erfüllt?
Ich halte schon die Teilnahme der Bundestagsabgeordneten an abgeordnetenwatch.de für einen großen Erfolg. 90 Prozent von ihnen vertrauen uns und gestalten das Portal inhaltlich mit, und über 50 Prozent unserer Fragensteller haben vorher noch nie Kontakt zu einem Politiker aufgenommen. Als Erfolge könnte man wohl auch die Geschichten werten, die wir in unserem Blog enthüllt haben. Auf die Nebeneinkünfte von Peer Steinbrück haben wir schon 2010 hingewiesen.
Über 90 Prozent unserer Besucher kommen nicht zum Fragestellen auf die Seite, sondern zum Lesen der Antworten. Mir haben außerdem Referenten aus den Ministerien erzählt, dass sie regelmäßig die Antworten der entsprechenden Ausschussmitglieder lesen, um ihre Wissenslücken zu schließen. Sie bereiten bei komplexen Fragen, aber auch schlechten Antworten neues Material für die Abgeordneten vor. Wir sind also auf dem richtigen Weg.
Und wo führt dieser Weg abgeordnetenwatch.de zukünftig hin?
Wir wachsen derzeit stark im Ausland, darunter Irland, Luxemburg, Frankreich, Österreich und erfreulicherweise auch Tunesien. Den Aufbau in weiteren Ländern wollen wir unterstützen. Darüber hinaus sind wir natürlich immer auf der Suche nach neuen Ansätzen, um die User noch stärker zu beteiligen. Es gibt bereits Planungen, aber noch nichts Spruchreifes für die Öffentlichkeit.
Birk Grünling lebt und arbeitet als freier Journalist am Rande von Hamburg. Seine Schwerpunkte sind Reportagen und Interviews rund um Popkultur und Gesellschaft.
Fotos: © Parlamentwatch e.V.; © Maria Fleck