Die New Yorker Linie Q gilt nun als teuerster Subway der Welt. Welche Symbole und Geheimnisse unser Transporttunnelsysteme noch birgt, verrät das Lexikon der Woche
BEGEGNUNG
Von Norden nach Süden durchschneiden die grünen Linien der New Yorker Subway die Stadt. Sie verbinden die Bronx oder Harlem mit der reichen Glitzerwelt des Finanzdistrikts im Süden Manhattans – wie es Willy Spiller in seinem grandiosen Bildband Hell on Wheels festgehalten hat (unser Foto).
In Berlin spannen sich U-Bahn-Linien zwischen sozialen Brennpunkten, dem touristischen Mitte oder bürgerlichen Vierteln. Vor diesem Hintergrund ist die U-Bahn ein demokratischer Ort. Zwangsläufig wird man mit anderen Realitäten konfrontiert, die Begegnungen dort sind unausweichlich. Behütete Menschen werden im Untergrund mit bitterer Armut konfrontiert. Mit Menschen, deren Obdach (➝ Zimmer) für die Nacht der U-Bahnhof ist. Andere verkaufen Streichhölzer wie in Buenos Aires, Blumen oder Straßenmagazine. Wir, die Fahrgäste, schauen oft professionell weg. Die U-Bahn durchzieht die Stadt aber trotzdem und liefert so einen Querschnitt der Gesellschaft. Benjamin Knödler
GEFAHR
Die Bilder ähneln sich und sind doch jedes Mal erschreckend. Die Aufnahmen nach den Anschlägen in den U-Bahnen von London, Brüssel oder Moskau oder grobkörnige Aufzeichnungen von Überwachungskameras, die Überfälle, Gewalt und Enthemmung zeigen. So sind U-Bahnhöfe und Züge auch Orte der Gefahr, für einige der latenten Furcht. Als sogenannte weiche Ziele sind sie immer wieder Ziel von Terrorattacken geworden. 1995 etwa verübte eine japanische Sekte in Tokio einen Giftanschlag mit 13 Todesopfern und Tausenden Verletzten, 2005 sprengten sich Selbstmordattentäter in drei Zügen der Londoner Tube in die Luft,2010 explodierten Sprengsätze in zwei Moskauer Metrostationen. Vergangenes Jahr der Anschlag auf die Brüsseler U-Bahn.
All dies führt dazu, dass ein Großteil der Debatte über Sicherheit im öffentlichen Raum anhand von U-Bahnen diskutiert wird. Wenn sich die Menschen in der U-Bahn nicht mehr sicher fühlen (➝ Begegnung), dann sei das ein Armutszeugnis, ist dann immer wieder zu hören, meist mit der umstrittenen Forderung nach mehr Überwachungskameras. Doch egal was man versucht, ganz wird man das Gefühl der Gefahr nicht aus der U-Bahn vertreiben können. Ein Stück weit gehört es einfach dazu. Die fahle Beleuchtung, das fehlende Tageslicht, die langen, zumindest nachts leeren Gänge. Das macht die U-Bahn zu einem bisweilen unwirklichen Ort. Benjamin Knödler
ZIMMER
Letztes Jahr sorgte eine ungewöhnliche Entdeckung in der Berliner U-Bahn für Aufsehen: ein komplett eingerichtetes Zimmer mit Sessel, Bett, gemusterter Tapete, sogar mit Yuccapalme. Offensichtlich unbewohnt zwischen den ratternden Zügen und Starkstromleitungen, da fragte man sich, was das Zimmer dort soll. Monate später beanspruchte eine Gruppe aus der Berliner Graffitiszene die Aktion (➝ Perfomance) für sich. Sie macht laut eigenen Angaben „autonome Kunst“ und steht für die „Annexion von Raum“. Gerade der „annektierte“ Raum sorgte wohl für die Faszination. Denn das Tunnelsystem, diese unbekannte, unwirtliche Welt, übt einfach einen ganz besonderen Reiz aus. Benjamin Knödler