Nach Paris drückten viele Menschen ihr Mitgefühl durch das gemeinsame Singen der Marseillaise aus. Denn Hymnen stiften Zusammenhalt, sorgen aber auch für das Gegenteil
EMOTION
Es gibt gute Gründe, Hymnen befremdlich zu finden. Und doch ist
unbestreitbar, dass sie auch Emotionen auslösen. Man denke an die
ergriffenen Mienen, die zu sehen sind, egal ob nun eine National- oder
Vereinshymne (➝ AS Livorno) angestimmt wird. Kein Wunder, rührt die
Musik – von Schlager bis Sonate – doch an unseren Gefühlskern. Verbunden
mit der Tatsache, dass die Hymne, ein gemeinsam gesungener Nenner ist,
geht ihre Kraft tief. Insofern sind Hymnen ideales Mittel, um Agenda und
Emotion zu verbinden. Nicht zuletzt mit der Folge, dass die
kritische Auseinandersetzung mit dem Besungenen verloren geht. Das kann
sehr schön sein, oft aber auch nicht ungefährlich. Benjamin Knödler
PLATINI
Auch das millionenschwere Hochglanzprodukt Fußball (➝ Unternehmen), das UEFA und FIFA teuer vermarkten, kennt seine Hymnen. Mit den Fanchören auf den Stehtribünen hat das freilich wenig zu tun. Vielmehr geht es um die glatte, pseudodramatische Einlaufmusik nach Art von Orffs Carmina Burana, die das Fußball-Event mit Gänsehaut aus der Konserve versorgen soll. Auch die UEFA hat für ihre Europa League ein solches Stück, komponiert von Yohann Zveig. Der ist – natürlich nur rein zufällig – auch der Schwiegersohn von Michel Platini, aktueller UEFA-Präsident und derzeit gesperrter FIFA-Funktionär.
Ein Schelm, wer ob dieser Verbindung nun Böses denkt. 2007 wurde Platini gewählt, 2008 erhielt Zveig den Auftrag für die Komposition. Es wird sicherlich kein Ehrenamt gewesen sein. Vor allem war es auch ein Karrieresprungbrett. Für die Hymne der Weltfußballer-Wahl zeichnet er inzwischen ebenso verantwortlich wie für die aktuelle DFB-Hymne. Es ist zum Gänsehautkriegen. Benjamin Knödler
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 48/15 der Wochenzeitung "der Freitag".
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