Annika Zieske

Redakteurin & Autorin, Berlin

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Teamwork in Sachen Mode: Kollaborationen ermöglichen Designern kreativen Austausch und wirtschaftliche Vorteile

Im Januar überraschte Esther Perbandt bei der Fashion Week mit einer Art Kunstperformance. Am Ende des Laufstegs war eine komplett mit Teer bedeckte Plexiglasscheibe installiert. In den Teer kratzte der italienische Künstler Marco Pho Grassi live eines seiner Kunstwerke. Diese Performance war die letzte Etappe der kreativen Kollaboration zwischen dem Maler und der Modedesignerin. "Angefangen hat alles im Januar 2010, als ich Marco kennengelernt habe", erzählt Perbandt. "Er hat mich in meinem Atelier besucht und Sachen aus meiner Sommerkollektion gesehen. Ich hatte mit einer Bleichtechnik abstrakte Muster entwickelt, darin hat er Parallelen zu seinen eigenen Arbeiten erkannt." Der in Mailand lebende Grassi hatte in Berlin schon einige Austellungen, zuletzt waren seine Werke im März im Soho House zu sehen. Seine Arbeit lässt sich unter abstraktem Expressionismus fassen: spontane und unkontrollierte Pinsel- und Spatelstriche, collagenartig eingefügte Schnipsel von Postern, die dann wieder übermalt, abgekratzt oder angesengt werden. Die fertigen Bilder wirken wie plastische, chaotische Graffitis ohne Schrift. Spontan begeistert war er von Perbandts Methode, Stoffe zu bearbeiten und zu verändern - genau wie er selber seine Leinwand bearbeitet. So schlug Grassi der Designerin eine Zusammenarbeit vor. "Um sich für eine solche Kooperation zu entscheiden, muss man sich besser kennen. Schließlich stoßen da zwei starke Persönlichkeiten aufeinander. Ich habe mich entschlossen, ihn in Mailand zu besuchen. Wir haben viel geredet und ich habe noch mehr Arbeiten von ihm gesehen. Am Ende war klar, dass wir etwas zusammen machen wollen", erzählt Esther Perbandt. Für die Herbst-/Winter-Kollektion 2011/2012 der Designerin schuf Grassi ein Bild, das alsVorlage für einen Digitaldruck verwendet wurde. "Dass Marco extra etwas gemalt hat und wir nicht etwas Bestehendes verwendet haben, hat die Zusammenarbeit noch intensiver gemacht", meint Perbandt. Eine Art Explosion aus braunen, goldenen und schwarzen Farben - so sieht das Ganze auf den Seidenkleidern oder Leinenjacken in der Kollektion aus. "Beim Farbkonzept haben wir uns abgesprochen", erzählt sie. "Marco arbeitet häufig mit der Farbkombination von Schwarz und Rot. Das hat wiederum für meine Idee der Kollektion nicht gepasst. Geeinigt haben wir uns dann auf erdige Töne, also Braun, Schwarz, gedecktes Weiß. Farben, die sich aus seiner Arbeit mit Teer ganz automatisch ergeben. Außerdem haben wir abgesprochen, dass es einen Farbverlauf geben soll, weil das dem Kleidungsstück noch mehr Lebendigkeit gibt." Neben den Drucken nach Grassis Vorlage beschloss Perbandt, die Arbeitsweise des Malers auf ihre Kleidungsstücke zu übertragen, um die Kollektion in sich geschlossener zu machen. Das Zerstörerische an Grassis Kunst erkennt man in einem schwarzen Seidenkleid wieder, dessen Saum durch Bleichen ganz ausgefranst ist. Überkreuzte Gummibänder an einer Weste erinnern an die Pinselstriche seiner Bilder. Ein paar Tage vor der Show kam Grassi nach Berlin und legte noch mal selbst Hand an einige Kleidungsstücke an. Eine Jacke wurde zur Leinwand für den Maler: "Die Jacke ist letztlich Teil des Outfits geworden, mit dem wir die Show beendet haben. Sie ist ein Hybrid zwischen Kunst und Mode. Man kann sie nicht mehr anziehen - sie ist ein Museumsstück." Rückblickend nennt Perbandt die Zusammenarbeit mit Grassi einen Glücksfall: "Es muss schon Vieles stimmen, die persönliche Ebene, die künstlerische Idee und natürlich auch der Terminkalender beider Parteien." Kreative Kollaborationen zwischen gleichberechtigten Partnern und verschiedenen Kunstarten sind selten. Häufig geht es bei Kollaborationen in der Modebranche nüchterner zu: Zwei Labels arbeiten zusammen, weil sie sich gegenseitig neue Kundenkreise eröffnen oder das eine vom Ruf des anderen profitiert. Der schwedische Modekonzern mit den roten Buchstaben hofft durch Kollaborationen mit Häusern der Haute Couture wie Lanvin auf ein wenig Glamour. Ein Schuhkonzern wertet preiswerte Schuhe durch die Zusammenarbeit mit dem Berliner Label Kaviar Gauche auf. Häufig benutzen also etablierte Marken kleinere Labels, um jünger und innovativer zu wirken. Svenja Specht, Designerin des Berliner Labels Reality Studio, hat sich für eine Kollaboration mit einem japanischen Turnschuhgiganten zusammengetan. "Ich war am Anfang schon ein bisschen verwundert, dass sie mich ansprechen, um Schuhe für sie zu designen, weil ich Reality Studio als ein Underground-Label sehe", erzählt die Designerin. Doch genau der Underground-Status des Labels machte es für den Mainstream-Schuhhersteller Onitsuka interessant. "Sie wollten gerade jemanden, der noch nicht überall besprochen wurde und dessen Arbeit sie spannend finden", erzählt Specht. "Meine Sachen sind eine Mischung aus elegant und lässig, das passt vielleicht zu Turnschuhen. Am wichtigsten war aber für den Turnschuhhersteller, dass ich eine Affinität zu Asien habe, die sich auch in meinen Kollektionen widerspiegelt. Ich habe selber in China gelebt und mein Lebensgefährte ist Japaner. Asien interessiert mich also persönlich." Für die limitierte Sneaker-Kollektion suchte sich Specht ein Modell von Onitsuka aus und konnte dieses dann interpretieren und verändern. "Stilistische Vorgaben hatte ich überhaupt keine", stellt sie klar. Trotzdem gab es während des Designprozesses Herausforderungen. Alle Onitsuka-Turnschuhe sind eindeutig als Onitsuka gekennzeichnet durch die sich kreuzenden Streifen an der Seite des Schuhs. "Dieses Branding wollte ich ein bisschen subtiler machen", sagt Specht. "Da kam mir die Idee, dass man das einfach reinlasert, mit ganz dünnen Strichen. Außerdem wollte ich, dass das Label in der Schuhlasche nicht aufgenäht, sondern auch reingelasert wird. So ist es unauffälliger, aber trotzdem präsent." Ansonsten sind die Schuhe durch Mokassins inspiriert: mit Fransen aus Leder an den Seiten und hinten. Geändert wurde von Spechts Design nur ein kleines Detail, deshalb ist sie mit der Zusammenarbeit sehr zufrieden: "Bei einer Kollaboration sollen beide Seiten voneinander profitieren, ich kriege Presse und der Turnschuhgigant kriegt vielleicht so eine Art Szene-Glaubwürdigkeit." Neue Kunden gewinnt Specht durch die Zusammenarbeit allerdings kaum, eher wird Onitsuka für ein modeaffines Publikum spannend. "Die Schuhe wurden für den Fashion-Bereich gemacht, nicht für den Sport", sagt Specht. "Sie werden auch nicht in den normalen Stores verkauft, sondern in Modeläden, in Berlin etwa bei Wood Wood." Ein passendes Bild für die Kollaboration findet sich übrigens nicht außen, sondern in den Schuhen: Auf der Schuhsohle der von Specht entworfenen Sneaker ist nur beim linken Schuh das Onitsuka-Logo abgebildet, im rechten steht der Schriftzug von Reality Studio. ------------------------------ Gute Adressen Esther Perbandt Berlin Almstadtstraße 3, Mitte, Tel. 88 53 67 91, www.estherperbandt.com; Mo-Fr 10-18 Uhr, Sa 12-18 Uhr Reality Studio Atelier, Virchowstraße 1, Friedrichshain, Tel. 55 87 13 42, www.realitystudio.de; Termine nach Vereinbarung ------------------------------ Foto: Designerin Esther Perbandt zeigt Stücke aus der Kollektion, bei der sie mit dem italienischen Künstler Marco Pho Grassi zuammengearbeitet hat.

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