Annika Zieske

Redakteurin & Autorin, Berlin

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Jacken in Wallung

Der Sommer ist vorbei und es ist an der Zeit, an die Wintergarderobe zu denken. Wenn es nach den Berliner Designern geht, hüllen wir uns in der kalten Jahreszeit in raffiniert drapierte Jacken und weit geschnittene Capes. So gesehen bei Concis: Die Designerin hinter dem neuen Label ist Hoai Vo, die 2009 an der Hochschule Weißensee als Meisterschülerin ihren Abschluss machte. Im Januar 2011 gründete sie ihr Label, präsentierte im März in Paris ihre erste Kollektion und gewann damit aus dem Stegreif den Textil- und Mode-Innovationspreis des Gesamtverbands Textil und Mode. Charakteristisch für ihren Stil sind ausgeklügelte Schnitte, Unifarben und eine schlichte Eleganz. "Ganz wichtig ist mir, dass die Proportionen stimmig sind. Meine Sachen sind sehr feminin, und ich will den Frauenkörper möglichst vorteilhaft zeigen", meint die Designerin. Wer bei dieser Aussage an enge, körperbetonte Kleider denkt, liegt aber falsch. Vos Stücke, auch die Jacken, sind eher locker geschnitten. Das liegt vor allem daran, dass die junge Designerin nicht mit Zeichnungen arbeitet, sondern alles direkt an der Schneiderpuppe ausprobiert. "Für mich ist das Drapieren an der Puppe ideal, weil man gleich das Ergebnis sieht", sagt Vo. "Außerdem mag ich, dass man oft selbst überrascht wird, wie sich der Stoff verhält. Bei Schnittteilen ist immer alles so berechenbar. Ich mag dieses Element des nicht Vorhersehbaren." Die fünf Jacken in der Kollektion sind beim Drapieren an der Puppe entstanden. Sie können vielseitig getragen werden. Eines der Teile besteht beispielsweise aus einer klassischen Jacke mit tiefen Taschen, darüber hängt ein Cape, das an den Schultern befestigt ist. Mit ihren Jacken zeigt die Designerin, dass praktische Outdoorbekleidung nicht zwangsweise funktional aussehen muss. "Natürlich ist es wichtig, dass eine Jacke nicht nur schön aussieht. Ich lege aber sehr viel Wert darauf, dass ich das Praktische in eine ästhetische Lösung einbinden kann." So sind sowohl der Jacken- als auch der Cape-Teil des wandelbaren Kleidungsstücks vorn mit einem Reißverschluss versehen. Bei kaltem Wetter kann man beide schließen und ist so von zwei Lagen Stoff geschützt. Bei milderen Temperaturen kann man eines der beiden Teile offen lassen, dann legt sich der Stoff in fließende Wellen und der Reißverschluss wirkt eher wie Zierde. Eine andere Jacke hat an einer Seite einen Stoffüberschuss, den man wie einen Schal um Schultern und Hals drapieren kann. Ziemlich stolz ist Hoai Vo auf ihre Stücke, auch weil sie vor der Winterkollektion viel größeren Respekt hatte als vor der Sommerkollektion: "Ich hatte mich eigentlich mehr auf die Sommerkollektion gefreut und hatte da auch mehr Ideen. Letzten Endes ist mir die Winterkollektion aber viel leichter gefallen". Auch das Label Perret Schaad hat raffinierte Jacken in petto. Wenn es nach Johanna Perret und Tutia Schaad geht, kuscheln wir diesen Winter mit Jean-Pierre, Peter und Detlev, denn die Stücke tragen allesamt Männernamen. "Wintersachen sind fast so etwas wie unsere Spezialität geworden", meint Johanna Perret. Das liege vor allem daran, dass man mit den dickeren Wollstoffen "besser skulptural arbeiten kann als mit leichten Stoffen", wie die Designerin erklärt. Für die Herbst-/Winter-Kollektion 2011/12 haben Schaad und Perret Angora, Loden und Schurwolle benutzt und zu warmen Jacken und Mänteln verarbeitet. Eine direkte Inspiration gab es nicht, "eher eine Stimmung, passend zum Winter ist die Kollektion eher gemütlich", meint Perret. Mantel Peter hat weit abstehende Schulterteile, Jean-Pierre ist Olivgrün, kurz und eher kastenförmig geschnitten mit locker gewellten Säumen an Schultern und Kragen. Bomberjacke Ulf besteht dagegen aus glänzend schwarzer Synthetik. "Wir lassen in jede Kollektion Teile aus einem technischen Stoff einfließen", meint Perret, "das erzeugt einen spannenden Kontrast". Wie Concis arbeiten auch Perret Schaad mit lockeren Schnitten. "Generell entwerfen wir gerne drapierte Teile, die etwas größer geschnitten sind und dem Körper Platz lassen", erklärt Perret. Angst vor den weiteren Silhouetten braucht aber niemand zu haben: "Weite Schnitte funktionieren super mit engen Hosen und schmalen Stiefeletten. Wem das dann trotzdem noch zuviel Volumen ist, der kann die Jacke mit einem Gürtel zusammenraffen", empfiehlt Johanna Perret. Das sieht Michael Sontag anders: "Ich persönlich mag es gerne, viele weite Teile zu kombinieren." Die Jacken und Mäntel in seiner Herbst-/Winter-Kollektion sind nicht nur weit geschnitten, sondern oft auch überlang. Die Capes reichen hinten fast bis zu den Knöcheln, während sie vorn kürzer geschnitten sind. "Für die Kollektion haben das Thema Schutz und der Wunsch sich einzuhüllen eine große Rolle gespielt", sagt der Designer. Tatsächlich wirken gerade die Mäntel wie Kokons, in denen man sich bei jeder Widrigkeit des Wetters geborgen fühlt. Das Lieblingsstück des Designers ist eine Jacke aus Wildseide, die er vor allem deswegen mag, weil "sie eine klassisch-schicke Anmutung hat trotz der ungewöhnlichen Schnittführung und des groben Materials". Diese Beschreibung trifft den typischen Sontag-Stil generell ganz gut. Der Designer verrät, dass er es interessant findet, von klassischen Jacken auszugehen, die er dann beim Drapieren variiert und verändert. "Durch das direkte Arbeiten mit dem Stoff an der Puppe entstehen oft relativ freie Formen, die dem Material die Möglichkeit geben, seine Eigenschaften zu entfalten", sagt Sontag dazu. Mit diesen freien, voluminösen Formen verändert er nicht nur klassische Jacken, sondern schafft ganz neue Körpersilhouetten. "Dieses Spiel mit dem Körper und den Stoffen und die Silhouetten, die daraus entstehen, finde ich sehr interessant", sagt der Designer, der zu den Mänteln noch ein paar ungewöhnliche Accessoires entworfen hat. Strickschals werden bei ihm nicht um den Hals, sondern um die Hüfte getragen. "Wie Nierenwärmer", erklärt Sontag. So ist man mit seiner Kollektion und auch mit denen der beiden anderen Labels für den kommenden Winter bestens gerüstet. Die Designer selbst sind aber noch gar nicht so gut vorbereitet: "Oh je", sagt Hoai Vo, "bei den Jacken kann ich ja meine eigenen tragen, aber ich brauche ganz dringend ein paar warme Winterschuhe". ------------------------------ Gute Adressen Concis www.concis.de; Verkaufsadresse: BFN Concept Store, Rosenthaler Straße 40/41, Hackesche Höfe, Hof 2, Mitte, Mo-Sa 11-20 Uhr Perret Schaad www.perretschaad.com; Verkaufsadresse: Ulf Haines, Rosa-Luxemburg-Straße 9, Mitte, Mo-Fr 12-20 Uhr, Sa 12-19 Uhr Michael Sontag www.michaelsontag.de; Verkaufsadresse: The Corner, Französische Straße 40, Mitte, Mo-Fr 10.30-19.30 Uhr, Sa 10-19 Uhr ------------------------------ Foto: Designerin Hoai Vo trägt eine drapierte Jacke aus der Herbst-/Winter-Kollektion ihres Labels Concis.

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