Schauspielerin und Regisseurin Julie Delpy erzählt in "My Zoe" vom Versuch, ein Kind zu klonen. Ein Gespräch über Science-Fiction, Mutterliebe und Frauen in der Filmindustrie.
Interview von Annett Scheffel
Die meisten kennen Julie Delpy, 1969 in Paris geboren, als Schauspielerin in dialogreichen Romanzen. Aber ihre sechste Regiearbeit ist anders als vorhergehende Delpy-Filme, auch wenn zunächst alles wie gewohnt beginnt: Im Zentrum von „My Zoe“ steht eine von ihr selbst gespielte Genetikerin, die sich mit ihrem Ex-Mann um das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter streitet. Als die plötzlich an einer Hirnblutung stirbt, entwickelt sich Delpys Film zum Wissenschaftsthriller und zur Science-Fiction-Parabel: Die verzweifelte Mutter versucht, die tote Tochter mittels Klontechnik zurückzuholen.
SZ: Ihr Film könnte viele Zuschauer überraschen, die Sie nur aus romantischen Beziehungsdramen kennen. War es Ihre Absicht, einen unerwarteten Film zu machen, um der Richard-Linklater-Welt zu entkommen, durch die Sie berühmt wurden mit „Before Sunrise“?
Julie Delpy: Ich bin Richard sehr dankbar. Der Erfolg von „Before Sunrise“ hat mir als Schauspielerin und als Drehbuchautorin viel ermöglicht. Aber es hat mich auch gelangweilt, immer die gleichen reizenden, neurotischen Frauenfiguren zu spielen, die alle von mir wollten. Es ist schwer, die Leute von etwas anderem zu überzeugen. Aber ich wollte eine unkonventionelle Geschichte erzählen. Eine leicht verzerrte Spiegelung unserer Gesellschaft. Ein Blick in eine potenzielle Zukunft. Etwas Fantastisches, das trotzdem realistisch ist.
Würden Sie sagen, Ihre Hauptfigur ist unmoralisch?
Man könnte das sagen, ja. Aber es geht mir dabei um etwas Spezifischeres als das Klonen im Allgemeinen, um die Frage, wie wir bestimmte Fragen für uns beantworten, wenn wir uns in einer persönlichen Tragödie wiederfinden. Verschiebt sich die Grenze zwischen moralisch und unmoralisch nicht, wenn es um unser Kind geht? Meine Figur tut etwas Egoistisches, ja. Aber sie tut es aus Liebe zu ihrer Tochter.
Ist die Liebe zu einem Kind nicht vielleicht auch immer ein bisschen egoistisch?
Ich glaube, dass man diese Liebe nicht von sich selbst trennen kann. Wir lieben ein Kind, weil es unser Kind ist. Was ich interessant finde, ist, dass ich manchmal das Gefühl habe, das Handeln meiner Figur bestürzt auch deswegen so sehr, weil sie eine Frau ist. Das Publikum scheint es gewohnt zu sein, dass die männlichen Figuren die Dinge in die Hand nehmen. Ein besonders sensibles Thema, weil wir auch über reproduktive Selbstbestimmtheit sprechen. Ich wollte die Entscheidung meiner Figur aber gar nicht beurteilen. Und auch nicht sagen, dass ich für das Klonen bin. Es geht darum, Fragen aufzuwerfen. Wissenschaftliche genauso wie philosophische.
Was könnte passieren, wenn das Klonen eines Menschen eines Tages Realität wird?
Lustig, dass Sie „eines Tages“ sagen. Das tun viele. Ich habe in den letzten Jahren viele wissenschaftliche Artikel und Magazine gelesen. Die Klontechnik ist ja schon jetzt ganz real. Es ist nicht so kompliziert, wie viele glauben, und es wird nicht mehr lange dauern, bis das mit Menschen problemlos funktioniert. Vor der wirklich wichtigen Frage scheinen alle Angst zu haben: Wie wollen wir das regulieren? Wer sagt uns denn, dass Kim Jong-un oder irgendein anderer Größenwahnsinniger nicht schon dabei ist. Elon Musk etwa. Obwohl, der würde sich wahrscheinlich einfach selbst klonen.
Was bereitet Ihnen am Klonen am meisten Angst?
Wahrscheinlich das, was viele Leute an der Vorstellung beunruhigt, dass man einfach die exakte Kopie eines Menschen anfertigen kann. Was macht uns besonders, wenn wir reproduzierbar werden? Sind wir dann noch individuell? Haben wir eine Seele? Wenn Gene so entscheidend sind, was sagt das über den Einfluss unserer Umgebung aus?
… und verändert das nicht auch die ganze Idee der Elternschaft?
Genau. Ich habe von Eltern von adoptierten Kindern gehört, dass es deswegen schwer für sie war, meinen Film zu schauen. Die Vorstellung, dass Kinder immer die Nachkommen ihrer genetischen Eltern bleiben, ganz egal, was man tut, ist schmerzlich für sie.
Die Idee für „My Zoe“ ist schon alt. Sie ging aus einem Gespräch mit dem Regisseur Krzysztof Kieślowski hervor, mit dem Sie einen Teil seiner „Drei Farben“-Trilogie drehten. Worum ging es da genau?
Wir haben uns damals zum Beispiel viel über Schicksal, Handeln und Identität unterhalten. Wie kann man gegen Dinge ankämpfen, die man nicht steuern kann? All das, worum es in seiner Filmreihe eben so ging. Und darüber, wie verrückt Elternschaft ist. Bis ich vor zehn Jahren selbst einen Sohn bekam, waren das aber nur vage Konzepte in meinem Kopf. Plötzlich wurde die Vorstellung, Mutter zu sein, zu einer erschreckenden Realität. Erschreckend wegen der enormen Angst, die damit einhergeht. Da ist dieses wunderbare, ganz und gar außergewöhnliche Wesen, das du mehr liebst als alles andere. Und du musst feststellen, wie fragil es ist. Das ist ein Albtraum.
Es geht in dem Film um Ihre eigene Angst?
Jedenfalls hat es damit angefangen. Kieślowski hat immer gesagt, die besten Erzählungen seien die, in denen ein Teil eigene Wahrheit steckt. Das gilt auch für ein anderes Thema, dass sich durch den Film zieht: Was macht es mit einem, wenn man sich plötzlich in einem Sorgerechtsstreit um ein Kind wiederfindet? Auch das habe ich selbst erlebt. Und es verdoppelt die Angst. Weil du über die eine Hälfte des Lebens deines Kindes die Kontrolle verlierst. Und du verpasst diese Hälfte auch. Es ist, als würde auch das Kind in zwei Teile geschnitten. Du musst dich als Mutter ganz neu erfinden. Ich habe beim Schreiben des Drehbuchs viel an Bergmans „Szenen einer Ehe“ gedacht.
Sie haben sechs Jahre gebraucht, um den Film zu realisieren. Warum?
Es war schwer, Produzenten von meiner Idee zu überzeugen. Es ist ein Drahtseilakt. Quasi das Gegenteil eines Hollywood-Films. Eigentlich ist die Geschichte sehr simpel. Ich wollte aber keinen eindeutigen Film. Nichts zu Melodramatisches, aber auch keine silbrig glänzende, kühle Science-Fiction. Und ich wollte keine kitschige Filmmusik, die das Publikum lenkt und ihm sagt, wann es welche Emotionen zu fühlen hat. Ich wollte meine Geschichte so ungekünstelt wie möglich erzählen. Jeder Zuschauer soll einen anderen Film sehen.
Hatten Sie das Gefühl, dass die schwierige Finanzierung mit sexistischen Vorbehalten zu tun hatte?
Natürlich ist es für Frauen in der Filmbranche immer noch schwieriger, gleichwertig bezahlt zu werden oder Budgets für Projekte zusammenzubekommen. Daran hat „Me Too“ nichts geändert. Dieses System des Machtmissbrauchs hat so lange funktioniert. Ich stehe vor der Kamera, seit ich vierzehn Jahre alt bin. Ich habe viel erlebt während meiner Karriere. Ich sehe aber auch, dass sich in dieser Hinsicht gerade in der jüngeren Generation viel ändert. Die Leute beginnen langsam zu begreifen, wie spannend die weibliche Perspektive sein kann.
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