Andrea Corinna Schöne

freie Journalistin, Speakerin, Moderatorin, Autorin, Ingolstadt

8 Abos und 2 Abonnenten
Artikel

Gebt behinderten Menschen die Show-Bühne, anstatt sie zu bewundern und zu bemitleiden! | Übermedien

Man hätte Felix so vieles fragen können. Zum Beispiel, wie er auf die verrückte Wette gekommen ist, im Handstand auf einem Skateboard fahrend Kaubonbons in Colaflaschen zu versenken. Aber Moderator Thomas Gottschalk interessierte sich in seiner letzten Sendung „Wetten, dass..?" vor allem für die Tatsache, dass Felix, der 14-jährige Kandidat der „Kinderwette", eine Behinderung hat.

„Du sitzt im Rollstuhl, aber du bist ein aufgewecktes und lustiges Kerlchen", kommentierte Gottschalk, während er Felix im Studio zum Skateparkour begleitete. Als wäre das ein Widerspruch: lustig und aufgeweckt sein und im Rollstuhl sitzen. Man habe das am Anfang ja gar nicht richtig gemerkt, dass er an den „Rollstuhl gefesselt" sei, fügte Gottschalk hinzu, bevor er Felix vor einem Millionenpublikum fragte, was er denn für eine Krankheit habe. Ein absolutes No-Go und ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre des Jugendlichen.

Der Umgang mit Felix bei „Wetten, dass..?" war Ableismus pur. Auch deshalb, weil es dem Kandidaten nicht einmal möglich war, zum Showsofa zu gelangen, um dort seinen Wettpaten die Hand zu schütteln. Das Sportler-Paar Ana Ivanović und Bastian Schweinsteiger begrüßten Felix stattdessen, völlig ungelenk und unsicher, indem sie ihm die Hand über die Stufen hinab entgegenstreckten.

Screenshot: ZDF

Das ist schon bemerkenswert: Das ZDF baut einen riesigen Skateparkour für Felix im Studio auf, schafft es aber nicht, an eine Rampe für dessen Rollstuhl zu denken. Zahlreiche Behindertenrechtsaktivist*innen kritisierten Gottschalks Verhalten und die fehlende Barrierefreiheit der Sendung.

Die letzte Ausgabe „Wetten dass...?" war ein Paradebeispiel dafür, wie ungewohnt die Präsenz behinderter Menschen in TV-Shows immer noch ist. Und diese werden - wenn sie, wie Felix, dann mal Showgast sind - auch noch ableistisch behandelt.

Barmherzigkeits-Shows von gestern

Zu einer Jahreszeit sind behinderte Menschen jedoch sehr präsent im Fernsehen, und zwar vor Weihnachten. Denn dann stehen die Charity-Shows an, in denen behinderte Menschen oft als Bittsteller*innen inszeniert werden, die Mitleid erregen und Almosen verdienen sollen. Anstatt Teilhabe zu schaffen, die ihnen als Menschenrecht zusteht, werden Stereotype innerhalb der nichtbehinderten Dominanzgesellschaft gefestigt. Dies hat reale Folgen im Alltag. Ich selbst habe es zum Beispiel schon erlebt, dass mir fremde Personen in der Öffentlichkeit Geld zustecken wollten. Sie waren erstaunt über meine empörte Reaktion.

Die preisgekrönte Dokumentation „Das Spendenproblem" des inklusiven Magazins „andererseits" warf vor einem Jahr einen kritischen Blick auf die Spenden-Gala „Licht ins Dunkel" des Österreichischen Rundfunks und löste damit eine Debatte in der österreichischen Öffentlichkeit aus. Der ORF berief daraufhin einen Runden Tisch ein, mit Behindertenrechtsaktivist*innen und Selbstvertretungen, und änderte sein Konzept. Im neuen Format traten in diesem Jahr Menschen mit und ohne Behinderung in inklusiven Teams gegeneinander an und sammelten Punkte. Je höher die Punkte, umso höher der Spendenbetrag. Anders ausgedrückt: Es bleibt beim Alten, nur das Format hat sich geändert. Behindertenrechtsaktivist*innen sehen die Neuauflage der Spenden-Aktion nach wie vor kritisch.

Auch in Deutschland gibt es Spendenaktionen im Fernsehen. „Hand in Hand für Norddeutschland" heißt zum Beispiel die Aktion des NDR, sie steht in diesem Jahr unter dem Motto „Besser zusammen! Der NDR mit der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung". Dazu sollte man als Zuschauer*in allerdings wissen, dass die Lebenshilfe ein Träger der Wohlfahrt ist, der Behindertenwerkstätten und Wohneinrichtungen betreibt. Aus Sicht von Behindertenrechtsaktivist*innen stellen sie einen entscheidenden Faktor für die Exklusion behinderter Menschen dar. Mit der Spendenaktion wird hier also einer Organisation eine Plattform geboten, die sich als vermeintlich inklusiver Akteur inszenieren kann. Ein Sender wie der NDR sollte besser das Wohlfahrtssystem, das behinderte Menschen erst in die Lage von Bittsteller*innen bringt, infrage stellen. Solche Spenden-Galas und Konzepte sind in der heutigen Zeit nicht mehr tragbar.

Inklusionswashing bei „Let's Dance" und „Germany's Next Topmodel"

Eine Show, in der bereits Kandidat*innen mit verschiedensten Behinderungen zu sehen waren, ist „Let's Dance" auf RTL. Hier traten der taube Kampfsportler und Schauspieler Benjamin Piwko, der Paralympics-Sieger Heinrich Popow, der mit einer Prothese tanzte, oder die blinde Sängerin Joana Zimmer auf. Ob ihre tänzerischen Fähigkeiten alleine im Vordergrund standen, ist zweifelhaft. So schreibt RTL selbst, dass die Leistungen der Teilnehmer*innen aufgrund ihrer Behinderungen besonders beeindruckt und „berührt" hätten. Diese Phrasen bedienen die ableistische Vorstellung, behinderte Menschen seien eine Inspiration. Und es stellt sich außerdem die Frage: Warum gibt es innerhalb einer Staffel immer nur einen Teilnehmer mit einer sichtbaren Behinderung?

Die Autorin

Andrea Schöne ist freie Journalistin und Moderatorin. Sie schreibt über Ableismus, Klimagerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Italien. Sie ist Lehrbeauftragte in Medienpädagogik zur Darstellung von Behinderung in den Medien an der TU Dresden. Im Oktober 2022 erschien ihr Buch „Behinderung und Ableismus" im Unrast Verlag.

Oft entsteht der Eindruck, einzelne Kandidat*innen mit offensichtlicher Behinderung sollen Shows den Anstrich von Vielfalt verpassen. Ein klarer Fall dieses Tokenism war auch die Teilnahme der gehörlosen Anna-Maria Schimanski bei „Germanys Next Topmodel" vor zwei Jahren. Vorgestellt wurde die junge Frau in der Sendung mit einer herzzerreißenden Geschichte um ihre gehörlose Familie und ihren Wunsch, Model zu werden. Groß inszeniert wurden zudem die Gebärdensprachkenntnisse von Heidi Klums Tochter Leni. Was eigentlich selbstverständlich sein müsste, nämlich inklusive Kommunikation, wurde zu einer Showeinlage gemacht.

Mehr als fragwürdig war auch der Umgang mit Anna-Maria Schimanski, als sie sich bei einem Video-Dreh aufgrund ihrer Gehörlosigkeit nicht gleichermaßen zur Musik bewegen konnte wie ihre hörenden Mitstreiter*innen. Als das Nachwuchsmodel in der dritten Folge die Show verlassen musste, gab es viel Kritik an der Show. Obwohl sich Heidi Klum gerade für diese Staffel Diversität auf die Fahnen geschrieben hatte, schaffte sie es nicht, angemessen auf die gehörlose Teilnehmerin einzugehen.

Barrierefreiheit ist kein optionales „Extra"

Damit behinderte Menschen an einer TV-Show teilnehmen können, muss von Vornherein ein Konzept für Barrierefreiheit ausgearbeitet sein. Und das bedeutet - wohlgemerkt - nicht nur, dass Produktionen eine Rampe oder eine Gebärdensprachdolmetscherin haben, sondern zum Beispiel auch Schriftdolmetschung, Induktionsschleifen für schwerhörige Personen oder Blindenleitsysteme bereit stellen. Damit beispielsweise Menschen mit Lernschwierigkeiten auch einen gleichberechtigten Zugang zu TV-Shows bekommen, sollten Moderator*innen zudem in Einfacher und Leichter Sprache geschult werden.

Barrierefreiheit ist kein optionales „Extra", sondern bedeutet Teilhabe. Dazu braucht es eine ausführliche Beratung durch behinderte Menschen und finanzielle Ressourcen.

Mehr Sichtbarkeit - auch in anderen Formaten

Auch Moderator*innen mit Behinderung sind im Fernsehen aktuell überwiegend bei Formaten wie der „Aktion Mensch" zu sehen, oder immer dann, wenn es um Themen wie Inklusion geht. Das suggeriert, behinderte Menschen hätten keine weiteren Interessen als Behinderung. Echte Teilhabe geht anders. Warum nicht mal eine behinderte Moderatorin bei „Let's Dance", bei einer Geschichts-Doku, einer Quiz-Show oder in einer Politik-Talk-Show? Warum nicht mal ein Gebärdensprachpoet bei Shows wie „Das Supertalent"? Ein positives Beispiel ist Ninia LaGrandes Moderation bei „Unterwegs mit Ninia" , einem Format der ZDF-Sendung „WISO". 2020 wurden davon vier Folgen veröffentlicht. Das könnte doch auch der Standard sein!

Da sich behinderte und nichtbehinderte Menschen aufgrund der Trennung seit Kindestagen im Schulsystem und am Arbeitsplatz kaum begegnen, kennen die meisten Nichtbehinderten behinderte Menschen oft nur aus der Darstellung in den Medien. Doch diese Darstellung ist meist verzerrt.

Medien tragen daher eine besonders hohe Verantwortung für die Inklusion behinderter Menschen. Sie prägen das gesellschaftliche Bild, das wir von ihnen und ihren Lebenswelten haben. Gerade Fernsehshows können, wenn sie gut umgesetzt sind, einen wichtigen Beitrag für Inklusion und die Sichtbarkeit behinderter Menschen schaffen.

Zum Original