Im Buch ist die Sicht auf Menschen mit Lernschwierigkeiten auffällig positiver. Die beiden Brüder ziehen in eine Pariser Studierenden-WG ein, die zunächst wegen Barnabés Behinderung skeptisch ist. Doch nach und nach legen die meisten Mitbewohner*innen ihre Berührungsängste ab. Barnabé regt die Studierenden auch immer wieder mit seinen sehr ehrlichen Bemerkungen zum Nachdenken an. So hört ein Mitbewohner beispielsweise deshalb mit dem Rauchen auf und verkuppelt zwei Mitbewohner*innen miteinander. Die Geschichte wird mit viel Humor erzählt.
Barnabés Bruder Colbert hat neben der Betreuung seines Bruders auch ein eigenes Leben. Den Lebensunterhalt beider finanziert er durch das Erbe der verstorbenen Mutter. Er besucht in Paris ein Elitegymnasium und will sich danach für die Aufnahmeprüfung an einer Pariser Eliteuniversität vorbereiten. Im Gymnasium lernt er ein Mädchen kennen und verliebt sich.
Stereotype und Schimpfwörter über behinderte MenschenSchon der Titel des Buches und Films „Simpel" ist klischeehaft. Das Wort ‚simpel' hat eine abwertende Bedeutung und weist vor allem auf die Defizite des Bruders mit Lernschwierigkeiten hin. Barnabas ist 22 Jahre alt und auf dem geistigen Stand eines Dreijährigen. Oftmals wird er wie ein „großes Kind" behandelt, das man nicht ernst nehmen kann. Auch wenn er dem Gespräch folgen kann und ganz klar seine Meinung äußert. Aria geht mit Barnabas im Film auf einen Spielplatz, was noch einmal klischeehaft verdeutlicht, wie Menschen mit Lernschwierigkeiten als „große Kinder" gesehen werden. Sich selbst bezeichnet Barnabé als „Idiot" und wird so auch zum Teil von den WG-Mitbewohner*innen bezeichnet, ohne die Abwertung jemals zu thematisieren.
Im Film treffen Ben und Barnabas auf einen LKW-Fahrer, der selbst einen Sohn mit Lernschwierigkeiten hat. Er beschreibt wie fröhlich sein Sohn ist und dass er wisse, was wichtig im Leben ist. Menschen mit Lernschwierigkeiten wird damit klischeehaft zugeschrieben immer nur fröhlich zu sein. Dabei wird vergessen, dass auch Menschen mit Lernschwierigkeiten Sorgen haben können bis zur Depression.
Die Sprache des Films kommt leider auch nicht ohne das Schimpfwort „Spasti" bei der ersten Begegnung von Aria und Barnabas aus. Später entschuldigt sie sich dafür bei seinem Bruder. Dennoch wäre das Schimpfwort nicht nötig gewesen, um Arias Berührungsängste und Vorurteile gegenüber Barnabas realistisch darzustellen.
Kein Schauspieler mit BehinderungBarnabas wird von David Kross dargestellt, einem Schauspieler ohne Behinderung. Die Ursache für Barnabas Lernschwierigkeiten werden im Buch und Film ausführlich thematisiert. In einem Interview erzählte Kross der Morgenpost, dass er für die Rolle mit Psychologen gesprochen hat und viel Zeit in Behindertenwohnstätten verbracht hat, um das Verhalten von Menschen mit Lernschwierigkeiten zu studieren. In keinem Interview wurde die Frage gestellt, warum der Regisseur Markus Goller keinen Schauspieler mit Lernschwierigkeiten für die Rolle des Barnabas engagiert hat.
Die Darstellung von Barnabas erscheint mir durch die hektischen Fingerbewegungen und den schiefen Gang als übertrieben. Im Interview mit dem NDR beschrieb Kross die Behinderung von Barnabas als eine „Mischung aus Intelligenzminderung und einer bestimmten Form von Autismus". Das kann Klischees über Autist*innen wieder hervorrufen.
PressestimmenDas Medien-Echo auf den Film war enorm. Während Ben mit seinem Vater auf der Geburtstagsfeier seiner neuen Frau spricht, betritt Barnabas das Haus. Daraufhin reagiert der Vater auf seinen behinderten Sohn Barnabas sehr aggressiv. Er wirft ihn vor allen Geburtstagsgästen zu Boden und schlägt ihn auch. Der WELT war die Aggressivität nicht drastisch genug. Für n-tv braucht die herzzerreißende Tragikomödie unbedingt eine Fortsetzung. Im Interview mit der BILD will David Kross Menschen mit Lernschwierigkeiten ohne Mitleid begegnen, diskriminiert aber positiv, indem er meint: „Ich wollte nicht mit Mitleid auf diese Leute schauen, sondern ich wollte ihnen ganz normal begegnen. Das bringt ihnen viel mehr als nur reines Mitleid. Sie geben einem dann auch unheimlich viel. Auch meine Figur Simpel teilt andere Figuren nicht in Kategorien ein, wie das heute nach dem Leistungsprinzip so üblich ist. Er schaut jeden Menschen mit offenen Augen an und hat viel Liebe zu verschenken." Im NDR werden Menschen mit Lernschwierigkeiten von David Kross als „nicht normal" definiert.
FazitDer Regisseur Markus Goller spricht im Interview mit Filmreporter.de über die Abschottung von Menschen, die anders sind und ausgeschlossen werden. Es wäre schön gewesen, wenn er dies auch im Film thematisiert hätte. Es ist nichts Neues, dass es gegen Menschen mit Lernschwierigkeiten viele Vorurteile gibt.
Für mich zeigt der Film verschiedene gesellschaftliche Haltungen gegenüber Menschen mit Lernschwierigkeiten - aber vor allem die negativen. Der Vater der Brüder lehnt seinen Sohn mit Behinderung vehement ab, am Ende gipfelt es regelrecht in Aggression. Seinem Sohn Ben verweigert er jede Hilfe, um Barnabas nicht ins Heim geben zu müssen. Die Sanitäterin Aria weist Ben ebenfalls auf die guten Fördermöglichkeiten im Heim hin, als sie zufällig eine Gruppe von Menschen mit Lernschwierigkeiten aus einem Heim trifft. Positiv ist jedoch, dass Aria ihre Berührungsängste zu Barnabas im Laufe des Films abbaut. Während sie ihn zu Beginn des Films nicht ernst nimmt und ihn nicht persönlich anspricht.
Ich hätte mir für die Zuschauer*innen noch mehr Anregungen gewünscht, wie man respektvoll mit Menschen mit Lernschwierigkeiten umgeht und seine Berührungsängste abbaut. Es ist an der Zeit an Filmen zu arbeiten, die uns zeigen wie Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam zusammenleben können. Der Eigenblick von Menschen mit Lernschwierigkeiten bleibt bei „Simpel" wieder vorborgen.