Mit der oftmals aufsehenerregenden Überwindung von alltäglichen Hindernissen geht die Philosophie einher, gesellschaftlich festgefahrene Strukturen aufzuweichen und aus der Routine auszubrechen. Denn bei Parkour wird die Stadt zum Spielplatz und auf unkonventionelle Weise für das Training genützt. „Man bekommt einen neuen Blickwinkel auf seine Umgebung", sagt Leander, der schon seit einigen Jahren Parkour trainiert. Im Vordergrund steht dabei die Fähigkeit, möglichst effizient und sicher von Punkt A zu Punkt B zu gelangen.
Es ist Sonntagnachmittag und PassantInnen, die am Fritz-Imhoff-Park vorbeikommen, bleiben verwundert stehen. Denn hier springen rund 50 jungen Menschen am Boden herum, klettern auf Mauern, die weit höher sind als sie selbst, balancieren über Zäune und üben Abrollen am Boden. Und das bei strömendem Regen. Keinen der Teilnehmenden scheint das zu stören. Nachdem gemeinsamen Aufwärmen zeigen die Geübteren in kleinen Gruppen die Techniken oder helfen bei Verfeinerungen. „Ich bin über Videos auf Parkour gekommen und wollte das schon lange ausprobieren. Ich bin aber erst vor kurzem auf die Website von Parkour Vienna gestoßen", sagt Michelle, die heute zum ersten Mal dabei ist.
Entstanden ist Parkour im Pariser Vorort Lisses in den späten 1980ern. Daher kommen viele Bezeichnungen aus dem Französischen. So werden die Trainierenden ‚Traceur' genannt, was so viel bedeutet wie „der, der den Weg ebnet".
In Wien gibt es Parkour nun seit etwa zehn Jahren. Von einer Handvoll Jugendlicher ist die Szene mittlerweile schon auf etwa 150 ständig Trainierende gewachsen. Ein Grund dafür ist, dass sich die Wiener Parkour-Szene offen für neue Interessierte präsentiert. Wöchentlich wird am Sonntag ein großes Treffen über das Online-Forum von Parkour Vienna organisiert. Das anfängerfreundliche Training ist eine der Besonderheiten der Wiener Parkour-Szene. In Großbritannien etwa sind die Parkour-Gruppen um einiges kleiner. Anfänger besuchen meist Trainings von Profi-Coaches, was einiges kostet.
„Mit Parkour lernt man die Stadt anders kennen"
Was Wien als Stadt für Parkour auszeichnet ist außerdem, dass es eine große Vielfalt an Trainingsorten, sogenannten Spots, gibt. „Ich hab oft mitgekommen, dass Traceure aus anderen Städten sagen, dass wir mehr kreative Spots nutzen. Vor kurzem waren Berliner hier, die gemeint haben, dass sie besser überlegen müssen, was sie machen wollen. In Berlin gibt es mehr Mauern. Da sind die Trainingsmöglichkeiten eher straightforward," sagt Marc.
Trainierende lernen, kreativ mit ihrer Umwelt umzugehen und sie anders wahrzunehmen. „Mit Parkour lernt man die Stadt anders kennen und entdeckt neue Seiten seiner Umgebung," sagt Miriam, die seit einem Jahr dabei ist. Besonders gerne trainiert sie etwa auf der Donauinsel oder bei den Wasserwelten beim Meiselmarkt. Richtige Lieblingsspots hat sie jedoch nicht. „Bei Parkour entdeckt man immer wieder Herausforderungen, die man dann unbedingt schaffen will. Dann übe ich gerne an diesem Ort, bis ich das geschafft habe. Im Moment trainiere ich gerade, mit den Füßen an eine Mauer zu springen, um mich dann weiter hinauf zu einer Stange abzustoßen. Das kann man gut beim Meiselmarkt trainieren", sagt sie. Fortschritte machen die Traceure für sich selbst. Wettbewerb und Konkurrenz gibt es bei Parkour nicht. „Ich mache Parkour, weil es einem die Möglichkeit gibt, seinen eigenen Weg zu wählen. Ich kann das nur für mich machen und muss mich dabei mit niemandem vergleichen", meint Kathi.
Hie und da kommt es auch vor, dass Anrainer die Polizei verständigen und melden, vor Ihrem Haus würden Einbrecher trainieren. „Wenn auf öffentlichen Plätzen Fußball gespielt wird, regt sich niemand auf. Wenn die Leute aber beobachten, wie jemand von einer Mauer springt und den Aufprall mit einer Rolle abfedert, ist das gleich verdächtig. Was die Leute nicht kennen, macht sie skeptisch," sagt Tom, der die Plattform Parkour-Vienna.at ins Leben gerufen hat.
„In sehr vielen Städten ist Parkour weniger gern gesehen"
Im Großen und Ganzen hat die Wiener Szene allerdings kaum Probleme mit der Polizei. „Man darf in Wien eigentlich überall trainieren. Das ist nicht selbstverständlich. In sehr vielen Städten, ist Parkour weniger gern gesehen. In Wien gibt es gibt nur einen Platz, an dem es verboten ist: Die Senfbauten im 10. Bezirk. Eine Wohnanlage," sagt Peter. Ein Grund für den guten Ruf von Parkour bei der Wiener Polizei ist das Prinzip des respektvollen Umgangs mit der Umgebung. „Wir machen nichts kaputt. Das wäre sonst ja so, als würde ein Kind sein Spielzeug kaputt machen", sagt Tom.
Einige Übungen sehen für Außenstehende einfach aus, wie sogenannte „Präzisionssprünge" am Boden, also beidbeinige Sprünge auf einen vorher gewählten Punkt. Richtig ausgeführt und öfter wiederholt haben es derartige Übungen aber in sich. Auch diese einfach aussehenden Grundtechniken von Parkour beruhen auf jahrelangem Training. Fazit: Wer sich selbst an der Trend-Sportart versuchen will, muss sich unbedingt auf Muskelkater einstellen.