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Porträt Ian Fleming: Man lebt nur siebenmal

  • Jeder kennt James Bond. Aber wer kennt dessen Schöpfer, Ian Fleming? Sein 50. Todestag ist vielleicht ein später Anlass, das nachzuholen, aber ein geeigneter Anlass, an ihn zu erinnern. 

In einer Radiosendung 1958 erklärte Fleming seinem Kollegen Raymond Chandler, er schreibe seine Bücher jeweils während eines zweimonatigen Urlaubs auf Jamaika. Darauf Chandler bewundernd: "I can't write a book in two months!" Und Fleming: "Well, but then you write better books than I do." In einer anderen Sendung antwortete er auf die Frage, ob James Bond ihn von ernsthafterem Schreiben abhalte: "No, I'm not in the Shakespeare stakes. I've got no ambitions."

Ian Fleming kannte seine Grenzen, und das ist vielleicht einer der Gründe für seinen Erfolg. Von 1953 an veröffentlichte er zwölf Romane und zwei Kurzgeschichtenbände um den Geheimagenten 007. Außerdem die Sachbücher The Diamond Smugglers (1957) und Thrilling Cities (1963) sowie das Kinderbuch Chitty-Chitty-Bang-Bang (1964). Allein die Bond-Bücher verkauften sich bis heute rund hundert Millionen Mal.

Gescheiterte Lebensentwürfe

Flemings erste Jahrzehnte waren geprägt von fremdbestimmten Lebensentwürfen, an denen er scheiterte, und selbstgewählten, die er wieder verwarf. Geboren wurde er am 28. Mai 1908 in London, als zweiter von vier Söhnen. Das strahlende Vorbild der Familie war sein Vater, der zunächst politische, dann militärische Karriere machte und 1917 im Weltkrieg fiel. Nach seinem Beispiel trat Fleming 1921 ins Eton College ein, mit dem Plan, danach in Oxford zu studieren (Lebensentwurf Nr. 1). In Eton erwies er sich allerdings als dermaßen letztklassiger Schüler und erstklassiger Sportler, dass seine Mutter ihn ans Royal Military College in Sandhurst verlegte.

Ihre Hoffnung, er würde, wenn schon nicht in die akademischen, so zumindest in die militärischen Fußstapfen seines Vaters treten (Nr. 2), wurde jedoch enttäuscht. Flemings Lebenslust vertrug sich nicht mit militärischer Disziplin: Er verliebte sich und verbrachte seine Nächte in den weichen Armen seiner Freundin statt hinter den harten Mauern der Kaserne. Daraufhin wurde er einer englischen Privatschule in Kitzbühel anvertraut, wo er seine Begeisterung für deutschsprachige Literatur entdeckte. Anstelle von Sapper, Sax Rohmer, John Buchan und durchaus auch Lord Byron las er nun Kafka, Musil, Schnitzler, Rilke, Werfel und Hofmannsthal.

Es folgte Lebensentwurf drei: Auf Wunsch seiner Mutter sollte er Diplomat werden. Zur Vorbereitung studierte er in München und Genf, scheiterte jedoch an der Aufnahmsprüfung des Außenministeriums. Wieder gedrängt von der Mutter arbeitete er ab 1931 drei Jahre als Journalist (Nr. 4) für die Nachrichtenagentur Reuters. Während eines Intermezzos als Börsenmakler (Nr. 5) entfachten die aktuellen politischen Entwicklungen sein Interesse an geheimdienstlichen Aktivitäten. 1939 reiste er als Sonderkorrespondent der Times nach Moskau - offiziell, um über ein britisches Handelsunternehmen zu berichten. Aber heimlich verfasste er einen Bericht über die sowjetischen Streitkräfte, der ihm einen Posten bei der Naval Intelligence Division verschaffte, dem Geheimdienst der Royal Navy.

Damit (Nr. 6) waren nun alle zufrieden: Seine Mutter, weil er seinem Vater doch noch zum Militär gefolgt war. Und er selbst, weil er ganz in seiner neuen Tätigkeit aufging, während des Zweiten Weltkriegs Geheimoperationen gegen Nazideutschland zu organisieren. Nach dem Krieg wurde er wieder Journalist, diesmal für die Sunday Times. Und mit 44 entschloss er sich zu heiraten. Später bezeichnete er die Panik, welche dieser Abschied von seinem umtriebigen Junggesellendasein in ihm auslöste, als Anstoß für seinen siebenten und definitiven Lebensentwurf: "I really wanted to take my mind off the agony. And so I decided to sit down and write a book."

In Casino Royale (1953) hat der Agent Le Chiffre Geld des sowjetischen Geheimdienstes veruntreut und verloren. Im fiktiven französischen Küstenort Royale-les-Eaux versucht er, seiner Liquidierung zu entgehen, indem er den Betrag am Spieltisch zurückgewinnt. Doch James Bond vom britischen Secret Service durchkreuzt diesen Plan, woraufhin Le Chiffre ihn gefangen nimmt und diabolisch foltert: Er fesselt ihn nackt auf einen Stuhl ohne Sitzfläche und schlägt mit einem Teppichklopfer von unten auf ihn ein. Im Zuge eines für Fleming-Bösewichte charakteristischen Monologs droht er, Bonds "Männlichkeit" zu zerstören. Als er mit den Worten "Say good-bye to it" zu einem Messer greift, wird Bond im letzten Moment gerettet. Aber während seines anschließenden Krankenhausaufenthalts quält ihn die Angst, seine sexuelle Potenz eingebüßt zu haben.

Im Hinblick auf Flemings Aussage lässt sich dergleichen nicht nur als packende Spionagegeschichte lesen. Sondern auch als hysterische Angstfantasie eines zukünftigen Ehemanns, der seine "Männlichkeit" mit den Abenteuern und der sexuellen Freiheit seiner Junggesellenjahre gleichsetzt. Immerhin gerät Bond nur deshalb in die Gewalt Le Chiffres, weil er sich in seine Agentenkollegin verliebt und ihr vertraut. Diese Gefühle gehen so weit, dass er den Dienst quittieren und sie heiraten möchte: Der Geheimagent ist bereit, auf seine Abenteuer, der Junggeselle, auf seine Freiheit zu verzichten. Und nur eine Schlusswendung verhindert, dass es dazu kommt.

Schema und Abweichungen

Casino Royale ist zugleich einer der stärksten und am wenigsten typischen Bond-Romane. Nie mehr wird Fleming seinen Protagonisten in solch düstere Abgründe stürzen. Stattdessen etabliert sein zweites Buch, Live and Let Die (1954), jenes Schema, das Umberto Eco in seiner Studie Die Erzählstrukturen bei Ian Fleming (1969) so erhellend analysiert hat: eine leicht konsumierbare Mischung aus Thriller und Abenteuerroman, deren Held in möglichst unterschiedlichen Transportmitteln an möglichst exotische Orte reist, verfolgt von einem Gruselkabinett sadistischer Nebenbösewichte unter dem Befehl eines monströsen Hauptbösewichts, der ein Verbrechen megalomanischen Ausmaßes plant, infolgedessen Bond ihm letztendlich auf drastische Weise den Garaus macht, um sich danach von seiner verführerischen Verbündeten für all die Strapazen entschädigen zu lassen.

Einmal, in The Spy Who Loved Me (1962), bricht Fleming sein Schema radikal - nicht nur, indem er den gesamten Roman aus der Sicht einer Frau erzählt. Mehrmals - in den Kurzgeschichten - weicht er mit kuriosen Resultaten davon ab: In The Hildebrand Rarity (1960) etwa beschränkt sich Bonds Rolle darauf, einen Millionär bei der Suche nach einem seltenen Fisch zu unterstützen. Und in Quantum of Solace (1960) auf die des Zuhörers einer tragischen Ehegeschichte, die ihm sein exaltiertes Dasein im Vergleich zu den intimen Dramen des Alltags als banal vor Augen führt. Dies deutet schon an, dass der Bond der Bücher eine menschlichere Figur ist als jener der Filme: Er weint und kotzt, kennt Zweifel, Angst und Einsamkeit, putscht sich mit Benzedrin auf, kann sich in You Only Live Twice (1964) an nichts mehr erinnern und will in The Man with the Golden Gun (1965) seinen Chef umbringen.

Von Kritikern wurde Fleming hart attackiert, und auch Literaturwissenschaftler zählen meistens nicht zu seinen Anhängern. Einige ihrer Vorwürfe - Xenophobie, Sadismus, Frauenfeindlichkeit - lassen sich durch akkurate Lektüre relativieren. Anderen wiederum, wie etwa Konsumgläubigkeit, britischer Nationaldünkel, kleinbürgerliche und manichäistische Ideologie oder Waffen- und Maschinenfetischismus, lässt sich schwerlich etwas entgegenhalten.

Warum also ist es ein Vergnügen, Fleming zu lesen? Weil er ein Unterhaltungsautor war, der - ganz ohne verlogene Posen - seine Aufgabe immer ernst nahm und meistens erfüllte: dem Publikum eine erholsame Flucht aus seiner Routine zu bieten, hinein in eine spektakuläre, fremdartige und zugleich überschaubare Märchenwelt, wo am Ende der Gute den Bösen besiegt. Weil er zwar ein Dilettant in der Darstellung von Menschen war - ganz besonders von Frauen und Schurken -, aber ein Meister von unwiderstehlicher, sinnlicher Suggestivkraft, sobald er ein Duell am Baccaratisch beschrieb oder die Abfahrt des Orientexpress aus Istanbul, die von Lawinen gefährdete Flucht auf Skiern über St. Moritz, das qualvolle Schleppen einer Goldkiste durch die Tiroler Alpen, die Jagd auf einen Stachelrochen im Indischen Ozean oder schlicht das nackte Schwimmen in der Abenddämmerung einer französischen Meeresbucht.

Ian Fleming starb am 12. August 1964 an Herzversagen. James Bond lebt weiter und kann bei Amigo Grafik oder auf Englisch bei Penguin Classics neu- oder wiederentdeckt werden. Denn wie sagte Chandler am Schluss jener Radiosendung? "I love to see you always."
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