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Einerseits haben sich die Anforderungen im Lehrerberuf verändert, andererseits hat sich aber auch das Bewusstsein für psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz insbesondere bei den Lehrkräften gewandelt. Dadurch kommt das Thema zunehmend in das Bewusstsein, sodass sich betroffene Lehrer schneller an die richtige Stelle wenden und psychische Erkrankungen besser und auch häufiger diagnostiziert werden.
Was für eine Rolle spielt dabei die Gewalt gegen Lehrer?
Wir haben in unserem Lehrerprojekt mit Coaching-Gruppen eine Stichprobe von etwa 4000 Lehrern und da sehen wir eine gewisse, wenngleich geringe Zunahme von Gewalt gegen Lehrern. Laut der baden-württembergischen Kriminalstatistik werden erstaunlich wenige dieser Übergriffe gegen Lehrer überhaupt zur Anzeige gebracht, es gibt also eine hohe Dunkelziffer. Diese Gewalt gegen Lehrkräfte trägt natürlich auch zu den berufsbedingten Belastungen bei, es ist allerdings nicht die einzige Belastung.
Die Lehrer berichten, dass die Gewalt von Schülern, Eltern, aber auch gelegentlich von Kollegen oder Vorgesetzten zugenommen hat. Doch auch andere Faktoren machen ihnen das Leben schwer. Ein Faktor ist sicher die gesellschaftliche Veränderung. Die Schüler haben sich verändert. Gerade die Lehrer, die schon lange im Beruf sind, berichten, dass ihnen früher mehr Respekt entgegengebracht wurde. Die neue Generation stellt mehr Forderungen an die Lehrer und auch die Eltern fordern mehr. Früher war der Respekt größer, heute wird von den Lehrern gefordert, dass sie dafür sorgen, dass die Kinder Leistung erbringen. Gleichzeitig gibt es mehr Störfaktoren im Unterricht als früher. Mit den Handys schauen die Schüler nach, ob der Lehrer wirklich das Richtige erzählt. Diese Störungen werden als sehr belastend empfunden.
Meistens sind es im weitesten Sinne pädagogische Situationen, in denen den Schülern Grenzen gesetzt werden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn es um Noten geht. Gelegentlich gibt es Gewalteinwirkungen auch von Eltern auf Elternabenden, wenn diese mit der Benotung nicht einverstanden sind. Das ist zum Glück eher selten, aber wir haben immer wieder Lehrkräfte, die so darunter leiden, dass sie Traumafolgestörungen entwickeln und bei uns in der Klinik behandelt werden müssen. Oft sind es aber auch Situationen, in denen der Lehrer mal härter durchgreift und einem Schüler das Handy abnimmt, in denen derjenige impulsiv mit Gewalt reagieren.
Die betroffene Lehrkraft fühlt sich hilflos und ohnmächtig, weil sie auf die Situation nicht unmittelbar reagieren kann. Es macht zwar einen Unterschied, ob ich körperlich angegriffen oder „nur" beleidigt werde, aber das erzeugt bei den Betroffenen in jedem Fall Stress und der kann sich auf verschiedene Weise entladen. Im schlimmsten Fall führt das zu posttraumatischen Belastungsstörungen. Das ist aber nur der Fall, wenn sie in massiver Weise körperlich angegriffen oder bedroht werden. Viel häufiger sind Folgeerscheinungen wie depressive Störungen, Angststörungen oder auch Soziale Ängste, bei denen die Lehrer merken, dass sie sich im Klassenverband oder Kollegium nicht mehr wohlfühlen. Auf einmal fühlt sich ein Lehrer, der jahrelang selbstbewusst war und seinen Beruf geliebt hat, unbeholfen. Die Lehrkräfte ziehen sich dann zurück und die Ängste nehmen immer mehr zu. Und dann kann sich daraus natürlich auch ein missbräuchliches Konsumverhalten entwickeln, dass sie zu Schlafmitteln greifen, weil sie nicht mehr schlafen können oder zu Alkohol.
Es gibt eine leichte Geschlechtspräferenz für Frauen. Vor den Männern haben Schüler offenbar noch mehr Respekt, sie werden nicht so leicht Opfer von Gewalt. Auch der Erfahrungsgrad spielt eine Rolle. Lehrer, die schon länger im Beruf sind, haben aufgrund ihrer Erfahrungen oft eine höhere Widerstandsfähigkeit. Aber es gibt auch Fälle, in denen die Lehrkräfte nach Jahrzehnten im Beruf in einer Art Erschöpfung sind und sich dadurch angreifbarer fühlen und wer sich so fühlt, der wird auch öfter angegriffen.
Im Wesentlichen ist es so: Wenn es eine gute und stabile Beziehung zwischen Schüler und Lehrer gibt, ist die Chance für das Auftreten von Gewalt gering. Es gibt eine Untersuchung, die die Gewaltfaktoren auf Seiten der Schüler untersucht hat. Da zeigt sich, dass männliche Schüler häufiger zu Gewalt neigen als weibliche. Auch Schüler, die eher schlechte Noten haben und sich bemühen müssen - und damit wenig Bestärkung ihres Selbstwerts bekommen - dass die immer wieder zu Gewalt neigen. Und man sieht, dass junge Menschen, die selbst zu Hause Gewalt erlebt haben, häufiger in der Schule gewalttätig werden.
Von Mitschuld würde ich nicht sprechen, aber es ist so, dass man durch seine eigene Beziehungsgestaltung viel verändern kann. Lehrer mit einer ausgeprägten Beziehungskompetenz werden seltener Opfer von Gewalt. Nach dem Motto Druck erzeugt Gegendruck: Wenn ich auf einen aggressiven Impuls des Schülers mit Gegenaggression reagiere, kann sich das leicht hochschaukeln. Da brauchen Lehrer die Kompetenz, die die Gewaltbereitschaft senkt.