Als sie anfing zu studieren, glaubte unsere Autorin, das Studium in der vorgegebenen Zeit schaffen zu müssen. Heute weiß sie, dass das Quatsch ist – und die soziale Ungleichheit zwischen Studierenden verstärkt.
Meinen Bachelor habe ich in sechs Semestern durchgezogen, Regelstudienzeit. Heute wünsche ich mir oft, ich hätte es anders gemacht - besser. Ich hätte gern ein Semester im Ausland studiert oder ein Praxissemester eingelegt. Beides war in meinem Studium nicht vorgesehen. Hätte ich mich dennoch dafür entschieden, hätte ich mindestens ein Semester dranhängen müssen.
Was hat mich davon abgehalten? Nun ja, Bafög ist an die Regelstudienzeit geknüpft. Ich hatte damals Angst, mir mein Studium später nicht mehr leisten zu können. Heute weiß ich, dass die Regelstudienzeit genau deshalb ein Problem ist: weil sie soziale Ungleichheit verstärkt.
Die Regelstudienzeit bestimmt, wer Geld bekommt und wer nichtTatsächlich ist ein Abschluss in Regelstudienzeit gar nicht die Regel. 2018 beendeten gerade mal 38,1 Prozent der Absolventinnen und Absolventen ihren Bachelor innerhalb der vorgegebenen Semesterzahl. Im Master waren es noch weniger: 23,5 Prozent.
Trotzdem ist die finanzielle Unterstützung für Studierende an diese Zahl gebunden. Nach Paragraf 15 Bundesausbildungsförderungsgesetz können Studierende bis zum Erreichen der Förderungshöchstdauer Bafög beziehen - und die entspricht der Regelstudienzeit des jeweiligen Studiengangs. Nur in Ausnahmefällen wird länger gezahlt, zum Beispiel wenn man schwanger wird, sich in einem Hochschulgremium engagiert oder nahe Angehörige pflegt.
"Allein die Angst davor, die Regelstudienzeit zu überschreiten, hat mich von einem Auslandssemester abgehalten"
Eine weitere Ausnahme gilt für Auslandssemester: Wer freiwillig während der Regelstudienzeit ins Ausland geht, bei dem wird die Förderungshöchstdauer daraufhin angepasst - also um ein oder maximal zwei Semester verlängert. Ich hätte also im Bachelor durchaus ein Auslandssemester machen können. Nur was, wenn ich dadurch Kurse verpasst hätte und das Studium noch weiter hätte verlängern müssen? Allein die Angst davor, die Regelstudienzeit zu überschreiten, hat mich von einem Auslandssemester abgehalten. Ich hätte zwar auch noch die sogenannte Hilfe zum Studienabschluss beantragen können - die muss als Volldarlehen aber komplett zurückgezahlt werden.
Bei vielen Stipendien gilt dasselbe wie beim Bafög: Mit dem Deutschland-Stipendium etwa werden Studierende maximal bis zum Ende der Regelstudienzeit gefördert. Bei der Hans-Böckler-Stiftung muss der Abschluss ebenfalls in der durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz festgelegten Höchstdauer gemacht werden. Und auch das Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes richtet sich nach den Vorgaben des Bafög.
Übrigens: Auch das vorübergehend zinslose Darlehen der staatlichen Förderbank KfW, ein wesentlicher Bestandteil der Corona-Hilfen für Studierende, kann erstmalig nur beantragen, wer maximal im zehnten Fachsemester studiert.
Soziale Ungleichheit wird verstärkt
Die Regelstudienzeit zu überziehen, muss man sich also leisten können. Das baut unnötig Druck auf, und zwar bei denen, die nicht von ihren Eltern unterstützt werden können. Menschen wie mir.
Ob sich jemand an die vorgegebene Semesterzahl halten muss oder nicht, ist aber nicht nur eine Frage der sozialen Position, sie kann soziale Ungleichheit auch verstärken. Denn ob man einen Job bekommt, hängt oft weniger davon ab, ob man in Regelstudienzeit studiert hat, sondern vielmehr davon, ob man im Ausland gelebt, Praktika gemacht oder sich nebenbei ehrenamtlich engagiert hat.
Statt das Studium nur möglichst bald zu beenden, sollte es doch darum gehen, Erfahrungen zu sammeln. Schließlich heißt Studieren auch fürs Leben lernen. Und dass es sich unter Zeitdruck nicht unbedingt besser lernt, haben wir zuletzt beim Turbo-Abitur gesehen.
Über sechs Semester MasterstudiumNatürlich sollte es ein Limit geben, das Menschen davon abhält, ewig zu studieren. Aber muss es so eng sein, dass es für viele Stress und sogar Verzicht bedeutet? Ich finde: Die Regelstudienzeit schränkt Studierende zu sehr ein und sollte abgeschafft werden. Nicht um zu faulenzen, sondern um die Freiheit zu haben, während des Studiums andere Dinge zu tun. Das geht nur, wenn man genügend Zeit bekommt - und die darf nicht vom Kontostand abhängen.
Im Master habe ich mir diese Zeit genommen, mittlerweile studiere ich statt vier schon über sechs Semester. Nebenher habe ich drei Praktika absolviert, mich als studentische Mitarbeiterin im Beruf ausprobiert und auf erste Stellen beworben. Bafög bekomme ich schon lange nicht mehr, meinen Master habe ich mir durch Nebenjobs finanziert. Aber so hat mir das Studieren mehr Spaß gemacht - und mehr für die Zukunft gebracht.
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