Der italienische Zweitligist Calcio Catania steht nach einem Manipulationsskandal vor dem Aus. Und am Ätna wird nun richtig dreckige Wäsche gewaschen.
„Stamu avvulannu" ist sizilianischer Dialekt für „Wir heben ab" und seit ein paar Wochen ein geflügeltes Wort an der Ostküste der größten Mittelmeerinsel. Frustriert, verschämt, aber zu allererst selbstironisch nehmen die Fans von Calcio Catania mit diesem Ausdruck Bezug auf die desaströse Situation ihres Vereins. Ausgelöst wurde die Krise, die den Verkauf des Klubs sowie den Zwangsabstieg mit sich bringen wird, durch die Aufdeckung von Spielmanipulationen zu Gunsten des abstiegsbedrohten Zweitligisten im April dieses Jahres.
Ende Juni hat die italienische Polizei zahlreiche Telefonmitschnitte veröffentlicht, aus denen hervorgeht, wie die Verantwortlichen von Catania insgesamt fünf Spiele durch die gezielte Bestechung gegnerischer Spieler kauften. Nachdem der Klassenerhalt der zweiten Liga nach vier Siegen gesichert war, brüllte ein Handlanger am anderen Ende der Leitung euphorisch: „Alter, wir steigen noch auf!" Und: „Stamu avvulannu!"
In den Gesprächen hört man Klubpräsident Pulvirenti und den sportlichen Leiter Delli Carri, wie sie die Abfahrzeiten von Zügen besprechen. Eine dilettantische Vernebelungstaktik, die schon dann auffällt, als der ehemalige Juniorennationalspieler Delli Carri nach „dem Zug um 33" fragt. Beim Hören der Aufnahmen wird schnell ersichtlich, dass es um etwas anderes geht. Die Rückennummern der zu bestechenden Spieler.
Nach anfänglicher Unschuldsmine nimmt Pulvirenti nach seiner Festnahme Ende Juni alle Verantwortung auf sich. Er gesteht: „Ich habe 100.000 Euro pro Spiel bezahlt", lässt aber ungeklärt, was ihn hierzu angetrieben hatte. Vereinsliebe oder Bedrohungen durch die Wettmafia? Der 53-jährige Antonino Pulvirenti trägt einen der häufigsten Familiennamen der Stadt, wurde selbst in Catania geboren und hatte nie den Ruf, in zwielichtige Machenschaften verwickelt zu sein. Nachdem er durch den Ausbau einer Supermarktkette zu Reichtum gekommen war, kaufte er 2004 eine Holding, die die Billigfluglinie Windjet, Luxushotels und seinen Lieblingsverein, den damaligen Zweitligisten Calcio Catania, besaß.
2006 gelang nach 22 Jahren die Rückkehr in die Serie A. Ein Wirtschaftsmagazin kürte Präsident Pulvirenti zu Siziliens Geschäftsmann des Jahres und der Klub etablierte sich in der Folge nach einer turbulenten Anfangszeit im italienischen Oberhaus. Trainer-Neulinge wie Walter Zenga, Siniša Mihajlović, Diego Simeone oder Vincenzo Montella nutzten den Verein als Sprungbrett.
All diese heute erfolgreichen Erstligatrainer hatte
Pulvirentis langjährige rechte Hand, der Sportdirektor Pietro Lo
Monaco, nach Catania gelotst. Der Neapolitaner Lo Monaco war
jahrelang als Spieler und Trainer durch Süditaliens
Amateurfußball getingelt, bevor er als Scout für Udinese arbeitete
und schließlich am Fuße des Ätnas heimisch wurde. Charismatisch,
dominant und unangenehm am Verhandlungstisch, galt er als einer
der besten Einkäufer im italienischen Fußball. Besonders in
Südamerika baute Lo Monaco auf hervorragende Kontakte und
scoutete höchstpersönlich Talente bis in die zweite argentinische
Liga. Bis zu zwölf Argentinier gleichzeitig waren unter Lo Monaco in
Catanias Kader. Unter seiner Führung brach die Mannschaft alle
Vereinsrekorde in Italiens erster Liga und klopfte gar an die Tür
der Qualifikation zur Europa League.
Welche Rolle spielt der ehemalige Milito-Berater?
Lo Monaco verließ Catania 2012 im Streit. Schon seit längerem war
dafür der argentinische Spielervermittler Pablo Cosentino in
Transfers von Catania verwickelt. Cosentino hatte argentinische
Stars wie Claudio Caniggia, Ezequiel Lavezzi oder Diego Milito betreut
und ist in seiner Heimat vor allem bekannt, weil er 2000 bei Diego
Maradonas Überdosis Kokain im uruguayischen Badeort Punta del Este
mit von der Partie war. Der Ex-Diskothekenbetreiber Cosentino lebt
zwischen Buenos Aires, Miami und Mailand und wurde 2004 im Zuge des „Calciopoli“-Skandals der Serie A ermittlungstechnisch erwähnt.
Catanias sportlicher Niedergang beginnt, als Präsident
Pulvirenti den Bock zum Gärtner macht und Cosentino als
Vizepräsidenten installiert. Dieser hatte bereits diverse eigene
Spieler in Catania untergebracht und später Claudio Caniggias Bruder
als Chefscout angestellt. Aber nach dem Abstieg in die Serie B tritt
er in Sizilien kaum öffentlich in Erscheinung und stellt sich fast
nie den kritischen Fragen der Fans und Journalisten.
Spielerberater und Vizepräsident Cosentino als Mittäter?
Auch Cosentino wurde im Juni vorrübergehend festgenommen,
behauptete allerdings, nichts von den Bestechungen gewusst zu haben.
Schwer vorstellbar, schließlich hört man auch ihn in einem Gespräch
mit Pulvirenti, in dem diese über die „einzige
Nützlichkeit“ (der Kontakte für Spielmanipulationen) ihres
Sportdirektors Delli Carri lästern. Cosentinos Vertrag bei den
Blau-Roten lief indes kurze Zeit später aus, er verließ
schnellstmöglich das sinkende Schiff Catania.
Kurioserweise war ihm sein Vorgänger und Kritiker Pietro Lo Monaco zur Seite gesprungen, dessen langjährige Arbeit, so meinen viele, der Argentinier in kurzer Zeit zu Grunde gerichtet hatte: „Es kann sein, dass Cosentino von nichts wusste.“ Der Name Lo Monaco, heute ein paar Kilometer nördlich von Catania Besitzer des Viertligisten Messina, taucht derweil in diesen Tagen immer wieder im Zusammenhang mit dem Verkauf seines Ex-Klubs auf. Lo Monaco bestreitet zwar eigenes Kaufinteresse oder Vertreter eines finanzstarken Konsortiums zu sein, traf sich aber dennoch zu Gesprächen mit Catanias Bürgermeister Enzo Bianco.
Viele offene Fragen
Dieser wiederum sucht händeringend Käufer für den Klub. Denn in und um Catania weiß man, dass der italienische Sportsgerichtshof ein deutlich milderes Urteil fällen würde, wenn Haupttäter Pulvirenti vom Hof wäre. Offiziell ist dieser als Präsident zurückgetreten und hat den Verein zum Verkauf freigegeben. Aber inoffiziell blockiert er Verhandlungen mit Interessenten. Auch aus Angst, dass sein ehemaliger Partner Lo Monaco zuschlagen könnte?
Vor allem hat er wohl finanziellen Gründe, denn der Verkauf des
noch vor wenigen Jahren in der Serie A etablierten Klubs, wäre ein
riesiges Verlustgeschäft. Und natürlich hängt Pulvirenti auch
emotional an „seinem“ Calcio Catania: aus den Telefongesprächen geht hervor, dass er bereits hochmütig „für die nächste Saison die Meisterschaft der zweiten Liga arrangiert“ hatte.
Dass seine Telefongespräche abgehört wurden, hatte Pulvirenti
sich übrigens selbst eingebrockt. Im März hatte er bei der Polizei
Morddrohungen gegen seine Person angezeigt. Ganz klassisch waren ihm
zwei Patronenhülsen in einem Briefumschlag geschickt worden.
Pulvirenti bekam Polizeischutz. Aber wer war der Absender der
Drohungen?
Bereits im Vorfeld Morddrohungen gegen den Präsidenten
Manche munkeln, es sei die Wettmafia gewesen, die Pulvirenti ebenfalls in der Folge zur Schiebung der Spiele im Abstiegskampf zwingen sollte. Dafür spricht, dass der Urheber des bereits heute in Sizilien legendären Ausspruches „Wir heben ab“ ausgerechnet Besitzer eines Wettbüros ist. Andere sagen, dass die Morddrohungen im März von enttäuschten Fans kamen. Diese hatten nämlich im schnelllebigen Fußballgeschäft trotz der erfolgreichen Jahre in der ersten Liga Pulvirenti persönlich für die sportliche Talfahrt verantwortlich gemacht.
Quelle: www.11freunde.de
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