Das Kunsthaus Zürich steigt in die Weltklasse der Kunstmuseen auf, indem es sich die umstrittene Sammlung des Waffenhändlers Emil Bührle ins Haus holt. Aber zu welchem Preis?
Wenn an diesem Samstag das Kunsthaus Zürich seinen neuen Anbau eröffnet, darf es sich erstmals als das größte Kunstmuseum in der Schweiz bezeichnen. 20 Jahre lang wurde mit einem Budget von 200 Millionen Schweizer Franken auf diesen einen Tag hingearbeitet. Und trotzdem wird das Ergebnis wohl eher nicht an der Architektur von David Chipperfield gemessen werden.
Auf der fast verdoppelten Ausstellungsfläche ziehen leihweise vier wichtige Privatsammlungen ein, um gemeinsam ein Museum von Weltrang zu etablieren. Eine dieser vier Sammlungen – die 170 Werke aus dem Nachlass des Waffenfabrikanten Emil Bührle (1890-1956) – hätte das Projekt beinahe torpediert und wird die restlichen Ausstellungen wohl auch weiterhin überschatten.
Über Jahre hinweg wurde dem Kunsthaus vorgeworfen, dass es die Vergangenheit ausradiere, übertünche oder zumindest mit dem Rotstift bearbeite. Vergangenheitsbewältigung ist deshalb in Zürich ein fester Teil der Präsentation geworden, sie bekommt eigene Räume zugestanden, eigene Rahmen. Das Museum verspricht, mithilfe von Texten, Doku-Material, regelmäßigen Führungen und Diskussionen darüber aufzuklären, wer der Sammler Emil Bührle wirklich war. Damit geben sich noch längst nicht alle Gegner zufrieden. Manche wünschten sich gleich eine Kanonen-Skulptur auf dem Vorplatz des Kunsthauses, um Fakten zu schaffen. Andere wollten am liebsten, dass Bührles Name nie erst von einer öffentlichen Institution geadelt worden wäre. Dafür ist es jetzt zu spät.
Durch den Krieg zum reichsten Mann der Schweiz
Die 20-Millimeter-Kanone war Bührles Exportschlager. Vom neutralen Boden der Schweiz aus belieferte sein Rüstungsunternehmen Oerlikon ab den 1920er-Jahren verfeindete Mächte wie China und Japan. Es bewaffnete sowohl die alliierten Franzosen, Briten und Amerikaner, als auch die Achsenmächte. Dass Bührles Sympathien dabei dem nationalsozialistischen Deutschland galten, das machen seine eigene Freikorps-Vergangenheit, sein Antikommunismus und seine rechtsextremen Freundschaften plausibel.
Jedenfalls profitierte Bührle vom Vernichtungskrieg der Deutschen auf mehrfache Weise: Zum reichsten Mann der Schweiz wurde er dank der gestiegenen Nachfrage, sowie dank der Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen. Ab den 1930er-Jahren kaufte er bedeutende Kunstwerke ein, die nur so billig zu haben waren, weil man sie Jüdinnen und Juden geraubt hatte.
Auch das sogenannte "Fluchtgut" (welches jüdische Sammler in größter Not verkauften, um ihre Flucht zu finanzieren) gilt mittlerweile als indirektes Raubgut. Nach dem Krieg musste Bührle zwar einzelne Werke zurückgeben, neuere Restitutions-Forderungen der Erben von Max Emden oder Max Silberberg wies die Bührle-Stiftung allerdings ab.
Öffentliche Entrüstung war absehbar
Was bleibt? Betrachtet man heute die Gemälde in Zürich, dann sieht man dort nicht bloß Hauptwerke von Cézanne, van Gogh, Monet und Picasso. Man steht vor einem der zwei Lebenswerke von Emil Bührle, inklusive all seiner darin verewigten Vorlieben, seiner Liebe zur Kunst und zum Krieg. Wenn diese Sammlung bei Kunsthistorikern als konservativ gilt, weil Bührle zeit seines Lebens in die Impressionisten vernarrt war und neuere Kunstrichtungen verschmähte, dann ist sie gleicherweise von den anderen Eigenschaften und Entscheidungen ihres Sammlers geprägt; dann vermittelt sie geschmackliche, genauso wie ökonomische und moralische Maßstäbe. Das gilt besonders, wenn sie so geschlossen präsentiert wird wie jetzt, auf ihrer eigenen Etage, mit 1000 Quadratmetern Platz. Architekt David Chipperfield lässt uns Emil Bührles Kopf betreten.
Die öffentliche Entrüstung war absehbar, und das nicht erst seit kurzem. Bereits im Jahr 2001 und ebenfalls in Zürich war ein für die Flick Collection gedachtes Museum daran gescheitert, dass das Erbvermögen des Sammlers von dessen Großvater mit NS-Waffen und Zwangsarbeit erwirtschaftet worden war. Das Blut, das am Geld und Namen der Flicks haftete, reichte den Zürichern als Grund zum lautstarken Protest, ganz unabhängig von der gezeigten Kunst. Soweit das Déjà-vu, bei Bührle kommt aber noch die strittige Herkunft der Werke erschwerend hinzu.
Ausgerechnet diese Herkunft sollte ausgespart werden, als 2017 eine Historikerkommission der Universität Zürich mit einem Forschungsbericht über Bührle beauftragt wurde. Kurz vor Abschluss stieg einer der Autoren 2020 aus dem Projekt aus – ähnlich wie die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy 2017 mit dem Berliner Humboldt Forum gebrochen hatte, weil sie dort auf taube Ohren stieß. Mittlerweile hat der Aussteiger Erich Keller (ähnlich wie Savoy) ein Buch darüber geschrieben, wie groß die Versäumnisse des Kunstbetriebs seiner Meinung nach seien. "Das kontaminierte Museum" heißt die Anklageschrift bei ihm.
Unterm Strich herrscht Uneinigkeit
Laut Keller habe die Bührle-Stiftung den Forschungsbericht beeinflusst, weil sie in einem Steuerungsausschuss saß, der Änderungsvorschläge zum Bericht machen durfte (in der Welt der Auftragsforschung ist solch ein Gremium nicht gerade üblich). Den Namen Emil Bührle habe man reinwaschen wollIen, und die Provenienz-Forschung sei hier zur reinen Formalie verkommen, zu einer Art Stempel, der den Weg für eine bedenkenlose Ausstellung freimache. Der ehemalige Direktor der Bührle-Stiftung hat ebenfalls ein Buch veröffentlicht und hält natürlich dagegen. Er antwortet auf die Vorwürfe insofern, als er sorgfältig darlegt, wie viel Forschung es in den letzten 60 Jahren bereits zu Bührle gegeben hat und dass sich dabei mehrere Vorwürfe als unbegründet herausstellten.
Beide Versionen der Geschichte im Kopf zusammenzubringen, scheint fast unmöglich. Ein Signal der Versöhnung ist es vielleicht aber, dass gemeinsam mit der Kunst auch das Archiv der Bührle-Stiftung ins Kunsthaus einziehen darf; Dokumente, die man lange Zeit unter Verschluss gehalten hatte und die nun erstmals unabhängigen Parteien zugänglich gemacht werden. Nur die Ergebnisse der Provenienz-Forschung können einer Seite des Konflikts abschließend recht geben.
Ansonsten steht natürlich noch das Urteil aus, das die Besucherinnen und Besucher ab Samstag selbst fällen dürfen, wenn sie zwischen Kunst und Dokumentation lavieren, die einen vielleicht eher für das eine kommen und die anderen sich mehr für das andere interessieren. Nach all den Jahren Streit lässt sich sagen, dass das Kunsthaus nicht übertreibt, wenn es auf seiner Website schreibt: In Zürich bekommt die Figur des privaten Kunstsammlers "einen größeren Auftritt als je zuvor".