Verena Böttcher

Fernseh- und Wissenschaftsjournalistin, Köln

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Endlich besser sehen

Colourbox.de

FOCUS Magazin | Nr. 13 (2017)


TITELSTORY: Endlich besser sehen


Konzentriert blickt Matthias Zimmer geradeaus. Mit seinem betäubten Auge fixiert er einen grünen Punkt, der langsam verschwimmt. Innerhalb weniger Sekunden erhitzt der Laserstrahl das Innere seines Auges so, dass sich Luftbläschen darin bilden. Der 34-Jährige sieht ab diesem Moment alles nur noch wie durch eine Milchglasscheibe, lediglich Schatten kann er noch wahrnehmen. Der Gedanke „Oh Gott, stell dir vor, es bleibt jetzt so" durchzuckt ihn, wie er später erzählt. Sofort beginnt die eigentliche Operation, die Zimmer schon wenige Minuten später besser sehen lässt als zuvor.


Behandelt wurde Zimmer mit dem Relex-Smile-Verfahren (Small Incision Lenticule Extraction), einer sanften Laser-Methode, um Fehlsichtigen ein Leben ohne Brille und Kontaktlinsen zu ermöglichen. 2011 wurde sie in Deutschland eingeführt und gilt dennoch als ziemlich neu. Sie ist deutlich schonender als die bisherigen Augenlaser-Operationen, vor allem schonender als das häufigste Verfahren namens Lasik, bei dem tief in das gesunde Auge hineingeschnitten wird. Die neue Methode hingegen lässt unser wertvollstes Sinnesorgan weitgehend intakt. Sport ist bereits am nächsten Tag möglich, Sehstörungen treten seltener auf, und die Patienten kämpfen nicht mehr mit trockenen Augen. So werben jedenfalls die Ärzte. Noch behandeln sie fast ausschließlich Kurzsichtige. Sie bereiten jetzt aber eine große internationale Patientenstudie vor, um künftig auch Weitsichtigkeit zu korrigieren.


Nahezu 70 Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind fehlsichtig. 63,4 Prozent tragen ab 16 Jahren zumindest zeitweise eine Brille, vom 60. Lebensjahr an steigt der Anteil auf 93 Prozent. Ob beim Betreten einer warmen Bäckerei, wenn man aus der Kälte kommt, im Regen oder beim Sport - die Brille nervt. Zwar kann die Sehhilfe als modisches Accessoire ganz chic wirken, viele stört sie dennoch. Kontaktlinsen können eine Lösung sein, doch nicht jeder trägt sie gern. Jährlich erfüllen sich deshalb mehr als 100 000 Deutsche den Wunsch, endlich auf eine Sehhilfe zu verzichten.


„Ich konnte meine Brille auf dem Tisch vor mir nicht sehen", erinnert sich Zimmer. Mit -8 Dioptrien war ein Leben ohne Sehhilfe unmöglich. Der begeisterte Wassersportler trug beim Surfen Kontaktlinsen, doch die vertrug er immer schlechter. „Die meisten, die sich für eine Operation entscheiden, haben vorher weiche Kontaktlinsen benutzt, die sie nicht mehr vertragen", sagt Augenarzt Detlev Breyer. „Der Grund dafür ist meist ein zu trockenes Auge." Breyer gehört zu den Pionieren der refraktiven Chirurgie, also der Operationen, die Fehlsichtigkeiten korrigieren. Als einer der weltweit zehn ersten Operateure führte er die Smile-OP durch.


Um eine Sehkorrektur zu ermöglichen, wird beim Lasern die Hornhaut verändert. Das am häufigsten verwendete Verfahren ist die Lasik (Laserinsitu-Keratomileusis). Mit einem kleinem Messer schneidet der Chirurg hierbei aus dem Auge ein kreisrundes Hornhautdeckelchen, das er wie eine Buchseite umklappt, um in den darunter liegenden Schichten zu lasern. Wird der Hornhautdeckel, der sogenannte Flap, mit einem Laser statt per Hand geschnitten, spricht man von der Femto-Lasik. Beim Smile-Verfahren wird ohne Flap gearbeitet. Das Auge bleibt äußerlich weitgehend intakt.


„Für mich war klar, dass ich keine Lasik machen möchte. Die Vorstellung des aufgeklappten Auges hat mir nicht gefallen", berichtet Zimmer. „Doch als ich von der neuen Behandlungsmöglichkeit, der Smile-OP, gehört habe, war ich direkt begeistert."

Beim Smile-Verfahren erhitzt der Laser die Hornhaut im Inneren des Auges und schneidet danach einen zwei bis vier Millimeter breiten Schlitz. Durch diesen führt der Operateur einen winzigen Spatel ein, mit dem er vorsichtig ein kleines Stück der Hornhaut löst, das beim Lasern vorbereitet wurde. Dieses dünne, losgelöste Hornhautscheibchen zieht er dann mit einer Pinzette aus dem Auge heraus. Im Anschluss drückt der Chirurg mit seinem Finger auf dem Auge herum, um die entstandene Lücke in der Hornhaut zu schließen.


Die Operation selbst ist dank Betäubungstropfen völlig schmerzfrei. „Wenn eine Zahnoperation so wäre, hätte ich auch keine Angst mehr vor dem Zahnarzt", sagt Zimmer. Ganz spurlos ging die Operation aber nicht an ihm vorbei: „Als die Betäubung nachließ, tränte und brannte das Auge." Damit die Augen optimal verheilen, müssen sie nach der Operation in regelmäßigen Abständen mit antibiotischen Tropfen versorgt werden.

Bereits seit sechs Jahren arbeiten in Deutschland vereinzelt Augenchirurgen mit dem Smile-Verfahren. Inzwischen wenden es weltweit mehr als 1000 Mediziner an. Seit Kurzem lasern nun auch amerikanische Operateure damit. Die als besonders streng geltende US-Behörde FDA (Food and Drug Administration) hat das Verfahren im September 2016 genehmigt. Ausschließlich die Firma Zeiss verkauft das Gerät, mit dem die Chirurgen die Smile-Operation durchführen.


Billig ist sie nicht. Patienten geben dafür pro Auge etwa 2500 Euro aus. Eine Lasik-Operation kostet je nach Anbieter nur etwa die Hälfte. Im Ausland gibt es günstigere Angebote, oft kombiniert mit einem Kurzurlaub. Doch Experten warnen davor. „Nachuntersuchungen sind auch noch Jahre nach einer Laser-Operation sinnvoll. Diese können ausländische Anbieter nicht gewährleisten", sagt Augenarzt Breyer. Zimmer entschied sich deshalb für eine Operation nahe seinem Wohnort. „Wenn sich Komplikationen entwickeln, will ich direkt vor Ort betreut werden. Außerdem vertraue ich den deutschen Hygienestandards mehr."


Allerdings ist nicht jeder für eine Laser-Operation geeignet. Die Sehschärfe sollte während der vergangenen zwei Jahre stabil geblieben sein, der Patient muss mindestens 18 Jahre alt sein und die nötige Hornhautdicke aufweisen. Um das abzuklären, ist eine gründliche Voruntersuchung zwingend erforderlich. Dabei stellt der Augenchirurg fest, welche Korrekturen sinnvoll und überhaupt möglich sind. Wird trotz zu dünner Hornhaut gelasert, kann diese sich im schlimmsten Fall ausbeulen, sodass der Patient unter Umständen eine Hornhauttransplantation benötigt.


Zurzeit ist eine Smile-Operation in Deutschland nur für die Korrektur von Kurzsichtigen und Patienten mit Hornhautverkrümmung zugelassen. Walter Sekundo, Entwickler der Smile-Methode, bereitet nach erfolgreichen Vorstudien für dieses Jahr eine internationale Studie vor, um die Zulassung für weitsichtige Patienten zu erhalten. „Ich schätze, dass das Smile-Verfahren in drei bis vier Jahren auch für Weitsichtige auf den Markt kommen wird", sagt er.


Für Kurzsichtige empfiehlt die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft einen Anwendungsbereich von -3 Dioptrien bis -8 Dioptrien. Wer besser sieht, kann meist auch operiert werden. Wer jedoch mehr als -10 Dioptrien hat, sollte sich nicht lasern lassen, weil die Hornhaut zu sehr unter dem Eingriff leiden könnte. Für weitsichtige Patienten kommen schon heute die Lasik und die Femto-Lasik als Möglichkeiten infrage. So können Patienten mit bis zu +3 Dioptrien gelasert werden.


Doch was, wenn man gar nicht fürs Augenlasern infrage kommt? Dann könnte ein Implantat eine Lösung sein. Wenn im Auge ausreichend Platz vorhanden ist, kann eine ICL (Phake-Intraokularlinse) oder eine Artisan/Artiflex-Linse eingesetzt werden - sozusagen eine dauerhafte Kontaktlinse. Diese kann operativ auch wieder aus dem Auge entfernt werden. Bei diesen Verfahren wird dem Auge also etwas hinzugefügt statt weggenommen wie beim Lasern. Dennoch entscheiden sich mehr Patienten für das Lasern. Das jedenfalls ist die Erfahrung von Manfred Tetz, Augenchirurg und ehemaliges Vorstandsmitglied der Europäischen Gesellschaft für Katarakt- und refraktive Chirurgie. „Das ist eher emotional", erklärt er. „Vom Risikoprofil und Erfolg der Operation her gibt es eigentlich keinen Unterschied zum Lasern."


Jedoch funktioniert nicht jede Laser-Operation auf Anhieb. „Ein Verfahren, bei dem man nie nachlasern muss, wird es wahrscheinlich nie geben", räumt Breyer ein. Von ungefähr 1500 durchgeführten Smile-Operationen habe er bisher vier Patienten nachkorrigiert. Und zwei davon gehörten zu den ersten hundert Patienten.

Andere korrigieren laut Selbstauskunft öfter: Das Berliner Euroeyes Augenlaserzentrum lasert bei zwei Prozent der Smile-Operationen nach. Nach einer Lasik korrigiert die Augenklinik in circa fünf Prozent der Fälle ein weiteres Mal.


Selbst wenn nicht nachgelasert werden muss, kann es durchaus vorkommen, dass trotzdem nicht alles in Ordnung ist. Marianne Burg* ließ sich 2014 mittels Femto-Lasik behandeln. Nach der Operation kämpfte die damals 28-Jährige mit trockenen Augen und sah einen milchigen Rand um ihr Gesichtsfeld. Man sagte ihr, dieser würde verschwinden, doch so sehr sie sich auch in die Augen tropfte, der milchige Rand blieb. „Ich hatte Albträume und suchte, wenn ich nachts aufwachte, nach meiner Brille", schildert sie. „In den ersten Monaten wünschte ich mir einfach nur, dass ich die Operation nicht hätte machen lassen."

Ein Jahr später, als sie erneut zur Untersuchung kam, wurden ihr Cortisontropfen verschrieben, die das Problem lösten. Auch das Problem mit ihren trockenen Augen verbesserte sich langsam. Nicht zuletzt, weil sie ihre Lebensgewohnheiten umstellte und nun bewusst mehr Flüssigkeit zu sich nimmt und regelmäßig ihren Blick in die Ferne schweifen lässt, um ihre Augen zu entspannen. Heute hilft sie noch ein- bis zweimal im Monat mit Feuchtigkeitstropfen nach. „Mittlerweile bin ich so zufrieden mit dem Ergebnis, dass ich es wieder tun würde und es auf keinen Fall mehr bereue", resümiert Burg. Nur blau leuchtende Schriftzüge kann sie seit der Operation nachts nicht mehr entziffern.


Auch kranzförmige „Heiligenscheine" um Lichtquellen, sogenannte Halos, können als Nebenwirkung einer Laser-Operation auftreten. Die Smile-Operateure werben damit, dass ihr Verfahren vor allem für Patienten mit trockenen Augen besser geeignet sei. Denn dadurch, dass nur ein zwei bis vier Millimeter breiter Tunnel anstatt eines kreisrunden, zwei Zentimeter langen Flap in die Hornhaut geschnitten wird, werden deutlich weniger jener Nervenzellen durchtrennt, die das Signal zur Produktion der Tränenflüssigkeit geben. Nach einer Lasik-Operation verschwinden Blendeffekte, Trockenheit und Fremdkörpergefühle meist innerhalb eines Vierteljahrs.


Der Smile-Operateur Breyer nennt weitere mögliche Komplikationen beim Lasik-Verfahren: „Der Flap kann Falten und Dellen werfen." Theoretisch ist es auch möglich, dass das Hornhautdeckelchen verschoben wird oder abreißt, wenn man etwa mit dem Finger unter den Flap kommt. Der Augenchirurg sagt: „Im Grunde genommen macht man bei der Lasik aus einem gesunden Auge ein weniger stabiles. Ich sehe keinen Grund mehr für dieses veraltete Verfahren bei der Korrektur der Kurzsichtigkeit."

Augenchirurg Tetz stellt jedoch klar: „Das Risiko, dass der Flap abreißt oder sich verschiebt, ist immens gering. Die Lasik ist schließlich auch für US-Militärpiloten und Astronauten der NASA zugelassen, das heißt, selbst bei starkem Luftwiderstand, großen Temperaturunterschieden und starken Beschleunigungskräften bleibt der Flap an Ort und Stelle."


Dass das Smile-Verfahren die Femto-Lasik ablösen wird, glaubt er kaum. „Ich denke, dass beide Verfahren gut in friedlicher Koexistenz bestehen können." Auch Breyer vermutet, dass sich das Smile-Verfahren nicht flächendeckend durchsetzen wird, obwohl er von der Methode überzeugt ist: „Viele können eine Smile- Operation einfach nicht durchführen. Sie ist schwieriger als das Femto-Lasik-Verfahren. Die meisten Laser-Ketten werden daher lieber bei den einfacheren und günstigeren Methoden bleiben."

Dirk Mühlhoff, Leiter des Geschäftsfelds Refraktive Chirurgie der Carl Zeiss Meditec AG, ist sich naturgemäß sicher, dass dem Smile-Verfahren die Zukunft gehört: „Es ist einfach ein minimalinvasives Verfahren und liefert hervorragende klinische Ergebnisse. Deshalb wird es sich durchsetzen."


Nach seiner Operation jedenfalls warf Zimmer seine Brille in einen Behälter, in dem alte Brillen für Afrika gesammelt werden. „Augenlasern ist im Grunde wie Fallschirmspringen", meint er. „Man hat irrsinnige Angst davor, dann ist nach wenigen Minuten bereits alles vorüber, und das Gefühl danach ist einfach nur fantastisch."



*Name von der Redaktion geändert

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