Vanessa Reske

Wissenschaftsjournalistin, Köln

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Millionen Merinoschafe leiden für warme Wollprodukte

Die Shoppingzentren sind im Wintermodus. Pullis, Schals und Strickjacken füllen die Schaufenster. Besonders beliebt ist Merinowolle. Doch kaum ein Verbraucher weiß, dass in Australien Millionen Schafe für die warmen Wollprodukte leiden. Von Vanessa Reske

Merinowolle gilt als besonders warm, nicht kratzig, atmungsaktiv und wird deshalb gerne in Outdoor-Kleidung und Wintermode eingearbeitet. Zu rund 95 Prozent stammt die Wolle aber von riesigen Schafsfarmen in Australien, wo das Tierwohl wenig beachtet wird. Für Verbraucher ist es allerdings nicht leicht, Merino-Produkte aus tiergerechter Produktion zu finden.

Was viele nicht wissen: Merinowolle ist nicht gleich Merinowolle. Zwei exakt gleich wirkende Woll-Kleidungsstücke können die unterschiedlichsten Herstellungswege gegangen sein. So gibt es beispielsweise die kleine Brandenburger Merinoschäferei von Helmut Biermann in der Nähe von Nauen. Er betreibt seinen Hof konventionell. Am Ende der Saison kann Helmut Biermann 1.017 Kilo Merinowolle verkaufen, aber er bekommt für ein Kilo dieser feinen Wolle in diesem Jahr nur 80 Cent netto. So wenig wie nie zuvor, obwohl Merinowolle sehr begehrt ist. Biermann sagt, er brauche nicht viel zum Leben und sei sparsam.

Doch Deutschland importiert 95 Prozent der Merinowolle aus dem Ausland - vor allem aus Australien, denn dort wird die Wolle im industriellen Maßstab produziert. Und für das Kilo Merinowolle "Made in Australia" bekommen die Farmer dort über zehn Euro.

Während in Deutschland Schäfer Biermann 234 Zuchtschafe betreut, sind es in Australien um die 19.000 pro Farm. Tierschützer finden diese Form der Massentierhaltung bedenklich. Besonders umstritten ist die Behandlung der Tiere in vielen Betrieben, vor allem das sogenannte Mulesing, das vor allem in Australien praktiziert wird. Dabei werden den Lämmern rund um den After ohne Betäubung Hautfalten abgeschnitten.

Durch das Mulesing sollen die Schafe in dieser eher feuchten, schmutzigen und warmen Körperregion vor Fliegenbefall bewahrt werden. "Mulesing ist einer der größten Eingriffe, den es bei Nutztieren gibt", sagt Corinna Reinisch von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten. "Die Tiere haben große Schmerzen, verlieren Gewicht und meiden die Person, die den Eingriff durchgeführt hat", so Reinisch.

Einige Schafe werden außerdem hin und wieder in der krebserregenden Chemikalie Permethrin gebadet, um Insekten und deren Maden und Larven im Fell des Tieres abzutöten. Der krebserregende Stoff Permithrin kann in den Wollprodukten nachgewiesen werden.

Tierschützer fordern, dass die Modeindustrie Druck auf die australischen Betriebe ausübt. Die Marken sollten nur Wolle aus besseren Haltungsbedingungen kaufen. Das rbb-Verbrauchermagazin Super.Markt hat bei 26 der größten Modehändler in Deutschland nachgefragt, ob ihre Produkte "mulesing-belastete Merinowolle" enthalten. Die Reaktion ist überraschend: Jedes zweite Label ignoriert die Anfrage.

NKD, Kik und Orsay verkaufen keine Produkte mit Merinowolle. Zukünftig wird auch das Label Tom Tailor auf Merinowolle verzichten. Auch Esprit, Decathlon, H&M, C & A und Otto äußern sich eindeutig und sichern zu, nur noch geprüfte Produkte mit mulesingfreier Merinowolle zu verkaufen.

Mittlerweile gibt es einige Label, die mulesing-freie Merinowolle kennzeichnen, wie Responsible Wool Standard (RWS), New Merino oder ZQ Merino. Auch die Siegel Global Organic Textile Standards (GOTS), Naturtextil IVN Best und kontrolliert biologische Tierhaltung kbT sichern eine tierfreundliche Herstellung zu. Doch die Label sind noch nicht sehr verbreitet. Das liegt auch daran, dass die Zertifizierung teuer ist und sich einige mulesing-freie Betriebe so ein Label nicht leisten können.

"Oft bleibt Verbrauchern nichts anderes übrig, als bei der Marke nachzufragen und den Aussagen der Mitarbeiter zu vertrauen, dass die Tiere bei der Herstellung nicht leiden", sagt Corinna Reinisch von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten. Um sicher zu sein, sollten Sie sich vergewissern, dass die gesamte Lieferkette regelmäßig kontrolliert wird. "Als Konsument können Sie so auch Druck machen und mehr Transparenz in dem Bereich einfordern", sagt Reinisch. Sie empfiehlt, auch abseits der großen Geschäfte zu shoppen - denn oft gibt es auch auf kleinen Bio-Höfenund in deren Onlineshops nachhaltige Wollprodukte zu kaufen.

Beitrag von Vanessa Reske (Text), Claudia Schön (Video)

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