Mehr als 5000 Zuschauer kommen auf die Hamburger Trabrennbahn zum „Best of Poetry Slam - Open Air" und knacken so einen Weltrekord. Die Poesie ist damit längst ein Massenphänomen geworden.
Mehr als 5000 Menschen sind am Mittwochabend zum „Best of Poetry Slam - Open Air" auf die Hamburger Trabrennbahn gekommen. "Damit ist der Weltrekord geknackt", sagte der ebenso charmante wie galant-arrogante Conférencier Michel Abdollahi wie beiläufig - und ging dann wieder zum wichtigen Teil des Abends über: der Poesie aus dem Alltag, mal gerappt, mal gereimt, mal ganz einfach gesprochen.
Als Konkurrenten waren die Stars der deutschen Szene bei dem Literaturspektakel im Rahmen des Hamburger Kultursommers angetreten: Philipp Zymny, Patrick Salmen, Andy Strauß und Sebastian 23. Am Ende setzte sich der Wuppertaler Zymny gegen den zweiten Finalisten Sebastian 23 in der Gunst der Zuschauer-Jury durch.
Mit der „Welt" sprach Abdollahi im Vorfeld über das Publikum, die Besonderheiten eines Poetry Slams und warum Alkohol dazugehört.
Die Welt: Sind Ihre Zuschauer Studenten in Kapuzenpullover oder wer kommt zum Poetry Slam?
Michel Abdollahi: Das Klischee stimmt schon ein Wenig. Unsere Kernzuschauer sind 18 bis 35 Jahre alt und eher aus dem studentischen Bereich. Seit Jahren hat sich das aber auch nach links und rechts entwickelt. Es kommen auch viele Leute, die deutlich älter sind und keinen Kapuzenpullover anhaben. Ich hoffe, dass auch ein paar Kinder kommen.
Die Welt: Warum gerade Kinder?
Abdollahi: Kinder sollen Kultur kennenlernen Das muss auch nicht nur Poetry Slam sein. Hauptsache man geht raus und sieht, dass da noch ein bisschen mehr passiert. Fernsehen ist super, Internet ist auch toll, Computer sind auch gut. Analoges tut aber auch mal dem Gehirn ganz gut.
Die Welt: Sie füllen Theatersäle. Funktioniert Poetry Slam besser auf großen Bühnen?
Abdollahi: Das kommt immer darauf an, wer auftritt und wer zum Zusehen kommt. Kleine und große Veranstaltungen können funktionieren. Der eine mag lieber draußen stehen, der andere sitzt lieber in einer Kneipe. Der eine mag lieber Wein, der andere Bier.
Die Welt: Alkohol ist ein gutes Stichwort. Werden die Texte aufgrund des Alkoholpegels am Ende des Abends besser bewertet?
Abdollahi: Ja, das stimmt. Die hinteren Startplätze werden dann meistens besser bewertet. Ist der Slammer aber richtig gut, ist der Startplatz egal. Man kann auch auf Startplatz eins gewinnen.
Die Welt: Alkohol ist auch die Siegerprämie
Abdollahi: Whiskey ist der traditionelle Preis auf Poetry Slams in Amerika. Das haben wir beim „Kampf der Künste" übernommen. Das ist einfach und gerne gesehen. nach der Show wird dann hinter der Bühne geteilt.
Keiner hat den Anspruch, auf der Bühne Goethe nachzumachen. Die Leute tragen ihre Gedanken vor
Die Welt: Viele Kulturkritiker sehen Poetry Slam als Unsinn an, wie kommt das?
Abdollahi: Ich weiß gar nicht, warum es plötzlich so viele Kritiker gibt. Mittlerweile haben die Leute das Bedürfnis, eine Position zum Thema Slam zu haben.
Ich weiß nicht, was das soll. Es ist immer eine total nette Veranstaltung. Keiner hat den Anspruch, auf der Bühne Goethe nachzumachen. Die Leute tragen ihre Gedanken vor. Das ist kurzweilig, das ist Zeitgeist und die Säle sind immer voll. Wenn etwas irgendwann erfolgreich ist, muss es eine Seite geben, die das nicht gut findet leben. Ich kann damit leben.
Die Welt: Es ist nicht Goethe, also ist Poetry Slam keine Lyrik?
Abdollahi: Poetry Slam heißt die Veranstaltung, auf der Spoken Word oder auch Slam Poetry gemacht wird. Viele verwechseln das. Beim Slam gibt es drei Grundarten:
Es gibt Leute, die machen Lyrik. Deren Text reimen sich durchgehend. Andere machen Spoken Word, das sind eher rhythmische Texte, die sich aber nicht reimen. Dann gibt es Storyteller, die erzählen Kurzgeschichten auf der Bühne. Ich finde Slam ist die Energie, die auf der Bühne kommt. Wenn die Leute gut drauf sind, wird es gut.
Die Welt: Gewinnen witzige Slammer häufiger den Dichterwettbewerb?
Abdollahi: Das ist sehr unterschiedlich. Der Erfolg hängt von der Stimmung des Publikums und der Person auf der Bühne ab. Draußen, bei gutem Wetter sind sind die Leute generell zugänglicher für was Humorvolles.
Die Welt: Gibt es Themen, die fast auf jeden Slam angesprochen werden?
Abdollahi: Du schreibst immer nur über das, was du siehst. Viele Texte handeln von Alltag und von Politik. Slammer fahren sehr viel Bahn. Es gibt viele Texte übers Bahn fahren.
Die Welt: Was macht ein guten Textvortrag für Sie aus?
Abdollahi: Ich mag Texte, die eine Komposition sind, wenn ich merke, dass sich jemand richtig Gedanken gemacht hat und hat das lange geübt und verfeinert hat.
Das hängt auch von meiner Stimmung ab, manche Texte berühren mich nur einmal, andere immer wieder. Ich mag Texte, die eine Komposition sind, wenn ich merke, dass sich jemand richtig Gedanken gemacht hat und hat das lange geübt und verfeinert hat. Außerdem braucht der Slammer für sein Publikum. Es beeindruckt mich, wenn er weiß, was er macht, und wann der richtige Zeitpunkt für welchen Text ist.
Die Welt: Ein Gefühl für das Publikum, das brauchen Sie auch. Wie bereiten sie sich als Moderator auf Veranstaltungen vor?
Abdollahi: Ich mache seit 15 Jahren Slam, da braucht es nicht mehr viel Vorbereitungszeit. Das wäre als wenn der Postbote, wenn er die Briefe einwerfen will, sich vorher intensiv Gedanken darüber macht, wo die Straße war, in die er muss. Ich weiß, wie mein Publikum funktioniert. Ich gehe auf die Bühne, sage ein paar Sachen und dann weiß ich, was geht und wie die Stimmung ist.
Die Welt: Sie haben früher selber Texte vorgetragen. Warum treten Sie nicht mehr als Slammer auf?
Abdollahi: Ich hatte keine Lust mehr. Drei Jahre habe ich das als Hobby gemacht. Damals konnte man noch nicht davon leben. Heute werden professionelle Slammer für große Veranstaltungen gebucht. Viele machen auch Kabarett und schreiben Bücher. Für mich war Poetry Slam keine Perspektive, um damit Geld zu verdienen.
Die Welt: Was ist das nächste Ziel nach dem Weltrekord?
Abdollahi: Der nächste Weltrekord ist das Ziel. Wenn es gut wird, kann man das wieder machen. Ich habe den Ehrgeiz eines Sportlers. Wenn er 9,50 Sekunden auf 100 Metern gelaufen ist, dann will er beim nächsten Mal 9,49 laufen. Das macht mir Spaß.
Die Welt: Zum Abschluss: Beim Poetry Slam wird Kunst bewertet, kann man das überhaupt?
Abdollahi: Man kann die Kunst natürlich nicht bewerten, jeder hat seine eigene Meinung und seine eigenen Emotionen dazu. Aber Wettbewerb macht total viel Spaß. Jeder freut sich, wenn er gewinnt. Die Interaktion mit dem Publikum macht Poetry Slam besonders.
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