3 Abos und 0 Abonnenten
Artikel

Ausstellung „Im Tiefenrausch": Seepferdchen im Korallenkino

Wasserfotos wie dieses von Elianne Dipp wirken wie Bewegtbilder, das Medium Meer ist filmisch. Bild: Pexels/Elianne Dipp.

Freud und Leid liegen nah beieinander, sowohl im Ozean als auch auf der Leinwand: Die Frankfurter Ausstellung „Im Tiefenrausch“ zeigt, was man unter Wasser alles filmen kann.

Von Disney-Klassikern über kriegerische Torpedoschlachten bis hin zu Horrorszenarien mit Killerwalen: Die Bandbreite der filmischen Gestaltung am, im und auf dem Wasser ist groß, nicht nur was die Angebote für Kulissen und Dekor betrifft, die das Me­dium Wasser dem Medium Film macht, zwischen verführerischen Sirenen, sagenumwobenen Schiffwracks und blutrünstigen Haien - was sich vermeintlich unter der Oberfläche verbirgt, mag faszinieren, erstaunen und zuweilen auch gruseln.

Nur magere fünf Prozent des Ozeans sind bisher erforscht. Genug Stoff für filmische Erzählungen bieten die end­losen Tiefen also, und so widmet das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum Frankfurt (DFF) dem Zusammenhang zwischen Ebbe, Flut und Szenenwechsel nun eine Sonderausstellung. Wer an Film unter Wasser denkt, dem werden zuerst sinkende Schiffe oder abenteuerlustige Piraten in den Sinn kommen.

Kriegerische Auseinandersetzungen oder die Tragik einer im Meer versinkenden Titanic sind jedoch nur die historisch-realistische Seite der Sache; über solchen Realismus hinaus gibt es ja auch noch das Genre des Animationsfilms, in dem nicht das anthropo­morphisierte Tier wie beim „Weißen Hai", sondern womöglich der Mensch zum Monster wird. Wer es etwas kitschiger mag, ist mit Musicalfilmen be­dient, in denen Zeichentrickfiguren mit tollkühnen Hexen und Mary Poppins um die Wette schwimmen. Oder wie wäre es mit einer gewissen Poolerotik im Liebesfilm, die vom Sprung ins kühle Nass bis hin zum romantischen Kuss unter Wasser - natürlich in Zeitlupe - reicht?

Leinwand als Aquarium 

Bei der großen Auswahl an Filmen, die in der Schau berührt werden, wird deutlich: Keineswegs widmet sich die Ausstellung nur den reinen Unterwasserfilmen, sondern auch Werken, in denen Wasser nur ein Randelement ist, sei es, weil ein Auto, in einen Fluss stürzt, sei es nur die Planscherei in einer Badewanne. Wenn man den Ausstellungssaal betritt, fällt der Blick sofort auf das halbrunde Gebilde in der Mitte des Raumes. Eine bis zur Decke reichende Leinwand zeigt Szenen aus Filmen und macht der Idee „Goldfischglas" alle Ehre, umgibt sie die Besucher doch wie ein Aquarium.

Der reflektierende Fußboden wirft die halbtransparenten Bilder einer singenden Arielle oder eines im U-Boot kämpfenden James Bond zurück, die tiefblauen und türkisfarbenen Farben scheinen gar zu verschwimmen. Die Il­lusion Unterwasserwelt ist perfekt, das Konzept von Kurator Michael Kinzer wird auf den ersten Blick ersichtlich. Es steht eben die Ästhetik im Vordergrund. Visuelle und auditive Ebene verschmelzen zu einem Konglomerat, das alle Sinne anspricht, gemäß dem Titel der Ausstellung „Im Tiefenrausch".

Der tritt ein, wenn beim Tauchen durch veränderte Druckbedingungen die Stickstoffkonzentration im Gehirn steigt. Ab 30 Metern kommen Angst­zustände oder Euphorie auf, irgendwann folgen Bewusstlosigkeit und Tod; Freud und Leid liegen nah beieinander, sowohl im Ozean als auch auf der Leinwand. Der Rest der Ausstellung ist mi­nimalistisch gehalten. Requisiten und weitere physische Ausstellungs­stücke findet man keine, nur zahlreiche Leinwände, die den Stoff nach Themenkomplexen bündeln. Von Freundschaft und Freiheit über außerirdisches Leben bis hin zu rachsüchtigen Walen ist alles dabei. Ein paar historische Fakten dürfen natürlich auch nicht fehlen: Wussten Sie, dass der erste Film unter Wasser, „Thirty Leagues under the Sea" aus dem Jahr 1914, ein totes Pferd in einem Käfig zeigt, das Haie anlocken soll? Oder dass „20.000 Meilen unter dem Meer" von 1916 der erste Spielfilm war, der echte Unterwasseraufnahmen zeigte? Die Abenteuer von Kapitän Ne­mo in seinem U-Boot Nautilus aus der Fe­der von Jules Verne wurden danach noch etliche Male verfilmt.

Wasserdokumentarfilme von Jacques-Yves Cousteau

Dem Dokumentarfilm unter Wasser ist, am Beispiel der Filmemacher Jacques-Yves Cousteau und Hans Hass, ein eigener Bereich gewidmet, ebenso Filmen, die nichts für schwache Ge­müter sind. Laut Empfehlungstafel der „Schwarzen Lagune" sollten blutige Horrorszenen oder solche, in denen die Figuren in klaustrophobisch anmutenden Räumen zu ertrinken drohen, erst ab 16 Jahren angeschaut werden.

Eine Soundinstallation der libanesischen Sounddesignerin Rana Eid kom­plettiert die Ausstellung. Klangkompositionen von mehr als 40 Tonkünstlern zeigen, wie Geräusche unter Wasser verfremdet werden, wie sie immer hohler und verzerrter klingen. Die Symbolordnungen des Films unter Wasser beleuchtet die Ausstellung also einigermaßen detailliert. Was man jedoch vermisst, ist eine Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Hintergründen der Filme.

Ökologische, technische oder biologische Fragen bleiben außen vor. Wer sich tiefer in die Materie einarbeiten möchte, hat mithilfe des ausführlichen Begleitprogramms die Gelegenheit da­zu. In Kooperation mit dem Senckenberg Museum bietet das DFF Workshops, Gesprächsrunden und Führungen an. Ob eine kunsthistorische Be­trachtung von mythischen Wasserwesen, Diskussionen über die Ausbeutung der Meere oder Vorträge von Meeresbiologen über die Kommunikation von Delfinen: Hier wird beleuchtet, was die Ausstellung vermissen lässt.

Im Tiefenrausch - Film unter Wasser. Im Filmmuseum, Frankfurt; bis 8. Januar 2023. Zum Original