Am Ende der Manteuffelstraße fließt der Landwehrkanal, stetig und ruhig. Weiter vorne, an der Ecke zur Reichenberger Straße, liegt Zabriskie - ein sehr außergewöhnlicher Buchladen für Natur und Kultur. Vor kurzem wurde er mit dem Preis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Inhaber, Lorena Carràs und Jean-Marie Dhur, haben das ausgelassen gefeiert. Sonst sind die beiden aber auch mal ruhig und reflektiert. Für das Gespräch mit fyta haben sie sich richtig viel Zeit genommen. Überhaupt: bei Zabriskie tickt die Uhr anders.
Die Ladentür steht offen. In der Ecke hinter dem Counter surrt eine Kaffeemaschine, am Fenster stehen zwei Sofas, in denen man es sich gemütlich machen kann. Psychedelika, Subkultur, Musik, Ökologie oder Nature Writing, das sind Kategorien, die man hier findet, vor allem in Sachbüchern. Die liegen auf Holzkisten und stehen in Regalen, oft so, dass man die schönen Cover gut sieht. Wenn der Blick so wandert bekommt man das Gefühl, dass jedes Buch eine Einladung ist, die eigenen Denkweisen zu hinterfragen. Und je länger man da ist, desto mehr beginnt man, neue Zusammenhänge zu erahnen ...
Jean: ... es hat viel mit Bewusstsein zu tun. Mit einer etwas aufmerksameren Wahrnehmung. Ob es jetzt um einen Rausch geht oder eine Wahrnehmung der Umgebung... Lorena: ... der Gesellschaft ... Jean: ... der Pflanzen, der Tiere, anderer Menschen, Klänge, Musik... Wir haben ja auch eine Musikecke. Es geht um Rauscherfahrungen, es geht um das Aufeinandertreffen von Zivilisation und Natur...Der Name des Ladens ist an Antonioni's Kultfilm „Zabriskie Point" von 1970 angelehnt, in dem ein junges Paar in die Landschaft vor L.A. flieht, um gesellschaftliche Unabhängigkeit und Liebe zu erfahren. Ein bisschen wie Lorena und Jean. Die beiden hören sich zu, unterbrechen sich nicht, ergänzen die Gedanken des anderen. Mit dem Angebot bei Zabriskie drücken sie aus, was ihnen wichtig ist.
Lorena: Wir wollten weniger Arbeit, mehr Müßiggang (lacht). Jean: Wir wollten etwas schaffen worin wir einen Mehrwert sehen, einen Sinn. Lorena: Es gab viele Buchhandlungen die Abteilungen für Natur und Ökologie hatten, aber so richtig diese Schnittstelle von Kultur und Natur, die hab ich nirgendwo gefunden. Darin haben wir eine Nische gesehen.Naturerfahrung ist den beiden wichtig. Zum Konzept des Ladens gehört, das ökologische Wissen, das seine Bücher vermitteln, auch praktisch erfahrbar zu machen. Zum Beispiel über Events wie Spaziergängen im Berliner Umland, mittlerweile machen da richtig viele mit.
Lorena: Wir haben einen guten Freund, der ist Naturheilkundler. Der hat uns beim ersten Spaziergang gezeigt was hier so wächst, im Block, um die Reichenberger und so. Jean: Irgendwann fehlte dann, dass man Wildkräuter auch sammelt beim Spaziergang. Das ist hier in der Stadt aber nicht so empfehlenswert. Zu viel Feinstaub. Oder Hundepipi. Deswegen haben wir letztes Jahr angefangen die Spaziergänge im Berliner Umland zu veranstalten. Lorena: Jetzt im Sommer waren wir in der Märkischen Schweiz. Und davor haben wir einen Workshop mit Pflanzenwurzeln und Pilzen gemacht ... Jean: Daniel Zschiegner, der die Kräuterspaziergänge organisiert, hat ein sehr geschärftes Auge für Pilze. Lorena: Aber er findet auch mal welche und lässt sich auf trial and error ein. (Lachen) Jean: Gewisse psychedelische Erfahrungen können helfen beim Zugang zur Natur. Es hebt so eine Schranke auf. Nicht nur, aber sehr. Man bekommt ein Gefühl für Zusammengehörigkeit, dass alles miteinander existiert, sich gegenseitig beeinflusst.Im Laden zählen wir sechs Pflanzen.
Lorena: Les tristes tropiques... (lacht). Einige sind leider schon gestorben. Eigentlich bin ich mit Pflanzen groß geworden, in der Nähe von Barcelona. Mein Urgroßvater war autark und hat die ganze Familie von seinem Garten in Aragon ernährt. Ich hab mal meine Mutter gefragt über meinen Urgroßvater, sie sagte das war ein glücklicher Mensch. Der hatte jeden Tag Kontakt mit der Erde. Vor allem durch das Mancuso Buch habe ich gelernt, dass Pflanzen fühlen, dass sie Überlebensstrategien haben.„Die Intelligenz der Pflanzen" heißt es, es liegt auch aus im Laden, und beschreibt Lernvorgänge in der Botanik, und damit Lösungsansätze für Probleme, für die der Mensch zum Teil noch keine hat. Der Buchladen veranstaltet auch Lesungen und Diskussionsrunden. Letzte Woche war der Autor Ludwig Fischer da.
Lorena: Der sagt, widme dich einer Pflanze pro Jahr, dann wirst du sie richtig kennenlernen. Bei uns war es dieses Jahr die Brennnessel. Brennnesseln sind so vielseitig. Das Buch zeigt was für medizinisches Potential in der Pflanze steckt, auch als Dünger für andere Pflanzen. Und die wächst überall. Jean: Ich glaube sowohl was die Heilwirkung als auch bewusstseinserweiternde Effekte angeht, dass die Menschen früher ein anderes Verhältnis zu Pflanzen hatten und sie als gleichwertige oder sogar höherstehende Wesen empfunden haben. Und andere Antennen hatten als wir. Man merkt ja auch, wenn man sich viel damit beschäftigt, dann entwickelt man ein anderes Auge und hat ein anderes Wissen.In einer Schlüsselszene in Antonioni's Film explodiert eine Villa in der Wüste des Death Valley. Konsumgegenstände fliegen in einer Abfolge von Zeitlupen durch die Luft. Die Digitalisierung, die Hektik in einer Arbeitswelt, in der sie sich nicht auf das Eigene konzentrieren konnte, hatte dazu geführt, dass Lorena sich nach Tiefe sehnte, nach dem Ausdruck des Inneren.
Lorena: Etwas war verloren gegangen. Und dann hab ich Jean kennengelernt. Wir sind spazieren gegangen, er erzählte, diese Pflanze heißt so, diese so. Das war diese Mischung aus Jean, meiner Familie ... dann haben wir den Buchladen eröffnet, und dann war das Bewusstsein wieder da. "Würdest Du mit mir gehen? - Wohin, fragt sie. - Wohin immer ich gehe. - Fragst Du mich wirklich? - Ist das wirklich Deine Antwort?"So beginnt die berühmte Liebesszene im Film. Dann löst sich die Wirklichkeit auf. Aus einem sich küssenden Paar werden zwei, drei, schließlich hunderte, in der Landschaft verstreut. Staub, Sand, Haare, Körper, alles verschmilzt. Und ergibt neuen Sinn.
Unter dem Namen Fog Puma ist Jean gelegentlich im Klunkerkranich oder im Arkaoda in Berlin als DJ anzutreffen. Und manchmal stellt er so einen schönen Mix wie diesen ins Netz.