Valerie von Kittlitz

Freie Journalistin und Dokumentarfilmerin, Berlin

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Diesseits vom Paradies

Die Ausstellung "Paradise is Now" in der Galerie Robert Grunenberg, Berlin

Berlin unter Palmen. Der Gedanke an dieses Bild lässt zunächst an Szenen denken, wie sie sich unter der sommerlichen Hitze am Spreeufer abspielen: Ein künstlich aufgeschütteter Sandstrand, müde Touristen nippen an überzuckerten Margaritas und strecken ihre blassen Glieder auf rot-weiß gestreiften Klappstühlen aus. Im Hintergrund eine Kulisse, die eine Atmosphäre urbaner Exotik beschreiben soll - eine Allee kleiner, identisch gewachsener Palmen, in schwarzen Plastikbassins eingetopft und auf kuriose Weise mitleiderregend. Man möchte kaum glauben, dass genau hier, wo sich heute eine Stadtlandschaft aus Kanälen, artifiziellen Parkanlagen und betonierten Straßen erstreckt, vor 30 Millionen Jahren subtropisches Klima herrschte, in dem Zypressenwälder und Palmengewächse wucherten.

Davon zeugt heute noch das fossilisierte Palmenblatt, das am Beginn der aktuellen Ausstellung Paradise is Now steht. In den Arbeiten, die in der Ausstellung zu sehen sind, wie der Zollstockpalme Sigmar Polkes, wird das Motiv Palme zum Austragungsort der Widersprüche der Moderne zwischen Massen- und Hochkultur. Nach seiner Flucht aus der DDR formulierte Polke 1969 einen Gegenpol zum sozialistischen Realismus, eine explizit deutsche Version der amerikanischen Pop-Art, die die Konsumästhetik der Wirtschaftswundergesellschaft des Westens persiflierte.

Die Palme ist ein Versprechen - Sinnbild und Projektionsfläche diffuser und konkreter Sehnsüchte nach Ferne, Freiheit und Glück.

Die Palme ist ein Versprechen. Vor allem in Europa funktioniert sie noch heute als Sinnbild und Projektionsfläche diffuser und konkreter Sehnsüchte nach Ferne, Freiheit, Glück, überbordendem Luxus und einem beinahe greifbaren Garten Eden. Die popkulturelle Stilisierung der Palme kulminiert in der Stadt L.A. als ultimativem Sehnsuchtsort. "L.A. und die Palme sind Komplizen" schreibt der Kurator Robert Grunenberg in seinem Plädoyer zur Ausstellung. Neben David Hockney, der die visuelle Identität der Stadt maßgeblich mitgeprägt hat, sind noch weitere Künstler vertreten, die mit der südkalifornischen Metropole assoziiert werden, wie John Baldessari oder Ed Ruscha.

Die Palme als Sinnbild von Reichtum, Glück und Wohlstand ist allerdings nicht bloß eine Ausgeburt der Marketingmaschinerie Hollywoods. Schon in der griechischen Antike galt die Palme als Zeichen für Triumph, im biblischen Israel gewann sie zeremonielle Bedeutung als Symbol des Festes und der Begrüßung des Messias, was sich in der christlichen Ikonographie fortschrieb. Dass die Palme einen solchen Symbolstatus erreichen konnte, hat vor allem auch mit ihrem ökonomischen Wert als ertragreiche Nutzpflanze zu tun. Neben Stärke, Zucker, Rauschmitteln, Fasern und Wachs, liefert sie auch das Palmöl, das in vielen Produkten unseres täglichen Gebrauchs enthalten ist. Gegenwärtig zieht die massenhafte Produktion des Öls leider weitgreifende ökologische Schäden nach sich. Die Arbeit von Stefan Knauf thematisiert dieses Problem spielerisch: Aus einem roten Kaugummiautomaten, wie man ihn aus den 70ern kennt, kann man für einen Euro einen kleinen Plastikball mit drei Samen der Palme Dypsis Lutencens ziehen, die hundertfach in den Regalen jeder Ikea oder Baumarkt Filiale stehen. Im Gegensatz zu diesem erschwinglichen Preis, würde die Aufzucht der Palmen in der landwirtschaftlichen Kultivierung ein Tausendfaches kosten.

Was am Spreeufer noch nach profaner Unbeholfenheit touristischer Kitschkultur aussieht, bekommt hier zwischen Verfügbarkeit und Entfremdung überwältigenden, dystopischen Charakter.

BARTHÉLÉMY TOGUO, Jugement dernier XVII, 2011. © Robert Grunenberg

Der Palme scheint auch etwas Unheimliches anzuhaften, ein Unbehagen, das sich als filmisches und literarisches Motiv niederschlägt, zum Beispiel in den Werken von Bret Easton Ellis, der auch einen begleitenden Text für die Ausstellung verfasst hat. Man fühlt sich an David Lynchs düster-glamouröse Ästhetik, Joseph Conrads Heart of Darkness oder auch Christian Krachts Imperium erinnert. In den künstlerischen Arbeiten der Ausstellung erscheint die Palme als janusköpfiges Motiv, in dem die zerstörerischen Mechanismen des menschlichen Wirkens auf die Natur und ihre Funktion als Sinnbild kolonialer Machtverhältnisse in einer sonderbaren Gleichzeitigkeit mit ihrer verführerischen, luxuriösen und schillernden Motivik erscheinen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Arbeit von Simon Speiser, der für In a Young World of Resplendent Glitter die virtuelle Realität eines Dschungels geschaffen hat, der auf 3D Scans des südamerikanischen Regenwalds basiert. Im freien Raum der Brillenvirtualität schwebend, bewegt man sich selbststeuernd durch die leuchtende Landschaft eines algorithmischen Grids, die in Echtzeit aus sich selbst zu erwachsen scheint. Die Installation spielt mit der gegenwärtigen Überschreibung der Differenz zwischen Natur und Kultur und ermöglicht das immersive Erfahren eines Urwalds als Glitch, einer Natur, die funktionalisierbar geworden ist. Sie wird hier zur Blaupause, dient als bloße Illustration der Alltagsbewältigung. Was am Spreeufer noch nach profaner Unbeholfenheit touristischer Kitschkultur aussieht, bekommt hier zwischen Verfügbarkeit und Entfremdung überwältigenden, dystopischen Charakter.

SIMON SPEISER , In a Young World of Resplendent Glitter, 2018 (VR Still). © Robert Grunenberg

Wenn man die Galerieräume in der Marburgerstraße verlässt, möchte man sich am liebsten sofort in die weichen Ledersitze einer 80er-Jahre Corvettes fallen lassen und die Palmkronen Hockneys, Ruschas und Baldessaris unter dem ewig blauen Himmel des Sunset Boulevards zählen. Stattdessen begegnet man eine Straße weiter der kreischend bunten Auslage eines Bekleidungsgeschäfts, in dem gesichtslose Schaufensterpuppen verloren zwischen einem Meer aus pastelligen Papierpalmen stehen und in das geschäftige Treiben auf dem Ku'damm staunen.

Die Palme ist ein Versprechen geblieben, das uns schwelgerisch werden lässt und uns bezaubert, was Paradise is Now auf unverhoffte Art und Weise sichtbar macht.

Robert Grunenberg gibt einen Einblick in die Ausstellung

Die Ausstellung umfasst u.a. die hier gezeigten Werke von Marcel Broodthaers, Cyprien Gaillard, Ed Ruscha, Simon Speiser, Alicja Kwade, Juliette Blightman, Sarah Ortmeyer und Raf Simons.

Die Ausstellung ist noch bis zum 30. Juni in der Galerie Robert Grunenberg Berlin und im Salon Dahlmann zu sehen.

Paradise is Now Robert Grunenberg Berlin & Salon Dahlmann Marburger Strasse 3, 10789 Berlin Mittwochs - Samstags: 11 - 18 Uhr

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