Wenn am Sonntag der FC St.Pauli bei RB Leipzig spielt, wird der Gästeblock voll sein. Obwohl sonst alle anderen Vereine den Red Bull-Klub boykottieren. Warum machen ausgerechnet die Hamburger eine Ausnahme?
Boykott ist in: Die Fans fast aller Zweitligisten verweigern die Anreise zu den Auswärtsspielen bei RB Leipzig. Bei den Anhängern des FC St. Pauli war der Boykott-Mainstream kein Thema. Justus Peltzer (36), einer der Fanbeauftragten der St. Paulianer erklärt, warum die St. Pauli-Fans zahlreich nach Leipzig kommen, wie sie gegen RB protestieren werden und welche Befürchtungen die Fanszene des Kultklubs vom Millerntor hat.
Justus Peltzer, weshalb verweigern ausgerechnet die Fans des FC St. Pauli den allgemeinen Trend zum Boykott von Spielen von RB Leipzig?
Unter den Fans des FC St. Pauli war es die einhellige Meinung, dass Red Bull Geld eh nicht interessiert und der Verein auf die Einnahmen der Auswärtsfans sowieso nicht angewiesen ist. Also fahren wir nach Leipzig, um unser Team zu unterstützen; auch um zu zeigen, wie Fußball anders funktionieren kann und bei St. Pauli seit Jahrzehnten anders funktioniert, was auch gerade bei der Jahreshauptversammlung des Vereins bestätigt wurde: (basis-)demokratisch, nicht von großen Geldgebern abhängig.
Wie wurde unter den Fans diskutiert, ob das Spiel boykottiert wird oder nicht?
Seitdem klar war, dass wir gegen RB Leipzig spielen und dass andere Fangruppen boykottieren, wurde das immer mal wieder besprochen. Da hat sich in diversen Gesprächen herauskristallisiert, dass ein Boykott nicht der geeignete Weg für die St.-Pauli-Fans ist. Es gibt schon ein paar Leute, die nicht nach Leipzig fahren, aber die sind klar in der Minderheit.
Wie viele St. Paulianer werden in Leipzig erwartet?
Die 4300 Karten, die uns als Gastverein zur Verfügung stehen, waren recht schnell ausverkauft. Wir haben zwar immer viele Auswärtsfans, aber so einen großen Gästeblock füllen wir sonst auch nicht so schnell. So haben wir nachgefragt, ob RB uns mehr Karten zur Verfügung stellt. Aber der Gästeblock ist ausverkauft. Wie viele St.-Pauli-Fans sich daraufhin Karten für die Heim-Blöcke gekauft haben, wissen wir natürlich nicht. Das war auch Thema bei der Sicherheitsbesprechung in Leipzig, aber das können auch die Kollegen in Leipzig nicht beantworten.
Wollen sich die St.-Pauli-Fans bewusst von dem Boykott-Mainstream distanzieren?
Auch das ist ein Grund, dass wir es nicht so machen wollen, wie alle anderen. Es ist ja auch ein wenig seltsam, dass plötzlich alle boykottieren. Das scheint ein Muss geworden zu sein. Im vergangenen Jahr war RB Leipzig ja bereits der gleiche Verein mit dem gleichen Geld, und da sind noch alle Fans gekommen. Wir machen das eben anders, haben Bock auf das Spiel in Leipzig. Mit unserer ersten Mannschaft waren die St.-Pauli-Fans ja bislang auch noch nicht im Leipziger Stadion.
Was halten die St.-Pauli-Fans von der Kampagne nein-zu-rb.de?
Hier
wird das nicht unterstützt, eher ein wenig kritisch beäugt. Man muss
schauen, wo die Vereine der an der Kampagne beteiligten Fanklubs ihr
Geld herbekommen. Wenn die Fans von Ingolstadt beim Gastspiel auf St.
Pauli das Anti-RB-Protestbanner hochhalten, mutet das schon seltsam an,
da Ingolstadt auch ganz schön am Tropf seines Hauptsponsors Audi hängt.
Wo ist da die Grenze? Wo fängt Kommerz an, wo hört er auf? Das wird hier
in der Pauli-Fanszene sehr heterogen betrachtet. Einige sagen, dass es
RB nur auf die Spitze treibt und konsequent weiterdenkt, wie alle
anderen Vereine im Kapitalismus auch funktionieren. Andere lehnen RB vor
allem auch wegen der Tauschgeschäfte zwischen Leipzig und Salzburg
konsequent ab.
Wie wird denn der Protest der St.-Pauli-Fans in Leipzig aussehen?
Ultrà
St. Pauli (USP) haben eine Mottofahrt organisiert: Jeder Fan soll sein
ältestes Trikot von St. Pauli anziehen, um die Geschichte und Tradition
zu dokumentieren, die dieser Klub mit seinen Fans hat. Ich bin gespannt,
wie das bei dem Wetter umgesetzt wird.
Wird es Spruchbänder oder Choreografien geben, die sich mit RB Leipzig beschäftigen?
Nein,
angemeldet sind nur die normalen Fanutensilien, die in Leipzig nur sehr
begrenzt genehmigt werden. Da wird viel verboten, wenig erlaubt. Nicht
nur Protest gegen RB wird verboten, auch große Fahnen etc. Es gibt da
sehr rigide Vorschriften. Deswegen wird es auch keine Choreografie der
St.-Pauli-Fans geben, das wäre viel zu umständlich gewesen.
Sind die scharfen Einlasskontrollen in Leipzig das bestimmende Thema bei den St. Pauli-Fans?
Das
ist sicher das größte Thema. Unsere Fans fragen sich: Muss ich mein
T-Shirt ausziehen, wenn sich die Aufschriften gegen RB, DFL, DFB oder
Polizei richten? Das ist in Leipzig alles verboten. Das handhaben wir
bei St. Pauli ganz anders. Hier steht die freie Meinungsäußerung –
natürlich im Rahmen der Stadionordnung – über allem. Der Leipziger
Ordnungsdienst hat da nicht den besten Ruf. Wir schauen auch genau hin,
wer da so am Gästeeingang steht und wie kontrolliert wird. Ich habe auch
schon bei der Sicherheitsbesprechung ganz klar gesagt, dass wir
bezüglich der Einlasskontrollen Konfliktpotenzial sehen, auch um den
Leipziger Ordnungsdienst zu sensibilisieren, dass es zu keinen negativen
Vorfällen kommt.
Was wünschen Sie sich für die Auswärtsfahrt nach Leipzig?
Zunächst
hoffen wir natürlich auf einen Sieg, da wir aus dem Tabellenkeller
rauskommen müssen. Und dann hoffen wir, dass wir Fans einen Teil dazu
beitragen und einen geschlossenen, guten Auftritt hinlegen, der die
Mannschaft nach vorn bringt. Es gibt auch große St.-Pauli-Fanklubs in
Leipzig und Dresden. Dazu haben wir Kontakte zum Roten Stern Leipzig.
Uns werden auch viele Fans aus der Region unterstützen.
VERÖFFENTLICHT: 21.11.2014
Ullrich KroemerZum Original