Der tunesische Fischer Abdel Zenzeri rettete im Mittelmeer 44 Flüchtlinge. Nun steht er vor Gericht: Wegen des Schmuggels von Migranten
Von Uli Kreikebaum
Es muss ein Trugbild sein. Der hagere Kapitän lehnt an der Reling und schaut zu, wie die Lichtadern auf dem Wasser zittern, seine Männer in ihr Ölzeug steigen, die Gischt sich kraust. Es ist eine Fahrt, die nicht sein darf: Das Mittelmeer ist für Kapitän Abdel Basset Zenzeri aus dem tunesischen Fischerort Teboulba seit fast zwei Jahren Sperrzone.
Seine Lizenz zum Fischen hat die tunesische Regierung nicht erneuert, seit Zenzeri und seinen Männern im sizilianischen Agrigent der Prozess gemacht wird. Begünstigung illegaler Einreise wird den sieben Fischern vorgeworfen, Widerstand gegen die Staatsgewalt und ein Kriegsschiff. Die Staatsanwaltschaft hat je dreieinhalb Jahre Haft und 440.000 Euro Geldstrafe gefordert. Zenzeris 11.0000 Euro teures Boot und den Kahn des zweiten Kapitäns haben die italienischen Behörden einbehalten. Der Hintergrund für die Anklage: Zenzeri hat im August 2007 vierundvierzig Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet.
Bei Sonnenaufgang haben Zenzeri und sein Kollege Kamel bin Kalifa sich nun auf einen dritten Kutter gestohlen. Der Kapitän will auf See erklären, wie sich das Drama vor Lampedusa abgespielt hat. Keine Angst vor der Küstenwache? Vor Repressionen? Zenzeri winkt müde ab. "Ich habe keinen Pass und keine Identität. Ich bin ruiniert, unsere Familien sind entehrt." Er spuckt ins Meer.
Glaubt man Zenzeri und seinen Männern, glaubt man Prozessbeobachtern und Menschenrechtlern, dann sind die Fischer Bauernopfer in einem zynischen Spiel. Die Auffanglager in Italien sind voll. Der Flüchtlingsstrom soll gestoppt werden. Und sei es um den Preis, dass Fischer künftig einen Bogen um die sinkenden Nussschalen der Flüchtlinge fahren, weil sie Angst haben, sonst strafrechtlich verfolgt zu werden.
Die See liegt glatt und einladend da. Ein dunkler Teppich bis Italien. Der Kapitän stellt den Notruffunk ein, Kanal 16. Heute kommt nur Knistern aus der Box. Am Morgen des 7.August 2007 waren es Hilferufe. Zenzeri erinnert sich, während der Flaschenzug das Netz kreischend ins Meer entlässt. Er will das Netz säubern, fangen darf er nichts.
"Die See war aufgewühlt. Wir kreuzten 30 Seemeilen vor Lampedusa. Ein Kollege hörte den Funk, sah sie schließlich und weckte mich. Ich sagte dem Kollegen, lass sie weiterfahren, Flüchtlinge fahren im Sommer doch täglich an uns vorbei." Zenzeri zwirbelt an seinem Bart und zieht an einer Zigarette. "Ich hörte dann Schreie, sah Kinder und eine schwangere Frau. Zwei Flüchtlinge gingen über Bord. Zwei von uns sprangen hinterher, um sie zu retten. Es waren 44." Zenzeri zeigt eine italienische Zeitung, darin eine Lobeshymne auf italienische Fischer, die Flüchtlinge gerettet hatten. "Was haben wir anderes getan?"
Man habe Lampedusa angefunkt und die Erlaubnis erhalten, die Schiffbrüchigen abzuliefern. Bei besserem Wetter wären sie mit ihnen nach Tunesien gefahren oder hätten sie auf See auf die Schiffe der italienischen Küstenwache ausgebootet. "An Land sind wir festgenommen worden. Wir sollen die offizielle Aufforderung ignoriert haben, italienisches Hoheitsgewässer nicht zu befahren." Ein spöttisches Zucken huscht über Zenzeris Gesicht. Er kritzelt die Seekoordinaten auf ein Blatt. "Hier haben wir gewartet. Internationales Gewässer. Alles dokumentiert."
Manche Belege sind dem Vernehmen nach im Prozess nicht mehr aufgetaucht. So das Handy eines Flüchtlings, der die Rettungsaktion als Video aufgezeichnet hatte. Zwei Flüchtlinge haben laut Gerichtsprotokoll im Sinne der Fischer ausgesagt. Demnach haben die Flüchtlinge die libysche Küste am 5. August verlassen. Nach 48 Stunden auf See habe das Schlauchboot Luft verloren. Die Fischer hätten sie gerettet.
»Wir und diese Deutschen halten jetzt dafür her, dass Europa nicht weiß, was es mit den Flüchtlingen machen soll«, sagt Zenzeri. Mit »diesen Deutschen« meint er Elias Bierdel und Stefan Schmidt. Bierdel war Chef der Hilfsorganisation Cap Anamur, Schmidt Kapitän des gleichnamigen Schiffes, das vor fünf Jahren 37 Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot rettete. Gegen die Cap-Anamur-Verantwortlichen wird in Sizilien wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung noch immer prozessiert. Auch gegen die Deutschen war eine Anklage gezimmert worden, die im Prozess weitgehend zusammenfiel. Chefankläger Santo Fornasier, sagt Prozessbeobachterin Judith Gleitze von der Menschenrechtsorganisation Borderline Europe, sei am Rande der Verzweiflung gewesen. Fornasier hatte das humanitäre Engagement von Zenzeri, Bierdel und Schmidt gelobt; das Plädoyer gegen die Deutschen – vier Jahre Haft und je 400.000 Euro Geldstrafe – hatte er von einer Kollegin verlesen lassen. Am Telefon lässt Fornasier ausrichten, er dürfe nichts sagen.
Im Fall Zenzeri werden die Prozesstermine immer wieder verschoben. Die Urteilsverkündung, für Mitte Juli angesetzt, ist jüngst auf Anfang Oktober verlegt worden. Eine Geldstrafe gilt den Anwälten als wahrscheinlich. »Auch bei einer Geldstrafe von 100 Euro würden wir in Berufung gehen«, sagt der Verteidiger der Tunesier.
Im Netz schwimmen drei junge Fischer. Zenzeri winkt ihnen zu. Sie befreien die Maschen von Tang und Fischresten. Das Meer ist angenehm warm. Günstige Zeit für Sardinen und Makrelen, Badende und Flüchtlinge.
80.000 Migranten machten sich einer EU-Statistik zufolge im vergangenen Jahr auf den Seeweg von Afrika in Richtung Europa. 37.000 sind in Italien angekommen, gut 31.000 davon auf Lampedusa. Tausende starben beim Versuch, europäische Ufer zu erreichen.
»Immer öfter hatten wir Knochen, Kleidung, Schuhe und Reste von Booten im Netz«, sagt Zenzeri. »Manchmal auch aufgequollene Leichen.« Aus seinen vollen Lippen wird ein Strich. Er spricht lieber über Fische, obwohl das auch kein gutes Thema ist. Dass die Sardinenschwärme weniger würden, liege an den europäischen und asiatischen Fangflotten, die riesige Netze benutzten und auch noch Berge von Müll verklappten.
Als die Fischer, eskortiert von der Küstenwache, an jenem 7. August 2007 Lampedusa erreichten, klickten die Handschellen. »Wir durften nicht mal unsere Familien anrufen«, sagt bin Kalifa, ein 52-jähriger Mann mit dunklen Sonnenflecken im Gesicht. Als seine Familie nach zwei Wochen immer noch kein Lebenszeichen von ihm hatte, legte sie Trauerflor an. Nach 34 Tagen in Untersuchungshaft kehrte bin Kalifa zurück. Drei Monate lang stand er morgens nur auf, um zu essen und zu beten.
Die nordafrikanische Küste teilt die Welt der Flüchtlinge, die in den Sommermonaten in Richtung Europa aufbrechen, von der Welt des Wohlstands. Inzwischen sorgt die Regierung Berlusconi mit Finanzspritzen dafür, dass die tunesische Küstenwache die Uferzone Tag und Nacht nach Flüchtlingsbooten absucht. Zenzeri holt mit der Handkante aus, als zerteile er zwei Hälften. »Bahr, sahal«, sagt er. »Meer, Küste.« Das Ufer ist jetzt auch für ihn eine Mauer, seit er nicht mehr fischen darf. Ein Leben ohne das Meer, das ihre Familien ernähre, sagt er, sei kein Leben. Einer der Fischer habe versucht, sich umzubringen.
Zwei Tage nach der illegalen Seefahrt, auf der die Fischer die Ereignisse vor Lampedusa noch einmal rekonstruiert haben, zeigt bin Kalifa Fotos. Bevor die Carabinieri, deren Sprache er nicht verstand, ihn einsperrten, war seine Haut glatt, das Haar dicht. Jetzt ist sein Gesicht voller Scharten, das ergraute Haar schütter. Mit Handschellen und in Käfigen seien sie in Sizilien zum Gericht gebracht worden. »Als wären wir Schwerverbrecher. Schlimmer ist aber, dass sie uns das Meer genommen haben. Warum haben sie das getan?« Er wäscht Hände und Füße im Waschbecken, nimmt einen Teppich von der Wäscheleine des sonnendurchfluteten Hofs, breitet ihn in der Ecke nach Südosten aus und betet. Nach Sonnenuntergang serviert seine Frau ein Festmahl mit gegrillten Rotbarben und Makrelen.
Gefischt wird meist mit drei Booten, nachts, wenn die Schwärme höhersteigen, um nach Futter zu suchen. Zwei locken die Fische mit Scheinwerfern an die Oberfläche, das volle Netz wird dann in den Bauch des Mutterschiffes entleert.
Vor Gericht wurde Zenzeri und seinen Männern vorgehalten, dass keine Netze auf den zwei sichergestellten Kuttern gefunden worden seien, dass sie eben doch Menschen geschmuggelt hätten. Das große Boot mit dem Schleppnetz sei schon auf dem Rückweg nach Tunesien gewesen, sagt Zenzeri. »Die Fangmethode mit drei Booten, von denen nur eines ein Netz hat, kommt aus Italien.« Im Hafen von Teboulba liegen die Kutter im Dreierpack vertäut.
Der Fischereibeauftragte von Teboulba vermutet, die Italiener prozessierten, um die afrikanischen Fischer von ihren Küsten fernzuhalten. Zwölf Seemeilen hinter der italienischen Küste beginnt internationales Gewässer. Jeder Fischer mit Lizenz dürfe dort seine Netze auswerfen, das stinke den Italienern. Auch Zenzeri glaubt, die Italiener hätten Angst, die Tunesier könnten ihnen die Sardinen wegfischen. »Aber es geht auch um Menschen.« Um die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge, die clandestini (»Illegale«) genannt werden, weil sie nicht die ökonomischen Voraussetzungen erfüllen, um ein Schengen-Visum zu erhalten, und die deshalb den Tod riskieren, um ihre Heimat zu verlassen.
Zenzeris Fall stand in allen tunesischen Zeitungen. Der tunesische Botschafter in Rom
erschien zum Prozessauftakt im Gerichtssaal. Doch ansonsten verhalte
sich die Regierung still, sagt Zenzeri. »Außer dass ich inzwischen
überwacht werde.«
Die Sonne steht fast im Zenit. Der Kapitän deutet auf die Silhouette
eines Frachters am Horizont und malt ein neues, ein ganz anderes
Schreckensszenario aus: Ein Kreuzfahrtschiff, voll besetzt mit reichen
Europäern, gerät in Seenot. Funkt SOS und erhält keine Antwort. Hunderte
ertrinken. Nach der Tragödie stellt sich heraus, dass Fischer in der
Nähe waren, aber nicht geholfen haben. »Ich will nicht wissen, was dann
passieren würde.« Es entsteht eine Pause, bevor Zenzeri sagt: »Ich würde
alles wieder so machen.«
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