In der Stadt prallen auf engem Raum Welten aufeinander: Traditionsgeschäft und Billigladen, Polizeistation und Spielhalle. In der Serie „50 Meter Köln" beschreiben wir kontrastreiche Orte: Zum Auftakt geht es zum Ebertplatz.
Von Uli Kreikebaum (Text) und Michael Bause (Bilder)
Slavi kennt den Ebertplatz natürlich besser als die Stadtplaner, die sich seit Jahrzehnten den Kopf zerbrechen, wie man die Betonwüste zum Leben erwecken kann. Slavi ist 35 und lebt seit mehr als acht Jahren hier. Der Ebertplatz ist für ihn kein Moloch oder Schandfleck, wie er immer wieder genannt wird. Es ist seine Heimat.
Er liegt nachts im Neonlicht der Unterführung, er liegt tags oft da, die Neonröhren flirren ewig. „Ich bin gern hier. Es ist ruhig und nicht so kalt. Und die Bäume sind ziemlich hoch gewachsen mittlerweile. Warum sie die Lampen nie ausmachen, weiß nicht nicht." Mit 18 ist Slavi aus Lemberg nach Deutschland gekommen. Auf der Suche nach Geld und Glück hat er in Hamburg als Schlachtergehilfe gearbeitet, flog raus, weil er sich mit seinem Chef anlegte, versuchte sich in anderen Jobs, flog wieder raus, blieb schließlich auf der Straße. „Weil Obdachlosenheime wie Knast sind." Als er nach Köln kam, fand er den Ebertplatz. Der Bereich vor dem Ausstellungsraum Bruch & Dallas ist überdacht. Neben seiner Matratze steht ein Sofa. „Wenn sie hier ein Parkhaus bauen", sagt Slavi, „sollen sie mir einen Platz reservieren. Ich will bleiben." Der Masterplan von Albert Speer sieht vor, den Ebertplatz, der von 1933 bis 1945 Adolf-Hitler-Platz hieß, zuzuschütten.
Auch Max Erbacher, Yvonne Klasen und Diane Müller wollen bleiben. Erbacher findet, dass der Passage schon mit neuen Lampen und Grünflächen geholfen wäre. Die Künstler sind Slavis Nachbarn - sie betreiben die ehemalige Damenboutique nebenan - als Raum für „temporäre Kunst". Die Galerien „Boutique", „Bruch & Dallas" und „Gold & Beton" haben in den vergangenen Jahren in leerstehenden Ladenlokalen auf dem Ebertplatz eine Bleibe gefunden, um Ausstellungen, Lesungen und Party zu veranstalten.
Während Politiker und Stadtplaner trotz Masterplans, der eine Einebnung vorsieht, um die Veedel zu verbinden, weiter streiten, welches neues Gesicht dem Ebertplatz am besten stünde, hat er längst ein neues Profil erhalten. „Früher war hier nur die afrikanische Bar", sagt Slavi. „Jetzt ist hier jede Woche eine Ausstellung oder Party." Die Kreativen sind da, Studenten, Studentoide, Intellektuelle. Neben den Trinkern sitzen mittags Banker und verschlingen ihr Döner. Die Betonwüste lebt. Übrigens kamen die Kreativen auch dank der Afrikaner. Vor Jahren hat ein Elektro-DJ in der Afro-Bar in der Unterführung aufgelegt, die Milieus mischten sich zum ersten Mal. Wenn heute eine Ausstellung eröffnet wird, kommen auch ein paar Afrikaner. Später gehen Künstler, Kunstinteressierte und Obdachlose in der Bar Tanzen.
Slavi mag die Künstler. „Gegen die kann man nichts sagen", sagt er. Wenn Flaschen zerdeppern und sein zu Hause in Scherben liegt, leiht er sich bei Max einen Besen. „Es ist schon vorgekommen, dass eine Frau, die hier lebt, auf unsere Kasse aufgepasst hat", sagt Max Erbacher, der dank einer eigenen Kunstaktion den Weg zum Platz fand: Vor dreieinhalb Jahren platzierte er in der Stadt Zettel mit der Aufschrift: „Heute bin ich dein Freund", samt seiner Telefonnummer. 23 Leute meldeten sich pro Tag, Erbacher brauchte einen Ort, um sich mit seinen „Freunden" zu treffen. Er fand die Galerie von Yvonne Klasen; beide waren auf der Suche nach einem größeren Raum und fanden die verwaiste Boutique. Erbacher wollte eigentlich nur eine Woche bleiben.
Slavi trennt scheinbar Welten von Max, Yvonne und Diane. Der 35-Jährige, der als Zehnjähriger einen Autounfall überlebte, bei dem sein Vater starb, ist vom Arbeitsleben mehr als eine Wodkaflasche entfernt. Max, Diane und Yvonne lassen sich einer künstlerischen Avantgarde zuordnen. Die Boutique haben sie schon in ein Terrarium verwandelt, als Leguane verkleidete Künstler haben dort gelebt, jeder konnte zuschauen. „Das war lustig", sagt Slavi. Erbacher hat drei Urinale an einer Mauer des Platzes befestigt - dort hatten die Alkis immer hingepinkelt. Die Stadt hat sie wieder abgebaut. Jetzt stinkt die Ecke wieder nach Urin. Der Österreicher hat auch schon einen Vergewaltigungsverdacht gegen ihn in Kunst verwandelt. Er war in einem aussortierten Taxi seiner Eltern durch die Stadt gefahren; als eine Frau in einem Taxi vergewaltigt wurde, geriet er unter Verdacht. In der Folge ließ er Diskokugeln aus dem Wageninneren quellen, um seinen Erinnerungen ein schauriges Denkmal zu setzen.
Die Schnittmengen mit den Alkis sind größer als Gucken und Hallo sagen. „Einer der Jungs hier hat mir mal gezeigt, wie man richtig Fenster putzt", sagt Max. „Ein anderer kam mit seiner Braut und hat ihr eine Ausstellung gezeigt, das war so ein Checkertyp." Ein Alki kam mit seiner Gitarre vorbei und spielte nach einer Lesung ein Lied von den Rolling Stones - die Gäste der Lesung sangen mit.
Auch Slavi guckt sich die Ausstellungen an; die Hemmschwellen sind niedriger als in gewöhnlichen Galerien. Man trinkt auch mal einen zusammen. Und ist jeweils irgendwie abhängig vom Staat. Slavi und Kollegen vom Sozialamt, Max und Kollegen von Kulturamt, Stiftungen, Fördertöpfen. Eher zufällig haben die Künstler erfahren, dass sie für Objekte wie ihren Ausstellungsraum, der abgerissen werden soll, Mietfreiheit beantragen können. Weil sie jetzt nur noch 20 Prozent der bisherigen Miete zahlen müssen, können sie vorläufig bleiben.
Der brachliegende Brunnen ist das Symbol für das Versagen der Stadt am Ebertplatz. „Ich habe den Brunnen noch nie mit Wasser gesehen", sagt Slavi. „Vielleicht hat die Stadt wie wir kein Geld." Der Name der Galerie - Bruch & Dallas - kommt aus dem Jiddischen und bedeutet: kaputt und pleite.