In dem ich mich in andere hineinversetzt habe, konnte ich eine soziale Zugehörigkeit spüren. Ich bin heute viel offener allem gegenüber, auch meinen Gegnern.
Im Dokumentarfilm "Schwarz auf Weiß" haben Sie, schwarz geschminkt, in der Rolle des "Kwami Ogonno" alltäglichen Rassismus aufgedeckt. Welche Erfahrungen machten Sie dabei?
In vielen Fällen war ich als Schwarzer nur geduldet, unerwünscht, wurde angepöbelt es gab nur wenige positive Beispiele. Einige Szenen waren am Rande der Eskalation. Nach sechs, sieben Wochen hatte ich meine ersten Albträume, man kann sich vorstellen, wie schwierig das Alltagsleben eines Schwarzen in Deutschland sein kann.
Hat man Sie in der Rolle des "Schwarzen" nicht erkannt?
Am zweiten Tag bin ich an der Stimme erkannt worden, aber der Mann war mit meinen Reportagen vertraut und sagte nichts. Unter den vielen anderen gab es keine Reaktionen, weil sie nicht richtig hingesehen haben, es reichte schon, dass ich schwarz war. Gerade dass ein "Weißer" die Rolle so unbehelligt spielen konnte, ist der Gag an der ganzen Sache.
Nun wurde diese Rolle von einigen kritisiert: unangemessenes Aussehen und Kleidung, zu gutes Deutsch und unpassende Schauplätze. Wie sehen Sie das?
Der Film wird auf meine Erscheinung und Verkleidung reduziert. Was ich zeigen wollte, war, dass es ein Rassismus-Problem - quer durch die Gesellschaft - gibt. Das möchten viele nicht wahrhaben, weil Sie ihre eigenen Vorurteile überdenken müssten. Gerade durch den Rassismus kehren sogar afrikanischstämmige Jugendliche aus der zweiten und dritten Generation in die Heimat ihrer Vorfahren zurück. Mir wurde vorgeworfen, dass ich nicht wie ein richtiger Schwarzer aussehe, aber wie hat denn ein "echter Schwarzer" auszusehen? Das sind auch rassistische Ansätze. Ein "buntes Hemd" bietet den meisten Gesprächsstoff, obwohl es im gesamten Film, der 82 Minuten dauert, nicht länger als 12 Minuten vorkommt. Andere haben mir gesagt, die Rolle sollte ein echter Schwarzer spielen, aber ich konnte andere doch nicht bitten, mir die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Sie wären vielen Gefahren ausgesetzt.
Vor 26 Jahren haben sie ein ähnliches Experiment durchgespielt, als türkischer Gastarbeiter "Ali" - wie fällt ein Vergleich aus?
Auch bei meiner Rolle als "Türke-Ali" habe ich bewusst den kurdischen Vater, der in der Türkei aufgewachsen ist, gemeinsam mit der griechischen Mutter konstruiert. Ich wollte ein Vorbild schaffen. In den USA hat man das anders gesehen, dort hat der Film "Schwarz auf Weiß" beim renommierten New-York-Festival die "Gold-World-Medal" für investigativen Journalismus erhalten. Die Amerikaner haben mehr Erfahrungen mit Rassismus.
Hat der Film irgendetwas ändern oder auslösen können?
Durch die Fremdenfeindlichkeit gibt es zum Beispiel Schwarze, die sich fragen, was an ihnen selbst nicht stimmt - sie entwickeln dadurch Komplexe. Als Beispiel kann ich das Lehrstück der "liebenswerten" Frau im Film unterstreichen, der man Rassismus nicht zutrauen würde, bis sie dann anfing, offen über ihre Vorurteile zu sprechen. Es gibt ältere Leute in den Filmvorführungen, die schlucken, wenn sie die Szenen sehen, weil sie sich selber wiedererkennen. Danach hinterfragen sie mehr und manche ändern ihre Einstellung. Das war für viele Migranten ein Befreiungselement, weil sie dann gemerkt haben: "Wir haben keine Makel."
Wie sehen sie die Lage der sogenannten Migranten grundsätzlich?
Migranten haben eine "Bringschuld", viele ändern aufgrund der Arbeitsmarktsituation ihren Vornamen. Das ist zwar falsch, aber Studien zeigen, dass Migranten berufliche Nachteile haben. Andere werden zu "sozialen Jobs" geführt, weil man davon ausgeht, das sie da besser aufgehoben sind. Solche Überlegungen sind abwegig. Die Mehrheit der Migranten fühlt sich zuhause, werden aber vergrault und zurückgewiesen. Dieses Zurückweisen herrscht in allen Gesellschaftsschichten vor. Es passiert auch indirekt unter scheinbar Gutmeinenden: "Du bist doch eine von uns - so schwarz bist du gar nicht". Das ist positiver Rassismus.
Wie kann man denn Rassismus abbauen?
Es muss schon früh im Kindergarten beginnen. Bis zum vierten Lebensjahr nehmen Kinder die Hautfarbe nicht wahr. Die besten Pädagogen müssen die Kinder in diesem frühen Alter betreuen.
Website Günter Wallraff