Pick-up Artists sind die neuen Aufreißer. Was steckt dahinter? Der
Wiener Journalist Toumaj Khakpour war für seine Recherchen monatelang in
der Szene unterwegs und die Soziologin Leonie Viola Thöne machte die
Extrem-
Casanovas zum Objekt ihrer Doktorarbeit. Die WIENERIN bat zum Gespräch.
Wie kann sich heute ein derart sexistischer Schwachsinn als Trend durchsetzen?
LEONIE VIOLA THÖNE: Es ist völlig absurd. Pick-up
Artists
sagen selbst, dass es eine Reaktion auf die Emanzipation der Frauen
ist. Sie sagen, weil Frauen so stark sind, müssten sie sie noch stärker
unterdrücken. Die
Männer müssten die Frauen vom Podest holen, damit sie
wieder zu ihnen aufschauen können.
Was sind das für Männer, die in der Fußgängerzone
Frauen anquatschen und massenweise Körbe kassieren? Warum tun die das?
TOUMAJ KHAKPOUR: Sie machen das, weil sie alleine
sind. Es gibt aber auch solche, die einfach Frauen
erobern und mit nach Hause nehmen wollen. Da sind
Loser-Typen dabei, die unsicher sind und wenig Freunde
haben und durch Pick-up lernen, sicherer aufzutreten.
Es
gibt aber auch viele gutherzige Männer darunter. Studenten, Akademiker –
die Bandbreite ist sehr groß. Pickup gibt ihnen das Selbstvertrauen,
das sie brauchen.
THÖNE: Die Anerkennung in der Gruppe ist ein ganz
großer Teil, wofür sie es machen. Die Frau ist irgendeine
Zahl, und die Berichte, sogenannte „field reports“, sind
ganz wichtig.
KHAKPOUR: Der Haken an der Sache ist: Das, was die
Coaches lehren, funktioniert nur in der Theorie. Funktioniert der erlernte Anmachspruch bei der Frau nicht
und der Aufreißer kassiert eine Abfuhr, fällt das nicht auf
den Coach und die Technik zurück, sondern immer auf
den Ausführenden. Er muss also weiterüben. Das ist wie
der Esel, der hinter der Karotte herläuft. Und der Coach
predigt immerzu: Jede Frau ist zu haben, man muss sie
nur lange genug zulabern.
Wer fällt auf diese Masche rein? Die Community
wächst. Irgendwie funktioniert es scheinbar doch!?
KHAKPOUR: Menschen, die eine gewisse Leere in
sich haben, interessieren sich für radikale Dinge. Und
Pick-up ist so eine Sache. Hinter dem Ganzen steckt viel
Sein und Schein. Es geht um Geld.
THÖNE: Die Community in Deutschland ist groß. Es
gibt ungefähr zehn Foren. Darin tummeln sich ein paar
hunderttausend Members. Und da sind wirklich attraktive
und gut gebildete Männer dabei. Die Theorie dahinter
spielt auf grundpsychologische Mechanismen an, was wir
als Liebe definieren. Und manchmal funktioniert die Masche halt doch.
Was macht einen erfolgreichen Pick-up Artist aus?
THÖNE: Sie nennen das „Abschlüsse“. Das geht von
der Telefonnummer bis zum Sex. Wobei Sex am höchsten
bewertet ist.
KHAKPOUR: So genau ist Erfolg nicht definiert. Das
kann die Telefonnummer der Frau sein, aber auch Sex
mit ihr zu haben. Erfolg ist aber auch schon, wenn du dich
traust, am helllichten Tag eine Frau anzusprechen.
Und was ist mit der Liebe?
THÖNE: Liebe ist ein No-go, das bezeichnen sie auch
so. Liebe ist eine Krankheit. Die Empfehlung lautet: Wenn
du dich verliebst, dann schlafe mit zehn anderen Frauen.
KHAKPOUR: Die Theorie sagt, es geht ums Abschleppen,
nicht um die Liebe. Was der Einzelne daraus macht,
ist seine Sache.
Was haben Pick-up Artists für ein Frauenbild?
KHAKPOUR: Ihr Frauenbild ist mies. Die Frau wird als
„target“, als Ziel betrachtet, sie ist nur noch Objekt. Die
Männer sagen, dieses frauenverachtende Verhalten sei
eine Reaktion auf die Aktion. Sie haben unzählige Körbe
kassiert, sind Single und verbittert – all das führt irgendwann dazu, dass sie dann so denken.
THÖNE: Sie sagen, Frauen testen Männer, um zu sehen,
ob sie Alphamännchen sind. Frauen sind also fies
zu Männern, um zu sehen, wie sie darauf reagieren. Das
„Nein“ einer Frau nehmen Pick-up Artists nicht ernst. Sie
sehen es als Test und reagieren darauf mit einer Sanktion.
Die Frau soll unterwürfig sein und folgen.
Von Mann zu Mann – verstehen Sie diese Männer?
KHAKPOUR: Ich verstehe sie, wenn sie es charmant
machen. Wenn sie aber frauenverachtend agieren, dann
verstehe ich es nicht.
Pick-up kurz soziologisch erklärt?
THÖNE: Die Bewegung stammt aus Los Angeles, aus
dem Jahr 2007. Es ist ein Selbsthilfe-Trend.
Dieses Interview erschien in der WIENERIN im Oktober 2015.
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