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Der schöne Schein

Leere Schaufenster schrecken die Laufkundschaft ab. Kreative Köpfe lassen sich deshalb pfiffige Ideen zur temporären...Foto: imago stock&people

Leere Ladenlokale sind in Berlin kein ungewöhnlicher Anblick. Egal, in welchem Kiez man sich bewegt, auch in A-Lagen. Zwar sagen Einzelhandelsexperten, dass ein Leerstand von bis zu zehn Prozent normal sei und sogar als Korrektiv gegen zu hohe Mieten wirken könne. Doch in manchen Berliner Quartieren liegt die Quote deutlich darüber. So auch rund um den Kollwitzplatz und entlang der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg oder an der Friedrichstraße/Ecke Oranienburger Straße - von vielen Außenbezirken ganz zu schweigen.

Der Strukturwandel, der sich seit einigen Jahren im Einzelhandel vollzieht, hinterlässt hier deutliche Spuren. Zum einen spüren immer mehr kleinere, unabhängige Geschäfte den Druck, den Filialisten und Einkaufszentren auf sie ausüben. Im Zusammenwirken mit der Parkraumbewirtschaftung ziehen Letztere mit günstigen Parkmöglichkeiten und einer idealen Anbindung an S- und U-Bahn zunehmend Kunden an, die zuvor vielleicht im Kiez eingekauft haben.

Zum anderen wirkt sich der steigende Onlinehandel negativ auf die Umsätze des stationären Handels aus. Laut einer Studie des Handelsverbands HDE ist 2015 ein Umsatz von über 43 Milliarden Euro im Onlineshopping zu erwarten. Das wären dann fast zehn Prozent mehr als 2014 und eine Verdreifachung innerhalb von zehn Jahren. Viele Fachhändler klagen auch über Kunden, die sich bei ihnen ausgiebig beraten lassen, um dann im Anschluss im Internet nach dem passenden Schnäppchen zu suchen. Wenn dann noch Eigentümer überzogene Mietvorstellungen haben, ist die Überlebenschance für Geschäfte und Gastronomie in beliebten Kiezen gering. Die Folge ist Leerstand.

Interaktive Schaufenster bringen neues Leben

Aber: „Leerstand ist weder für den Eigentümer gut noch für das Quartier. Leerstand zieht mehr Leerstand nach sich, vor allem, wenn es sich um einen Frequenzbringer handelt", sagt Kristina Enders, Initiatorin des Projekts „Das Wunder der Schaufenster". Zusammen mit Kooperationspartnern entwickelt sie Ideen zur temporären Zwischennutzung von Ladenlokalen und vor allem deren Schaufenstern. „Anfangs hatte ich die Idee, die leeren Schaufenster mit Kunst zu beleben, aber dafür fehlte ein nachhaltiges Monetarisierungskonzept", erzählt sie.

Statt leerer Auslagen setzt das Projekt „Das Wunder der Schaufenster" auf Bilder und Videos, die auf die Scheibe projiziert... Foto: Promo

Zusammen mit dem Kölner Künstlerkollektiv Klangfiguren, dessen Mitglieder sie vor zwei Jahren auf dem Cityleaks Festival in Köln kennenlernte, hat sie ein Tool entwickelt, mit dem man Bilder oder Videos auf Schaufenster projizieren kann. „Passanten können dann mit ihrem Smartphone ohne App oder zusätzliche Software das Schaufenster steuern. Ein Produkt, das gezeigt wird, anwählen, eine 360-Grad-Ansicht oder Hintergrundinformationen anschauen oder zum Shop linken, wo man das Produkt kaufen kann." Genauso könne man aber auch nicht-kommerzielle Inhalte oder Kunst präsentieren und damit „Licht ins Dunkel bringen".

So wird die Nutzung eines Schaufensters mit dem Potenzial des Digitalen erweitert, wobei den Nutzungsmöglichkeiten kaum Grenzen gesetzt sind, sofern Finanzierung und Zwischennutzungsvereinbarung für Vermieter und Mieter sinnvoll und fair sind. Klangfiguren sind mit diesem Tool und dem Projekt, das sie Nowa genannt haben - eine Mischung aus den Worten nova (neu), window (Fenster) und application (Anwendung) - 2014 von der Bundesregierung als einer von 32 „Kultur- und Kreativpiloten" ausgezeichnet worden und entwickeln ihre Idee nun weiter. Als Kunden könnten dabei auch öffentliche Einrichtungen oder Museen infrage kommen.

Der bürokratische Aufwand für Vermieter ist gering

Bereits einen Schritt weiter in Richtung Kommerzialisierung und Verknüpfung von Offline- und Online-Welt geht Stefan Klein mit seinem Startup SchaufensterMedia. „Wir vermitteln die Schaufenster von leerstehenden Ladenlokalen als virtuelle Einkaufsflächen", erklärt der Jungunternehmer.

SchaufensterMedia beklebt Scheiben mit Folien, die Produkte und ihre QR-Codes zeigen. Foto: Promo

Dafür wird eine Folie mit Fotos von Produkten zusammen mit passenden QR-Codes bedruckt, die von Passanten per Smartphone eingescannt werden können. Das sei nicht nur für den Onlinehandel interessant, sondern auch für stationäre Werbegemeinschaften, Einzelhändler oder - ähnlich wie das Tool von Klangfiguren - als Infofläche für öffentliche Einrichtungen wie Musikschulen oder das Stadtmarketing.

In Köln hat SchaufensterMedia schon einige Projekte realisiert, ist aber auch in Hamburg und Berlin aktiv. „Prinzipiell können wir mit unserem Netzwerk bundesweit Eigentümern helfen, den Leerstand zu überbrücken", so Klein. Dabei sei der bürokratische Aufwand für Vermieter gering. Man müsse sich nur statt einer Abschreibung für eine Belebung seines Objekts entscheiden.

Und so könnten in Zukunft nicht nur Pop-up-Stores, wie sie vor allem rund um die Fashion Week in Berlin auftauchen, oder Pop-up-Büros, wie sie Stefan Klein jetzt mit zwei Partnern in Köln realisieren will, als kreative Zwischennutzung leere Läden mit Leben füllen. Neben Onlineshopping am Schaufenster sind auch virtuelle Ausstellungen denkbar. Digitaler Content in der realen Welt könnte dem gewerblichen Leerstand entgegenwirken und gleichzeitig neue Konzepte zur Belebung eingeschlafener Einkaufsstraßen oder zur Aufwertung problematischer Quartiere hervorbringen.

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