Mit einem Wort kann man sagen, dass das was am 1. Mai 2019 in Plauen nach der Demonstration passiert ist, verrückt ist. Die Videos hatten innerhalb von 48 Stunden über 700.00 Aufrufe, wurden sogar in der New York Times verlinkt. Und wir reden schlicht von drei kleinen Videos mit einer Laufzeit von etwas über einer Minute. Das ist natürlich ein riesiger Impact. Den habe ich so vorher noch nie gehabt und deswegen war das sehr überraschend.
Zu sehen ist eines der drei Videos aus Plauen vom 1. Mai 2019, die via Twitter viral gegangen sind. Haben Sie inzwischen schon eine Erklärung dafür, warum die Videos so eine Aufmerksamkeit bekommen haben, welche Faktoren spielen da Ihrer Meinung nach eine Rolle?Diese Aufmärsche begleite ich seit fast zehn Jahren und die sahen letztes Jahr genauso aus wie dieses Jahr und die sahen das Jahr davor ebenfalls so aus wie dieses Jahr. Und wir haben auch die letzten Jahre Material davon veröffentlicht.
Nein, das würde ich so nicht sagen. Zumindest nicht mit Blick auf das Demonstrationsgeschehen.
Was hat sich also in diesem Jahr geändert?Es gibt ein paar Dinge, die man für Deutschland sagen kann: Ich glaube, viele Menschen gucken gerade nach Sachsen. Nun war dieser Aufmarsch in Plauen. Da marschieren Fahnen tragende gleichgekleidete, für viele uniformiert wirkende Neonazis im Stile der SA. Aber auch der aktuelle weltweite Rechtsruck dürfte für die Wahrnehmung eine wichtige Rolle spielen.
(Das könnte Sie auch interessieren: Mini-Serie "Chernobyl" : Ein Alptraum, bei dem man nicht wegschauen kann)
Wie waren generell die Reaktionen auf das Video?Soweit ich das in den hunderten Kommentaren unter den Videos gelesen habe, haben diese Bilder vielen Menschen Angst gemacht. Viele haben gefragt, wie es sein kann, dass so etwas wieder möglich ist. Wieso die Sicherheitsbehörden nicht einschreiten, wieso ein Galgen erlaubt war, wieso Pyrotechnik.
Und was ist ihre Antwort, wie kann ein solch martialischer Aufmarsch möglich sein?Ich habe ein paar Einschätzungen gelesen, die sagen, dass das, was die sächsische Polizei dort zum Uniformierungsverbot gesagt hat, eine fragwürdige Auslegung sei. Ich finde die Erklärung tatsächlich auch absurd. Ich begleite seit fast zehn Jahren Naziaufmärsche, ich habe noch nie von so wenig Auflagen gehört. Da war selbst der Redner der Neonazidemo beim Verlesen der Auflagen überrascht. Und das kenne ich auch bundesweit anders.
Was war dann der Unterschied in Plauen?Die Neonazis haben offensichtlich mit den Versammlungsbehörden in Plauen leichtes Spiel. Anders kann ich das von der Außenbewertung nicht einschätzen. Wenn dann auf einmal die Leute sehen, was da genehmigt wird und wie wenig Probleme die haben, das vergrößert die Empörung auch noch einmal. Da hat man dann natürlich sofort die selbsterfüllende Prophezeiung: Man sieht einen Naziaufmarsch, die sächsischen Behörden schreiten nicht ein, weil rechtlich alles ok ist und für viele heißt es dann schnell: Sachsen, da ist auch die Polizei und Verwaltung rechts.
Auf Twitter reagierte die Polizei Sachsen auf User-Anfragen zum Uniformierungsverbot:
Haben Sie eine Einschätzung, warum das so lax gehandhabt wird?Da kann ich persönlich nur spekulieren. In den ländlichen Regionen haben wir manchmal die Schwierigkeit, dass die Behörden einfach nicht fit sind im Bereich Versammlungsrecht. Der Versammlungsbehörde ist dann oft nicht klar ist, was für Möglichkeiten sie hat, weil sie die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes oder des Bundesverwaltungsgerichts en détail nicht kennt. Ich kann da aber nur spekulieren. Und ehrlich gesagt, hoffe ich, dass es daran liegt.
Das muss man über die Partei "Der III. Weg wissen: Die Partei „Der III. Weg" oft auch als „Der Dritte Weg" bezeichnet, geht aus dem 2014 verbotenen „Freien Netz Süd" hervor. Die Partei selbst wurde im September 2013 gegründet. Erster Vorsitzender ist der ehemalige NPD-Funktionär Klaus Armstroff. Der III. Weg arbeitet offen mit nationalsozialistischer Symbolik, wird vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingeordnet und in Bund und Ländern beobachtet. Die Partei tritt zur Europawahl 2019 und zu vielen Gemeinde-, Stadt- und Kreisratswahlen an. Wie sicher fühlen Sie sich selbst vor Ort bei Ihrer Berichterstattung?Beim Dritten Weg kommt es immer wieder zu Konfrontationen, aber während des Aufmarsches selbst hält sich das in Grenzen. Da gibt es andere Arten, politischen Gegnern zu zeigen, dass sie im Fokus stehen. Der Dritte Weg hat etwa Postkartenaktionen gemacht. Engagierten und Kollegen wurden die zugestellt, mit der Aufforderung zur Ausreise. Wenn man dann an seine Dienstadresse oder gar Privatadresse so eine Karte von einer Neonazipartei bekommt, dann empfindet man das als Bedrohung. Bei den Demos selbst - das muss ich sagen - stumpft man mit den Jahren ab. Man weiß, was man nicht machen sollte, ist mit Kollegen da, achtet aufeinander.
Jetzt ist das Ganze in Plauen und damit in Sachsen geschehen, also wieder einmal in Ostdeutschland. Können wir also von einem rein ostdeutschen Phänomen reden?Das versuchen wir schon seit Jahren zu zeigen: Das ist auf jeden Fall kein ostdeutsches Problem. Am besten zeigt sich das auch am Dritten Weg. Das Personal und die Funktionäre der Partei sind aus den Kameradschaftsstrukturen des Freien Netzes Süd in Bayern hervorgegangen. Und bevor die jetzt in Sachsen marschiert sind, sind die 2009, 2010 mit tausend und mehr Neonazis durch bayerische Städte marschiert. Wir haben in NRW die Partei „Die Rechte", die äußerst aggressiv auftritt. Die NPD ist in den 1960er-Jahren in Niedersachsen gegründet worden. Das deswegen als ostdeutsches Problem abzutun, halte ich für einen großen Fehler.
War es eine bewusste Entscheidung für den Dritten Weg in den Osten zu gehen, obwohl man seine Wurzeln woanders hat?Das Gefühl habe ich schon. Es gibt gute Gründe dahin zu ziehen, gerade in den ländlichen Regionen hat man Vorteile aus Sicht der Neonazis. Wenn ich mich etablieren möchte, dann gehe ich dahin, wo ich Immobilien erwerben kann, wo man sich verankern kann, wo weniger Proteste zu erwarten sind. Plauen ist jetzt ist keine Großstadt, die Immobilienpreise sind niedrig. Außerdem hat Plauen den Vorteil, dass es im Dreiländereck liegt. Man ist in Sachsen, es ist nicht weit von Bayern. Man ist schnell in Hof, man ist aber auch schnell in Thüringen. Man hat da eine ganz günstige Lage in Plauen muss man sagen. Ich denke so wird da auch kalkuliert.
(Auch interessant: Der ADAC präsentiert sein neues Präsidium und erntet einen Shitstorm)
Warum darf Der Dritte Weg mit diesen Symbolen auftreten und warum wird das nicht verboten?Ich kann Symbolik verwenden, die nicht verboten ist nach §86a, aber dennoch ist völlig deutlich, was ich hier repräsentieren möchte. [Anmerkung der Redaktion: §86a StgB behandelt das "Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen"] Natürlich sind zum Beispiel Hakenkreuze verboten. Aber was macht die Szene? Die druckt sich T-Shirts, auf denen "HKNKRZ" zu lesen ist. Ich kann also ganz offensichtlich ein Hakenkreuz als Symbolik auf meinem Shirt tragen und bin trotzdem unterhalb der Grenze der Strafbarkeit, weil man da einfach das Hakenkreuz durch diesen Schriftzug ersetzt. Werden Symbole verboten, dann wechsle ich einfach die Symbolik. Deswegen ist der Paragraph ein stumpfes Werkzeug. Und wie ja viele online geschrieben haben: Der Aufmarsch in Plauen hat sie auch ganz ohne Hakenkreuz an die Nazis der 1930er-Jahre erinnert.
Trotz der Einschätzung: Auch Satiriker Jan Böhmermann stellt fest, dass der Aufmarsch dauerhaft ein schlechtes Licht auf Plauen und Sachsen wirft. Was ist Ihrer Meinung nach aktuell eine sinnvolle Lösung gegen solche Naziaufmärsche?Was wir anhand von Plauen diskutieren müssen, ist, ob diese Demonstration als Uniformierung gilt. Das finde ich, ist der zentrale Punkt. Und: Die Behörden sollten prüfen, ob es sich beim Dritten Weg wirklich um eine Partei handelt, oder ob Neonazis hier unter dem Deckmantel des Parteienstatus geschützt agieren wollen. Sonst ist die Organisation eventuell auch nach dem Vereinsverbot zu zerschlagen. Ansonsten müssen Sicherheitsbehörden enge Grenzen setzen. Eine kontinuierliche Repression ist wichtig für die Eindämmung der extremen Rechten. Sie Szene war immer dann stark, wenn die wehrhafte Demokratie ihr viel Raum gegeben hat. Aber was am wichtigsten ist, was ich in Plauen gesehen habe: Man muss vor allem die Leute unterstützen, die sich vor Ort engagieren. Viele haben gesagt, dass es gut ist, dass da mal Aufmerksamkeit kommt, weil sie sonst auf verlorenem Posten sind. Die wehrhafte Demokratie muss auch die demokratischen Strukturen unterstützen.
Mehr zur Person Felix M. Steiner:Felix M. Steiner ist freier Journalist und Rechtsextremismusexperte. Bevor er über die extreme Rechte berichtete, arbeitete er zum Thema Erinnerungskultur und Holocaust, fotografierte bei Jahrestagen von KZ-Dedenkstätten und begleitete Holocaustüberlebende.