Boris Palmer liebt den Shitstorm. Und er bekommt ihn, regelmäßig. Wie es aussieht, fühlt er sich nur im Auge dieses Tornados aus Kommentaren und Shares wohl. Da hat er seine Ruhe. Die anderen können sich mit Höchstgeschwindigkeit im Kreise um ihn drehen und sich lautstark an ihm abarbeiten. Er sitzt da und genießt die Aufmerksamkeit. Und es funktioniert. Denn welchen anderen Bürgermeister einer deutschen Kleinstadt mit 90.000 Einwohnern kennen Sie sonst noch? Eben. Das weiß auch Palmer. So zettelt der Grünen-OB aus Tübingen immer wieder Diskussionen an, in den letzten Jahren am liebsten mit kontroversen Meinungen zum Thema Flüchtlingspolitik und den Umgang mit Migranten in Deutschland. Sein neuester Streich: Auf Facebook lässt er sich über die Bildauswahl auf der Webseite der Deutschen Bahn aus. Das scheint harmlos, ist es aber ganz und gar nicht.
Den deutschen TV-Koch Nelson Müller hat Palmer gar nicht erkanntZu sehen sind fünf Personen, darunter mit Nelson Müller, Nazan Eckes und Nico Rosberg drei Prominente. Den Sterne- und TV-Koch mit dem deutschesten der deutschen Nachnamen hat Palmer gar nicht erkannt, wie er in einem späteren Post selbst zugibt. Für ihn wurde auf den ersten Blick wahrscheinlich nur jemand gezeigt, womöglich auch noch ein Flüchtling, der mit Deutschland nichts zu tun hat. Dabei stammt Müller zwar aus Ghana, lebt aber seit seinem vierten Lebensjahr in Deutschland. Eckes ist Deutsche und Tochter türkischer Einwanderer. Die einzige Person, die für Palmer „Deutsch" erscheinen musste, weil die Hautfarbe es vermuten ließ, ist Nico Rosberg. Was Palmer aber vermutlich nicht wusste: Der Formel-1-Weltmeister ist Sohn eines Finnen und einer Deutschen. ( So äußern sich Müller, Rosberg und die Bahn auf die Kritik von Boris Palme r)
Eine Kritik an der Bildauswahl ist möglich, aber nicht soAm Ende ist es auch egal, ob Boris Palmer die Gesichter kannte oder nicht. Dabei wäre eine Kritik an der Personenauswahl sogar legitim gewesen. Denn ganz ehrlich: Wann bitte fahren Nico Rosberg, Nelson Müller und Nazan Eckes wirklich mit der Bahn? Doch eher nur in der Werbung.
Boris Palmer spielt den Extremisten in die HandAber was von Boris Palmers Facebook-Post bleibt, der inzwischen über 4000 Kommentare erhalten hat und über 400-mal geteilt wurde, ist Folgendes: Es gibt in Deutschland einen Grünen-Politiker, der der Meinung ist, dass die Abbildung von Menschen mit Migrationshintergrund kein Abbild unserer Gesellschaft sein kann. Für Palmer ist klar, dass die Bahn mit ihrer Bildauswahl vorschreiben möchte, wie die Gesellschaft auszusehen hat. "Was wir hier diskutieren, ist Identitätspolitik. Und zwar von Rechts wie Links. Die einen sagen, man wisse nicht mehr, in welchem Land man lebt, die anderen bekämpfen alte weiße Männer. Und gemeinsam haben die Identitätspolitiker es ziemlich weit damit gebracht, uns zu spalten." Dabei ist es Palmer, der mit seinen Aussagen polarisieren möchte und genau das betreibt, was er anprangert. Er spaltet die Gesellschaft.
Die Äußerung von Boris Palmer sind nicht nur fragwürdig für das Oberhaupt einer Stadt, in der Studenten aus vielen Ländern eine zeitweilige Heimat finden. Es ist auch eine gefährliche Äußerung. Allen, die im Jahr 2019 noch immer nicht wahrhaben wollen, dass Ländergrenzen in einer globalisierten Welt schon lange keine Grenzen mehr für Hautfarben und Nationalitäten sind, denen spielt Boris Palmer in die Hände. In diesem Jahr finden Landtagswahlen in Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen statt. Dazu kommen viele Kommunalwahlen. Wenn Extremisten von der AfD und anderen Gruppierungen davon sprechen, wie Deutschland auszusehen hat, dann können Sie sich immer auf den grünen Bürgermeister aus der Mitte der Gesellschaft berufen. Boris Palmer selbst kann seinen Kritikern, die sagen, dass er sich rassistisch äußert, entgegenhalten, dass in seinem Post nie von Hautfarbe oder Herkunft die Rede war. Tatsächlich fällt nichts dergleichen in seinem Beitrag. Dann heißt es: "Das haben Sie behauptet, ich habe das nie gesagt." Die Strategie kennt man bereits von AfD-Politikern wie Gauland und Storch.
Kalkulierte Provokation für gesteigerte AufmerksamkeitAuf Facebook fügt Palmer seinem Post am Ende hinzu: „Eine Stunde später tobt der Shitstorm. Wie vorhergesehen." Er zeigt sich gar nicht überrascht. Warum auch, er hat ja damit gerechnet. Er weiß jetzt ganz genau, dass Deutschland wieder über ihn, den Oberbürgermeister der schwäbischen Kleinstadt spricht. Der Preis dafür ist hoch.