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Servus, Bosporus!


Jetzt wird richtig eingetaucht! Zu Gast in einer türkischen Familie will ich erkunden, wie sie zu Hause ihren Feierabend verbringt. Und ob man dort etwas anderes als Döner isst.


Von Tobias Oellig


Ich brauche ein Gastgeschenk. Blumen? Pralinen? Keine Ahnung. „Baklava", rät man mir, „aber guter." Aha, Baklava. Das sind diese türkischen Gebäckbomben. Die beim Dönermann über Rotkraut und Zwiebeln in der Vitrine stehen. An die sich nie jemand rantraut. Kenne ich nicht, esse ich nicht. Haben bestimmt Döner-Aroma angenommen, wenn die den ganzen Tag da vorne herumstehen.

Baklava ist wenig Blätterteig, von viel Sirup zusammengehalten. So süß, dass man Zahnschmerzen kriegt. Baklava ist wie orientalische Poesie: Ganz entzückend, aber auch zu happig für meinen Geschmack. In der Backstube werden sie handgemacht und frisch vom Blech verkauft. Mein Baklava-Bäcker schneidet präzise wie ein Hirnchirurg einen handtellergroßen Fladen aus dem Quadratmeter Zucker. Ein Stück gibt es gleich auf die Faust, erwartungsvoll guckt er mich an. „Betörend gut", würde ich lügen, wenn ich besser Türkisch könnte. Mein verklebtes falsches Lächeln muss reichen.

Tiefgrün klebt mir das zähe Zeug auf dem Weg die Tüte voll. Sehe wenigstens ich passabel aus? Mit stinkigen Turnschuhen und Dreitagebart vertrete ich die Bundesrepublik. Ich klingle. Überstürzt drücke ich Gastgeberin Elif den Baklava in die Hand. Hoş geldiniz, herzlich willkommen!

Das Wohnzimmer sieht aus wie ein deutsches. Na klar, was hast du denn erwartet? Eine osmanische Jurte, davor ein Holzpflock, an dem eine Ziege angebunden ist? Zumindest hätte ich nichts dagegen gehabt: Fackeln flackern und Zelte flattern. Eine verschleierte Schönheit huscht in die Häuptlingsjurte, um meine Ankunft mitzuteilen... Aber Türken leben gar nicht in Jurten, erkenne ich. Stattdessen: Mietwohnung, Teppichboden, Sitzgruppe. Bekanntes Terrain.

Elifs Großfamilie empfängt mich herzlich. Elif kocht, die Nichten helfen. Der anderthalbjährige Ufuk ist der Star des Abends. Darüber bin ich froh, das lenkt von mir ab. Gerade robbt er mit rotem Luftballon und Opa auf allen Vieren über den dicken Teppich.

Dann gibt es endlich Essen. Statt Graubrot, Aufschnitt und Gürkchen etwas Warmes: Auberginen-Kebab-Spieße, Reis und Fladenbrot, Rotkohlsalat und Joghurtsuppe. Gigantisch gut. Sie essen also keinen Döner daheim. Der Fernseher läuft. Meine Gastgeber gucken nur selten hin, das Flimmern ist ihr Lagerfeuer. Ich nehme mir noch einen von den leckeren Spießen, Elif kann fantastisch kochen. Sie wird schon verstehen, dass es mir schmeckt, wenn ich hier ordentlich zulange.

Im TV läuft jetzt „Dila, die Hausherrin", eine beliebte Serie: Dila schreit eine Frau an und packt sie am Hals. Huch! Ich kenne keine deutschen Soaps. Aber da würgt man sich doch nicht, oder? Egal. Hausherrin Elif kümmert sich jedenfalls von Herzen um mein Wohl.

Zum Dessert serviert Elif den Baklava mit Mokka. Na gut, koste ich den Kleber halt noch mal, zusammen mit bitterstarkem Kaffee, der wie Sand im Mund liegt. „Die Süße des Baklava entfaltet sich kontrastierend zur Stärke des Mokka", würde man wahrscheinlich in einem Reiseführer lesen. Zwischen meinen Gaumen entfaltet sich gar nichts mehr.

Zum Schluss liest Elifs Schwester jedem aus dem Kaffeesatz. Bei mir bleibt sie lange still, blickt in dem Tässchen bis auf den Grund meiner Seele. Das macht mich nervös. „Ich sehe Wege, ich sehe Geld. Und eine Reise. Aber du hast kleine Sorgen", übersetzt man. Kleine Sorgen? Eigentlich bin ich völlig beglückt von soviel Herzlichkeit an diesem Abend. Keine Sorgen. Doch, stimmt. Die Baklavabomben liegen mir schwer wie kleine Kiesel im Magen.


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Servus, Bosporus! Ein Online-Magazin über Istanbul

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