Das verheerende Oderhochwasser 1997 bewirkte auch ein Umdenken im Umweltschutz. Was ist 25 Jahre danach daraus geworden? Und wie gehen Oderausbau und Hochwasserschutz zusammen? Von Tobias Hausdorf
Er und Ratzdorf hatten Glück: In Schulzes Haus stand das Wasser "nur Gummistiefel-hoch", der provisorische Deich hielt - an anderen Stellen nicht. 74 Menschen starben, die Opfer waren auf polnischer und tschechischer Seite zu beklagen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) besuchte Ratzdorf, versprach Hilfen und forderte schnell: "Gebt den Flüssen mehr Raum". Doch was ist aus dieser Forderung geworden?
"Das Oderhochwasser 1997 erinnert uns wie die Elbe-Flut 2002 und die Ahrtal-Katastrophe im vergangenen Jahr daran, welche Urgewalt Flüssen innewohnt", sagt Astrid Eichhorn von der Umweltschutzorganisation WWF. Sie leitet das Büro Mittlere Elbe und hat dort Helmut Kohls Mahnung befolgt: Eichhorn hat sich dafür eingesetzt, Deiche zurückzuverlegen und Überflutungsgebiete zu schaffen.
"Wir müssen aus Erinnerungen an Fluten auch Konsequenzen ziehen", sagt sie. Denn Eichhorn geht davon aus, dass durch die Klimakrise weitere starke Hochwasser kommen werden. Extremwetterereignisse wie im Ahrtal werden wahrscheinlicher. Jedoch werden an der Oder gerade zum Teil alte Fehler wiederholt, warnt die WWF-Expertin.
Auf polnischer Seite werden zum Beispiel in Slubice Deiche neu gebaut
und zwischen Ścinava und Lausitzer Neiße 341 Buhnen erneuert. Das sind
Steindämme, die die Strömung in die Mitte drücken, so dass sich das
Flussbett selbst vertieft. Das Ziel: Schiffbarkeit, vor allem zur
wirtschaftlichen Nutzung.
Das Hochwasserrisiko bleibt
Sintflutartige Regenfälle in Polen und Tschechien hatten sie
ausgelöst, die Brüche in den Deichen aber für Abfluss gesorgt. Mehr
Buhnen und höhere Deiche würden die Kraft der Oder bei Extremwetter
verstärken. Sie sind das Gegenteil von Kohls Forderung nach mehr Raum
für den Fluss.
Wie das Problem zu lösen wäre
Die Lösung könnten Überflutungsmöglichkeiten auf beiden Seiten der Oder sein. Natürlicherweise sind das Auen. Die sind vor allem im 19. Jahrhundert bereits durch Flussbegradigungen, Deichbau und Trockenlegungen verschwunden - ließen sich aber wieder schaffen. Denn Deiche können zurückverlegt werden.
Genau das ist Astrid Eichhorn in einem Auenwald-Projekt an der Elbe gelungen: Ein neuer Deich wurde 2,5 Kilometer vom alten entfernt gebaut. Der wurde zusätzlich an zehn Stellen gebrochen. Bei Hochwasser kann sich die Elbe hier nun auf 600 Hektar Fläche ausbreiten. Das Projekt hat allerdings auch etwa zehn Jahre gedauert.
Ähnliches hatte sich Matthias Freude, der damalige Präsident des Landesumweltamtes Brandenburg, für die Ziltendorfer Niederung vorgestellt, die gänzlich überflutet wurde. Die stark betroffene Thälmann-Siedlung hätte er nicht wieder aufgebaut und lieber umgesiedelt, Deiche zurückverlegt und Überflutungsmöglichkeiten geschaffen.
Laut einem Bericht des Bundesamts für Naturschutz zum Zustand von Auen sind die Rückhalteflächen von Flüssen in Deutschland in den Jahren 1983 bis 2020 statt wie geplant um zehn nur um 1,5 Prozent vergrößert worden. Bei der Schaffung von Auenflächen sieht Astrid Eichhorn daher noch Potenzial. Ein Umdenken und eine Sensibilität für Hochwasserschutz beobachte sie aber schon.
Zurück nach Ratzdorf, wo Siegfried Schulze wohnt. Er und seine 88-Jährige Cousine Hannelore Lange erinnern sich nicht nur an Zerstörung, sondern auch an den Zusammenhalt bei der Flut 1997. Eines möchten beide noch loswerden: Auch nach 25 Jahren bedanken sie sich herzlich bei allen Helfern, Spenderinnen und der Bundeswehr.
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