In Burkina Faso bringt der Anbau von Biobaumwolle vielen Frauen Anerkennung und bescheidenen Wohlstand - denn für die Ware bekommen sie einen fairen Preis und eine Bio-Prämie obendrauf.
Die Sonne senkt sich rasch in Naniagara. Die Glut am Horizont verwandelt den Süden Burkina Fasos in ein gleißendes Flammenmeer. Pandé Karidia Sory hockt in einem zitronen-gelben Gewand mit Blümchenmuster im Staub vor ihrer Kochstelle. Das Baby, dem sie gerade noch die Brust gegeben hat, reicht sie zurück an ihre Nachbarin aus der Lehmhütte von nebenan. DAs Feuer knistert, ein paar Funken schnellen aus dem Holz in die einsetzende Dunkelheit. Sory lacht, vorne fehlen ihr einige Zähne, die Suppe brodelt. Es geht ihr gut, seit die Baumwolle ihr Leben verändert hat.
Pandé Karidia Sory war die erste Frau, die in der südwestlichen Region Tiefora entschieden hat, selbstständig zu werden. Das war 2004, als der Verband der Baumwollbauern eine Aufklärungskampagne zum Thema Biobaumwolle startete. „Sie sagten uns, dass man damit stabile Preise erziele", erzählt Sory auf Karabourou, dem lokalen Dialekt. „Ich dachte, ich versuche es einmal." Heute ist sie froh, dass ihr Mann ihr vor einigen paar Jahren ein paar Hektar Land überlassen hat. Nach einer kurzen Einweisung zog sie los, mit ihrer Daba, einer kurzen Schaufel, und pflügte in tief gebückter Haltung erstmals ihr eigenes Feld. „Es ist eine schöne Erfahrung, ein wenig an der Wirtschaft teilhaben zu können", sagt Sory, auch wenn der Rücken abends manchmal schmerzt. Mit den Zahlen hat es Sory eigentlich nicht so. Wie alt sie ist, weiß sie nicht genau. So um die 40 müsste wohl hinkommen. Im Landesdurchschnitt beträgt die Lebenserwartung nur knapp 49 Jahre. Alt fühlt sich Sory aber nicht. Ihr Tagesablauf lässt ihr auch wenig Zeit zum Grübeln. Schließlich zieht sie neben der harten Feldarbeit noch ihre Kinder groß. Wenn man ihr etwa erzählt, wie aufgeregt in Deutschland über das Thema Familie und Beruf debattiert wird, dann muss sie lachen. Sory hat sieben Kinder zur Welt gebracht, das jüngste ist drei Jahre, das Älteste 13. Sie steht morgens um fünf Uhr auf und legt sich um zehn Uhr abends auf ihre Strohmatte, um ein paar Stunden zu schlafen. Dazwischen versorgt sie die Kinder, kocht Kabato, eine Maispaste mit Sauce für die Mittagspause, läuft anderthalb Stunden bis zu ihrem Baumwollfeld, sät, düngt, erntet, kehrt am frühen Abend nach Hause zurück, macht Feuer, kocht, putzt, sechs Tage die Woche.
Trotz der vielen Arbeit ist Sory zufrieden. Die Biobaumwolle hat sie zu einer selbstbewussten Unternehmerin gemacht. Und so geht es mittlerweile auch anderen Frauen in Naniagara. Als es hier nur den konventionellen Anbau gab, blieben ihnen nur Kinder, Küche und etwas Hirseanbau. Auf die Baumwollfelder durften sie nicht, weil die giftigen Pestizide ihre Fruchtbarkeit oder ihre ungeborenen Kinder bedrohten. Und sie sollten nicht so leiden wie manche ihrer Männer, die am Abend hustend ins Dorf zurückkehrten, mit Salben ihre Ausschläge pflegten und manchmal wochenlang im Krankenhaus behandelt werden mussten. Auf den Feldern der Frauen vertreibt die Frucht des Neembaums den widerspenstigen Baumwollkapselwurm auf natürliche Weise - Schädlinge dürfen beim Ökoanbau nur mit biologischen Mitteln bekämpft werden.
Seit Sory 2004 ins Geschäft mit der grünen Ware eingestiegen ist, stieg der Ertrag stetig. Im ersten Jahr konnte sie mangels Erfahrung nur ein paar Büschel ernten, 2007 waren es bereits knapp 500 Kilogramm. Ihr Erfolg sprach sich herum. Andere folgten ihrem Beispiel. Heute sind es alleine in ihrem Dorf 26 Frauen, die mit Biobaumwolle Geld verdienen. Als vor zwei Jahren ein Chef für die Gemeinschaft gesucht wurde, bestimmten sie Sory, drüben unter den Mangobäumen. „Sie haben mich gewählt, weil ich eine harte Arbeiterin bin", sagt Sory. „Das ist auch der Grund, warum mich die Männer akzeptieren." Das ist ungewöhnlich in einem Land, in dem eigentlich die Männer das Zepter führen.
38 Prozent der Biobaumwollbauern sind Frauen. Fünf Agrartechniker stehen ihnen und den männlichen Produzenten zur Seite und erklären ihnen, wie sie möglichst viel Ertrag aus den kargen Feldern holen. Die Agraraufsicht für die Region Tiefora führt Delphine Zoungrana-Ouedraogo. Sie war die erste Frau, die Agrarwissenschaften in der Hauptstadt Ougadougou studiert hat. Jetzt konferiert sie mit den Mitgliedern des Anbauverbandes und bringt die Informationen über die rotsandigen Schotterpisten zu den Bauern in die Provinz. „Es ist beeindruckend, was die Frauen hier aufgebaut haben", sagt sie. Der Respekt vor ihrer Leistung hat einen neuen Namen geprägt: Biobaumwolle heißt hier längst „Frauen-Baumwolle".
Sory sitzt vor ihrer Hütte und wiegt eines der Dorfkinder in ihrem Schoß. Sie ist in Naniagara aufgewachsen. Sie besitzt ein paar Hühner, Schafe und Ziegen. Gerne würde sie mehr begreifen vom großen Business. Sie weiß nicht viel über den Weltmarkt. Männer in Nadelstreifen hat sie nie gesehen, und sie hat keine Ahnung, was ein Börsenparkett ist. Auch weiß sie nicht, wie die Kunden in Europa aussehen, die fair gehandelte Schokolade, Kaffeebohnen und neuerdings auch Baumwolle kaufen, um ein gutes Gewissen zu haben. Sie weiß nur, dass die Biobaumwolle mit stabileren und höheren Preisen gehandelt wird als die konventionelle und die deutsche Initiative Transfair pro Kilogramm noch fünf Cent Prämie extra zahlt. Ihre Kinder können deshalb jetzt zur Schule gehen. Ganz in der Nähe gibt es inzwischen einen Brunnen und demnächst, so hofft sie, beginnt der Bau einer Krankenstation. Trotz der Erfolge in Naniagara wird das Leben in Burkina Faso immer mehr zum Kampf ums Überleben. Zuerst hatten Bürgerkriege in den umliegenden Staaten die Region schwer erschüttert und die Wirtschaft lahmgelegt. Inzwischen stürzen die Verschlechterung der Böden und immer häufiger auftretende Dürren die Bauern in existenzielle Not. Auch Sory hat schon festgestellt, dass die Sonne immer länger brennt und der Regen seltener, aber dafür heftiger niederprasselt. Der Klimawandel ist eine ernsthafte Bedrohung für ein Land, in dem fast alle ihre Lebensmittel selbst anbauen und das vor allem Baumwolle exportiert.
In den Dörfern versuchen die Menschen sich auf ihre Weise zu helfen. Wenn der Regen ausbleibt, opfert Sory nach altem Fetisch-Brauch ein Huhn. Auch dieses Jahr hat sie einem Federvieh die Kehle durchgeschnitten, es mit den Flügeln an die Wand der Opferstätte genagelt und gewartet, dass die Tropfen bald vom Himmel fallen. Die Blutopfer werden jedoch nicht verhindern können, dass sich im Norden des Landes, in der Sahelzone, die Wüste immer weiter ins Ackerland frisst. Pierluigi Agnelli von der Schweizer Entwicklungshilfeorganisation Helvetas sagt: „Für dieses Land sieht es finster aus."
Doch die düsteren Prognosen trüben Sorys Zuversicht nicht. Sie hofft, dass es Burkina Faso auch dank ihrer Bemühungen bald besser geht. Üppiger Wohlstand ist in Naniagara zwar noch immer nicht eingekehrt. Sory gräbt weiterhin mit ihrer kurzen Schaufel das Feld um. Aber vielleicht kann sie sich bald einen Ochsen leisten und für sich arbeiten lassen.
Text: Tim Farin und Christian Parth