Viele Familien in Städten wie Köln brauchen ein Angebot, um ihre Kinder betreuen zu lassen. Doch der Mangel an Angeboten macht oft wenig wählerisch. Wie Eltern entscheiden können, ob eine Kindertagesstätte für ihr Kind geeignet ist. Von Tim Farin
Man nimmt, was man bekommen kann. Erstaunlicherweise gilt dieses Motto nicht nur für Schlachten am Frühstücksbüfett, sondern auch für ein einschneidendes Kapitel im Leben kleiner Menschen. Viele Familien in Städten wie Köln brauchen ein Angebot, um ihre Kinder betreuen zu lassen, doch der Mangel an freien Plätzen führt zu einer erstaunlichen Kompromissbereitschaft. "Hauptsache ein Platz" - wer sich mit Eltern in Köln-Sülz oder im Belgischen Viertel unterhält, kennt diese Antwort.
Kritischer Blick bei der AuswahlDass ein kritischer Blick bei der Auswahl notwendig ist, dafür sprechen die Ergebnisse der "Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit" von April 2012. Demnach schnitt jede zweite Betreuungseinrichtung bei einem Bildungstest mit "unzureichend" ab. Analysiert wurden 600 Einrichtungen in acht Bundesländern - und nur zehn Prozent aller Kitas bescheinigten die Forscher gute Qualität. Wer einfach nimmt, was er bekommt, kann also viel Schaden anrichten.
In Deutschland existieren mittlerweile mehr Kindertagesstätten als Schulen, überall im Land entstehen neue Angebote, jedoch gibt es noch viele weiße Flächen auf der Landkarte. "Wir sehen große regionale Unterschiede: In vielen westdeutschen Großstädten und auch abgeschiedenen Dörfern in Süddeutschland fehlen freie Plätze oder Angebote", sagt Fabienne Becker-Stoll, Institutsleiterin am bayerischen Staatsinstitut für Frühpädagogik, "aber dann gibt es viele Städte und Randgebiete von Großstädten, in denen die Eltern zwischen sehr unterschiedlichen Einrichtungen wählen können."
Selbst wenn die Wartelisten lang sind, lohnt sich ein Blick auf die Angebote der bunten Kita-Landschaft: katholisch, evangelisch, Montessori, Waldorf, Fröbel, Offene und Situations-Ansätze, Waldkindergärten - die Palette ist breit. Und spätestens bei der Betreuung von Kindern über drei Jahren stehen den meisten Eltern eben doch Alternativen zur Verfügung, weil hier mehr Plätze existieren. Allerdings ist die Mission der Kita gar nicht so entscheidend, sagt Fabienne Becker-Stoll, eine der führenden Forscherinnen auf diesem Gebiet. "Ich glaube, dass in der Frühpädagogik einiges passiert ist. Statt der Konfession zählt heute gewissermaßen die Profession", sagt die Psychologin. Das heißt: Statt dogmatischer pädagogischer Ausrichtungen entscheidet heute viel eher die Praxis.
Im Zuge des Pisa-Schocks gab es auch eine Bildungsoffensive im vorschulischen Bereich, Zeichen sind die Bildungspläne, die für alle Kindertagesstätten verpflichtend sind. Diese politischen Vorgaben sind heute in den meisten Einrichtungen relevanter als Etiketten wie Montessori oder staatlich - denn es gibt klare Zielvorgaben, an die auch die Förderung gebunden ist. Diese Ziele sind klar umrissen: Kinder sollen heute schon früh in ihren Kompetenzen gestärkt, sollen emotional gefördert, sprachlich vorangebracht werden und Wissen über Technik, Natur und Umwelt erwerben. In Anbetracht dieser Anforderungen sagt der Würzburger Pädagoge Martin Textor: "In den meisten Kindergärten spielen die Konzepte keine große Rolle mehr. Ausnahmen finden sich nur in Waldorf- und Montessori-Einrichtungen." Selbst in religiösen Häusern unterscheidet sich der Alltag oft nicht besonders von dem, was Kinder in staatlichen Einrichtungen erleben.
Fragen nach den Rahmenbedingungen:
"Natürlich vertreten katholische oder evangelische Träger bestimmte Werte, die Kleinen beten vor dem Essen oder lernen etwas über christliche Feiertage - doch auch in Montessori-Kindergärten wird manchmal die Bibel zum Thema", sagt Fabienne Becker-Stoll. Schließlich gehört das Thema Religion zum allgemeinen Bildungsauftrag eben aller Einrichtungen. Harte Unterscheidungskriterien hingegen sieht sie zum einen in der Frage, ob das eigene Kind mit behinderten Kindern in eine integrative Kita gehen soll; zum anderen darin, ob Freiluft-Spiel wie in einem Waldkindergarten gewünscht ist. "Es ist nicht die pädagogische Konzeption, die den Unterschied macht, sondern die Qualifikation des Personals", sagt Becker-Stoll. So gebe es Kitas mit tollen Broschüren, auf denen ein Konzept erläutert wird - doch fehle es am selben Ort an qualifizierten Erziehern. Gerade von exklusivem Spielmaterial solle man sich nicht beeindrucken lassen.
Wenn es um die Auswahl einer Kita geht, sollten Eltern eher nicht Papier wälzen - "es empfiehlt sich eher, in den Einrichtungen zu hospitieren", sagt der Pädagoge Martin Textor. "Viele Kitas bieten das heute an - und Eltern sollten darauf bestehen, dass sie sich für ein paar Stunden den Alltag in einer Kita anschauen können." An so einem Schnuppertag lässt sich einiges erkennen. Man kann zuschauen, Fragen stellen und erleben, wie die Erzieherinnen miteinander und mit den Kindern umgehen. "Wenn sich die Erzieherinnen nicht ansprechbar zeigen, ist das eine Katastrophe", sagt Textor. Spielen die Kinder in gewissen Bereichen konzentriert oder laufen sie strukturlos herum? Wie sehen die Räume aus? Sind sie überladen mit Spielsachen oder werden Reize dosiert eingesetzt? Sprechen die Erzieherinnen alle Kinder an? Wie groß ist die Altersspanne in einer Gruppe? Hängen an der Wand Schablonenbilder oder gibt es erkennbare Ergebnisse der Kreativität der Kinder, so dass sich die Kleinen wahrgenommen und geschätzt fühlen können?
Hospitieren verschafft EinblickeSo ein Einblick lohne, sagt auch Becker-Stoll: "Sie können sogar erleben, dass Erzieherinnen die Kinder anschreien - viele merken gar nicht mehr, was für ein Ton bei ihnen herrscht." Authentische Eindrücke könne man auch ohne eine Hospitation gewinnen, So lohne es sich, sagt Forscherin Becker-Stoll, mal am Außengelände der Kita unerkannt vorbeizulaufen. Dort lasse sich viel erfahren über die Art, wie das Personal die Kinder einbinde und auch bei Problemen einschreite. Auch wichtig: Wie läuft die Bring- und Abholphase in der Kita? "Die Willkommenskultur sagt sehr viel aus", sagt Becker-Stoll.
Wer die Wahl hat, der sollte zudem ein paar harte Kriterien im Blick behalten: Wenn die Betreuungsquote bei Unter-Dreijährigen eins zu sechs oder schlechter ausfalle, dann sei das bedenklich, sagt Textor. Bei älteren Kindern dürfe es keineswegs weniger als eine Betreuerin pro zwölf Kinder sein. Auch ein wichtiger Punkt: Landet das eigene Kind in der Gruppe der Kita-Leiterin, so besteht die Gefahr, dass die Chefin im Alltag oft fehlt und durch gering qualifiziertes Personal vertreten wird. Es lohnt sich also, gezielte Fragen zu stellen - auch wenn ein weiteres wichtiges Kriterium damit nicht beantwortet werden kann: Auch die Nähe zum Wohnort sei sehr wichtig, sagt Fabienne Becker-Stoll.