Tim Farin

Redakteur, freier Journalist, Köln

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Gleichberechtigung: Der gestresste Mann


Darüber zu reden fällt Manuel Gabriel immer noch schwer. Wer ihn schon etwas länger kennt, der weiß, dass der Enddreißiger viele Arztbesuche und Behandlungen hinter sich hat. Doch die Ursachen seines Leidens hat er im Kollegenkreis nie zum Thema gemacht. Er möchte auch heute nicht, dass sein wahrer Name in der Zeitung steht, wenn er von seiner Geschichte erzählt.

Von frühmorgens bis abends betreute er in einem Internetunternehmen vom Computer aus die internationalen Geschäfte - abends trank er zu viel Alkohol, nachts schlief er zunächst schlecht, später kaum noch. Er versuchte, sich nach Kräften um Frau und Nachwuchs zu kümmern, doch ein schlechtes Gewissen war oft dabei, weil ihm die Zeit fehlte. Die Liste seiner Symptome: Rückenprobleme, Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Gewichtszunahme, Magenschmerzen, Sodbrennen. Alles geballt in kurzer Zeit. Da beschloss Gabriel, sein Leben zu ändern.

Es ist an der Zeit, über den Stress nachzudenken, dem Männer in Deutschland täglich standhalten. Im Brennpunkt von beruflichem Druck und verändertem Rollenbild betreiben viele von ihnen Raubbau an Körper und Seele. Zeit zum Durchatmen haben sie nicht, zumindest ist das ihr Gefühl - und mit etwas Glück spüren sie die Symptome, ehe es zu spät ist. Noch immer, das bestätigen auch Gesundheitsexpertinnen, stehen Männer nicht im Fokus der Prävention. Die Politik hat sich die Stärkung der Frau in der Arbeitswelt zum Ziel gesetzt, die Bundeskanzlerin hat die Einführung der gesetzlichen Frauenquote für Führungspositionen zur Chefinnensache gemacht. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schützt so ziemlich alle Akteure in der Arbeitswelt, nur eine Spezies nicht: den gemeinen Mann.

Dabei ist er von beruflichem Stress schon statistisch am stärksten betroffen: Arbeiten Männer, so sind sie in Deutschland zu 90 Prozent in Vollzeit aktiv - Frauen nur etwa zur Hälfte. Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Medizinische Psychotherapie formulierte es im September mit Bezug auf Studien so: Männer identifizieren sich stärker mit dem Beruf als Frauen, sind stärker von beruflichem Erfolg und Misserfolg betroffen.

Dass ungesunder Stress gravierende Folgen hat, ist bekannt. Fast jeder sechste Krankheitstag hat psychische Ursachen. Laut einer Umfrage der Techniker Krankenkasse ist der Beruf für 52 Prozent der Männer Stressfaktor Nummer eins. Vor allem Männer selbst weichen dem Problem aber aus, solange sie können, hängen noch oft an einem Rollenbild, geprägt von Stärke, Unermüdlichkeit, Erfolg und Versorgerfähigkeit. Oft erwarten Männer von sich mehr, als gesund wäre. Das eigene Verhalten hinterfragen sie nur selten, vor allem nicht im Gespräch mit Kollegen.

Zum Beispiel in Karlsruhe. Am dortigen Karlsruher Institut für Technologie (KIT) leitet der promovierte Ingenieur Stefan Hey eine Forschungsgruppe, die ein Sensorsystem zur Messung von Stressbelastung und Lebensstil hervorgebracht hat. Die Technik zeichnet über 24 Stunden Kreislaufdaten, Herzratenvariabilität und Bewegungsdaten auf. Inzwischen ist das Produkt marktfähig und soll im betrieblichen Gesundheitsmanagement und bei Job-Coachings genutzt werden.

Hey machte während der Erprobungsphase interessante Beobachtungen. Als die Forscher den Mitarbeitern am KIT 100 kostenlose Tests anboten, meldeten sich überproportional viele Frauen. „Offensichtlich war es kein männliches Thema", sagt Hey. Noch erstaunlicher: Die Ergebnisse überraschten vor allem die männlichen Teilnehmer. Was die Probanden zuvor als „ganz normale Tage" beschrieben, wirkte in der Analyse oft ungesund stressig, berichtet Hey. „Im Mittel gab es bei Männern die Tendenz, die eigene Belastung zu unterschätzen." Mit den objektiven Daten vor Augen sah es anders aus. Transparente Ergebnisse, Kurven, Tabellen - das überzeugt die Männer, sagt Hey. Manche so sehr, dass sie dem Schlafmangel und Alltagsstress mit mehr Sport entgegenwirken. Über diesen Schluss - mehr Belastung als Ausgleich für Überlastung - muss der Karlsruher Forscher ein wenig schmunzeln.



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