Tim Beyer

Freier Journalist, Köln

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Artikel

Bayer Leverkusens Trainer Peter Bosz - eine Frage des Stils

In der Bundesliga ist Bayer Leverkusen erster Verfolger der Bayern. Das liegt auch am Trainer Peter Bosz, der mit kleinen Änderungen großen Erfolg hat. Über einen Idealisten, der den Pragmatiker in sich entdeckt hat.

Vor einiger Zeit hat Peter Bosz der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ein längeres Interview gegeben. Bosz hat darin über seine Arbeit als Trainer von Bayer Leverkusen gesprochen, über Titelträume, aber auch über Pädagogik. Natürlich hat Bosz es nicht Pädagogik genannt, doch wie sonst sollte man das, was er über den jungen Florian Wirtz, 17, gesagt hat, bezeichnen?


Er versuche immer zu beobachten, in welcher Stimmung ein Spieler sei, und ob er seine Ruhe haben wolle oder lieber Zuspruch, sagte Bosz. Nur Wirtz, den jüngsten Spieler im Kader, den lasse er einfach machen. Wirtz sei so gut, dass "ich Angst habe, ihn mit zu vielen Worten eher schlechter zu machen als besser. Die Stärke von so jungen Spielern ist am Anfang, dass sie frei sind, frei sein dürfen." Irgendwann aber komme in der Karriere eines jeden Fußballers eine erste Krise, auch bei Wirtz. Dann, sagte Bosz, werde er viel mit Wirtz reden. "Dann wird er mich brauchen."


Es ist nur eine kleine Episode, doch sie erzählt einiges über den Trainer Bosz, 57, der in seiner Karriere schon einmal ganz weit oben war und dann auch nicht so erfolgreiche Zeiten erlebt hat. Seit bald zwei Jahren ist er in Leverkusen tätig, und das sind nun gerade wirklich gute Zeiten für alle Beteiligten.


Der Pragmatiker im Idealisten

In der Europa League hat Leverkusen die Gruppe als Erster abgeschlossen und in sechs Spielen 21 Tore erzielt, nie hat eine deutsche Mannschaft in der Vorrunde öfter getroffen. Und in der Bundesliga ist Leverkusen vor dem elften Spieltag Zweiter und erster Verfolger der Bayern, nur ein Punkt trennt beide Klubs. Man hatte damit vor dieser Spielzeit gar nicht unbedingt gerechnet, schließlich hat Leverkusen im Sommer die Schlüsselspieler Kai Havertz ( FC Chelsea) und Kevin Volland (AS Monaco) verloren.


Es ist keine zwei Wochen her, da hat Leverkusens Geschäftsführer Rudi Völler mit dem Sender "RTL Nitro" über den Trainer Bosz gesprochen. Völler hat Bosz an diesem Abend auffällig oft gelobt, hat von Veränderungen gesprochen, die der Mannschaft gutgetan hätten und davon, dass Bosz der Mannschaft das Verteidigen nahegebracht habe. "Das ist sein Verdienst", sagte Völler. Er wird damit auch gemeint haben, dass Leverkusen in der Bundesliga erst neun Gegentore kassiert hat. Gemeinsam mit Leipzig ist das Bestwert der Liga.


Ausgerechnet Bosz, der in der Vergangenheit auch mal für sein stures Festhalten am bedingungslos offensiven Fußball kritisiert worden war, hat Leverkusen das Verteidigen gelehrt. Es ist ein Satz, bei dem man zunächst ein Missverständnis vermutet, der aber stellvertretend steht für etwas, das man in den vergangenen Monaten beobachten konnte: Der Idealist Bosz hat entdeckt, dass in ihm auch ein Pragmatiker steckt. Und dass das womöglich die Basis ist, damit seine Spieler jenen Fußball spielen können, der Bosz eigentlich vorschwebt.


Bosz hat den Fokus in Leverkusens Spiel angepasst

Auf die verpasste Champions-League-Qualifikation und den Weggang von Havertz hat Bosz vor dieser Saison reagiert, indem er den Fußball angepasst hat. Havertz, das war Bosz klar, würde er niemals direkt durch einen neuen Spieler ersetzen können. Er hat stattdessen die Statik des Spiels verändert: Wo zuvor viel über Havertz und mit einem Kontakt durch das Zentrum gelaufen war, stärkte Bosz nun das Flügelspiel. Er ließ Leon Bailey und Moussa Diaby die Seiten tauschen und wies sie an, Eins-gegen-eins-Situationen zu suchen und mehr zu flanken als zuvor. Auch deshalb blühte im Sturmzentrum Lucas Alario, zuvor oft nur Joker, auf.


Gleichzeitig verschob Bosz die Abwehrlinie ein Stück nach hinten, vor allem die beiden Außenverteidiger agierten fortan nicht mehr ganz so offensiv. Und weil im defensiven Mittelfeld der Österreicher Julian Baumgartlinger, 32, seit Monaten in der Form seines Lebens ist, wirkt Leverkusens Spiel nun weniger fragil.

Verbessert hat sich Bayer auch bei den eigenen Standardsitutionen: In der gesamten vergangenen Saison resultierten daraus nur zehn Treffer, jetzt sind es schon sechs - drittbester Wert in der Bundesliga. Er habe das im Sommer gemeinsam mit seinem Trainerteam analysiert, hat Bosz einmal gesagt. Sie haben dann Verbesserungsbedarf festgestellt und gehandelt: Rob Maas, ein ehemaliger Bundesligaprofi, ist auch deswegen neu im Trainerteam. Der Plan ging auf.

Höhenflug mit Ajax, Absturz mit dem BVB

Es sind Entwicklungen, die nicht so recht passen zur öffentlichen Wahrnehmung des Trainers Bosz. Für viele Menschen ist Bosz sehr oft immer noch jener Trainer, der seinen größten Erfolg in der Saison 2016/17 feierte, als er Ajax Amsterdam bis ins Finale der Europa League coachte.

Er hat sich damals einen Namen gemacht als Förderer junger Spieler: So waren Frenkie de Jong (heute Barcelona), Donny van de Beek (Man United), Hakim Ziyech (FC Chelsea) oder Matthijs de Ligt (Juve) Teil einer Mannschaft, die natürlich offensiv und im 4-3-3 spielte, mit vielen tollen Pässen und einem genau abgestimmten Gegenpressing.


Bosz wählt den BVB und liegt daneben

Anschließend wählte Bosz unter vielen Angeboten das von Borussia Dortmund aus - und lag damit falsch, wie sich später herausstellen sollte. Zwar spielte der BVB anfangs mitreißenden Fußball und war damit auch erfolgreich, die erste Niederlage in der Liga kassierte man am 10. Spieltag als Tabellenführer. Anschließend verkehrte sich das Erlebte ins Gegenteil, von den nächsten sechs Ligaspielen gewann Dortmund keines mehr und aus der Champions League schied man sehr enttäuschend aus. Noch vor Weihnachten trennte sich der Klub von Bosz.

Was von der Ära Bosz in Dortmund übrigblieb, waren ein Fragezeichen und viel Ärger. Nicht einmal ein halbes Jahr hatte die Verbindung gehalten, es gab Berichte über einen allzu sturen Trainer Bosz (Offensivfußball!) und Grüppchenbildungen im Kader. Bei der Vorstellung des Nachfolgers Peter Stöger deuteten die BVB-Bosse Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc an, es sei wohl ein Fehler gewesen, dass sie sich ein halbes Jahr zuvor gegen den Österreicher und für Bosz entschieden hatten.

In Leverkusen wird sich gerade niemand finden, der so etwas sagt. Bosz und Bayer - das scheint zu passen, für beide Seiten. Der "FAZ" hat Bosz in jenem längeren Interview auch erzählt, dass er schon gerne Spiele von Bayer Leverkusen gesehen habe, als er noch weit entfernt davon war, dort Trainer zu werden. "Viele Fußballvereine haben eine ganz bestimmte Spielphilosophie, und ein Trainer sollte dazu passen", sagte Bosz. "Das funktioniert hier im Moment sehr gut."

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