Tim Beyer

Freier Journalist, Köln

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Saisonabbruch in den Niederlanden: Aufstiegskampf vor Gericht


Als die Fußballsaison in den Niederlanden wegen der Pandemie abgebrochen wurde, war der SC Cambuur Tabellenführer der zweiten Liga. Aufsteigen darf der Klub aber nicht, sagt der Verband. Jetzt klären das Anwälte.


Der 24. April sollte der schönste Tag in der Karriere des Fußballers Erik Schouten werden. An diesem Tag entschied der niederländische Fußballverband KNVB über die Zukunft der beiden höchsten Ligen im Land. Schouten, 28, war einst Juniorennationalspieler der Niederlande, heute ist er Kapitän des Zweitliga-Tabellenführers SC Cambuur Leeuwarden. In der Eredivisie, der höchsten Liga des Landes, hat er noch nie gespielt. Als Schouten an jenem Tag neben seinem Trainer Henk de Jong saß und auf die Entscheidung wartete, glaubte er, sich bald in Spielen mit Profis von Ajax Amsterdam oder PSV Eindhoven messen zu können. Es sieht so aus, als habe er sich geirrt.


"Plötzlich war da nur noch Schweigen", sagt Schouten im Gespräch mit dem SPIEGEL. Es waren die Minuten, nachdem der KNVB verkündet hatte, dass die Spielzeit in den höchsten beiden Ligen wegen der Auswirkungen der Coronakrise vorzeitig abgebrochen werde. Damit hatten Fußballfans in den Niederlanden gerechnet, mit dem Rest nicht: Ajax war zwar Erster in der Eredivisie, doch Meister darf sich der Klub nicht nennen. Die Plätze für die Champions und Europa League werden nach Tabellenplatzierung vergeben, doch Absteiger gibt es keine - und somit auch keine Aufsteiger.


Der SC Cambuur hatte in 29 Spielen 66 Punkte geholt, elf mehr als der FC Volendam auf dem ersten Nichtaufstiegsplatz. Die vergangenen sieben Ligaspiele hatte Cambuur allesamt gewonnen. Es ist schwer vorstellbar, dass der Verein den Aufstieg in den letzten neun Spielen noch verspielt hätte. Und nun sollten sie ein weiteres Jahr in der zweiten Liga spielen? "Das fühlt sich an wie die größte Schande aller Zeiten im niederländischen Sport", sagte der Trainer de Jong.


Die Entscheidung fällt vor Gericht

Die Enttäuschung war groß in Leeuwarden, einer 120.000-Einwohner-Stadt in der Provinz Friesland im Norden des Landes. "Es ist unglaublich, dass der Verband so entschieden hat", sagt Schouten und meint damit auch, dass der KNVB die Erst- und Zweitligisten zuvor noch über verschiedene Szenarien hatte abstimmen lassen. Es waren 16 Klubs für eine Regelung mit Auf- und Abstieg gewesen, neun dagegen, der Rest hatte sich enthalten. Auf SPIEGEL-Anfrage teilte der Verband mit, eigentlich sei das gar keine Abstimmung gewesen, sondern vielmehr eine Art Beratung. Man habe sich dann für die Lösung entschieden, die man für die beste halte. Nur sehen das längst nicht alle so.


Beim SC Cambuur haben sie sich beraten und anschließend Gespräche mit dem Tabellenzweiten De Graafschap geführt. Beide Klubs sind sich einig, dass sie diese Entscheidung nicht akzeptieren werden. Sie haben eine einstweilige Verfügung gegen die Entscheidung des KNVB eingereicht. Notfalls, sagen sie in Leeuwarden und De Graafschap, müssten in der Eredivisie in der nächsten Saison eben 20 statt 18 Teams spielen. Der Verband lehnt das ab. Am Freitag traf man sich erstmals vor Gericht, ein Urteil wird für die kommende Woche erwartet.


Der Anwalt Dolf Segaar kennt sich mit solchen Prozessen aus. Vor einigen Jahren hat er Twente Enschede vertreten, als dem Klub die Erstligalizenz entzogen werden sollte. Am Ende blieb Twente erstklassig, es stieg stattdessen De Graafschap ab. Jetzt vertritt Segaar die Interessen des SC Cambuur und auch die von De Graafschap. Der Entscheidungsprozess des KNVB sei "extrem unprofessionell" gewesen, sagt Segaar dem SPIEGEL. Überhaupt müsse man sich fragen, warum der Verband die Tabelle zugrunde lege, wenn die Tickets für Europa vergeben werden, aber nicht, wenn es um Auf- oder Abstieg geht?


"Cambuur ist auf dem Weg"

Das Szenario, mit dem sich der niederländische Verband konfrontiert sieht, ist eines, das in Zeiten von Covid-19 auch noch andere Länder und deren Profiligen beschäftigen könnte. In Deutschland gibt es ab dem 16. Mai sogenannte Geisterspiele, doch längst nicht überall ist klar, ob die Saison zu Ende gespielt werden kann. Im europäischen Fußball werden viele sehr genau auf das schauen, was in den Niederlanden passiert.


In Leeuwarden haben sie sich vorgenommen, ihren Traum vom Erstligafußball so schnell nicht aufzugeben. Vor einigen Tagen durften Fans des SC Cambuur mit Autos in das Stadion fahren, sie bekamen dort gegen eine kleine Spende einen Sticker. "Cambuur komt eraan", war dort zu lesen, Cambuur ist auf dem Weg. Mehr als 45.000 Euro kamen so zusammen und vor dem Stadion stauten sich auf zwei Kilometern die Autos.


"Es war immer mein großer Traum, einmal in der Eredivisie zu spielen", sagt Schouten. Fast ist es ein wenig tragisch: Im August wird Schouten 29 - es könnte sein, dass ihm eine einmalige Chance verwehrt wird. Nun, sagt Schouten, könne er nur noch "abwarten und hoffen".

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