Tim Beyer

Freier Journalist, Köln

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Rouwen Hennings: Spätzünder auf der Überholspur


Rouwen Hennings ist der drittbeste Torschütze der Bundesliga-Hinrunde. Bis zu seinem Durchbruch musste der 32-jährige Stürmer lange warten - obwohl er den vielleicht wichtigsten Ratschlag schon sehr früh bekam.


Als Rouwen Hennings noch ein kleiner Junge war, kickte er oft mit seinem älteren Bruder Ramon und einigen Nachbarskindern in einem Hinterhof in Bad Oldesloe. Und weil Rouwen so häufig auf das Tor schoss, aber nur selten traf, gab ihm sein Bruder einmal einen Tipp: "Er hat mir gesagt, ich solle nicht mit der Pike schießen, sondern mit Vollspann", erzählt Hennings dem SPIEGEL. Sie hätten das dann stundenlang geübt, und überhaupt: Vielleicht, so sieht Hennings das, sei das der Auslöser gewesen für alles, was danach kam.


Der Tag, an dem Hennings diese Geschichte erzählt, ist ein sonniger Donnerstag im Dezember. Hennings, 32, hat drei Kinder, der jüngste Sohn ist älter als er selbst damals, als sein Bruder ihm den Vollspannschuss zeigte. Heute ist diese Schusstechnik das Markenzeichen des Torjägers von Fortuna Düsseldorf. Viele seiner Tore erzielt er mit dem linken Vollspann, mit einer Genauigkeit, die Torhüter verzweifeln lässt - und mittlerweile auch mit einer Regelmäßigkeit, die landesweit für Aufsehen sorgt.


Hennings erzielte in dieser Bundesliga-Hinrunde elf von 18 Fortuna-Treffern, so oft zum gleichen Saisonzeitpunkt hatte zuletzt Klaus Allofs in der Saison 1978/1979 für Düsseldorf getroffen. Nur Robert Lewandowski (19 Tore) und Timo Werner (18) schossen mehr Tore.

Im Herbst seiner Karriere ist Hennings erfolgreicher als je zuvor. Treffsicher war er schon immer: Als Hennings beim Karlsruher SC spielte, wurde er 2014/2015 mit 17 Treffern Torschützenkönig der Zweiten Liga. In der Bundesliga sah das bislang anders aus: Zum Saisonbeginn stand er bei gerade einmal acht Toren in 45 Einsätzen.


Funkel, Hennings und die Erinnerung an 2014

Wenn man Hennings fragt, ob er gerade in der Form seines Lebens sei, zögert er einen Moment und sagt dann: "Was die Torausbeute angeht, ist das wahrscheinlich so." Hennings erzählt auch von Trainingseinheiten, von denen er viele Monate keine einzige verpasst hat. Von einem System, in dem er sich wohlfühlt. Und vom Trainer Friedhelm Funkel, der all das zu verantworten hat.


Vor dreieinhalb Jahren lieh die Fortuna Hennings zunächst vom FC Burnley aus und verpflichtete ihn später fest. Funkel war damals schon Trainer in Düsseldorf, von Hennings Können war er bereits zuvor überzeugt worden: Im April 2014 spielte der Karlsruher SC in der zweiten Liga bei 1860 München und gewann 3:0, alle Tore erzielte Hennings. Noch am Abend des Spiels trennte sich 1860 von seinem Trainer, der damals Friedhelm Funkel hieß.


Heute ist nicht nur Funkel froh, dass sie in Düsseldorf einen wie Hennings haben. Es sind seine Tore, die sie für den Klassenerhalt benötigen. "Was Rouwen bisher abgeliefert hat, ist richtig, richtig gut", sagte Funkel kürzlich.


Schlechte Zeiten, gute Zeiten

Dabei gab es in Hennings' Karriere auch andere, weniger erfolgreiche Zeiten. Beim Hamburger SV war er ein Talent, doch der Sprung zu den Profis gelang ihm nicht. Später wurde er beim Stadtrivalen FC St. Pauli aussortiert. Auch seine Karriere beim DFB verlief unglücklich. Wegen einer Verletzung verpasste Hennings die U21-Europameisterschaft 2009, bei der die deutsche Auswahl mit Spielern wie Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Mats Hummels oder Mesut Özil Titel holte.


Es gab mal eine Zeit, sagt Hennings, in der habe er sich schon gefragt, wie seine Karriere verlaufen wäre, hätte er bei der Endrunde in Schweden spielen können. "Ich habe andere gesehen, die plötzlich bei der A-Nationalmannschaft dabei waren und ein Jahr später in Südafrika die Weltmeisterschaft gespielt haben."


Heute, zehneinhalb Jahre später, steht wieder die Frage im Raum, ob Hennings nicht doch einer für die Nationalmannschaft wäre. "Hallo Jogi, hast Du das gesehen?", titelte der "Express" im November, nachdem Hennings drei Tore gegen Schalke 04 erzielt hatte.


Für den nächsten Sommer, wenn in zwölf Ländern die Europameisterschaft 2020 ausgetragen wird, hat Hennings einen Urlaub mit der Familie geplant. Wie er reagieren würde, falls ihn der Bundestrainer Joachim Löw tatsächlich anrufen würde, wisse er gar nicht, sagt Hennings. "Ich hoffe, ich kann irgendwann erzählen, wie es gewesen ist."

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